Mischas eiserne Hand

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili geht ohne Rücksicht gegen die Opposition vor und beschuldigt sie der Zusammenarbeit mit Russland

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Die Sonne schien, Marschmusik spielte, Soldaten in modernen Uniformen marschierten am Donnerstag über den Rustaveli-Prospekt. Ihnen folgten Hummer-Militärjeeps und gepanzerte Mannschaftstransporter. Zum Abschluss der Parade, mit welcher der 20. Jahrestag der Unabhängigkeit von Georgien gefeiert wurde, donnerten leichte Kampfflugzeuge über den Platz vor dem georgischen Parlament. Präsident Michail Saakaschwili, stand auf der Ehrentribüne, den Arm angewinkelt zum militärischen Gruß.

Elf Stunden vorher hatte es auf dem Platz noch ganz anders ausgesehen. Da waberten Nebel von Tränengas, Demonstranten lagen mit gefesselten Händen flach auf dem Boden, viele mit blutigen Köpfen. Die Polizei war mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen von mehreren Seiten angerückt. Die Genehmigung für die Kundgebung der Opposition war um Mitternacht abgelaufen. Innerhalb von 15 Minuten wurde der Platz vor dem Parlament brutal geräumt.

Die 300 Demonstranten die sich zu diesem Zeitpunkt noch vor dem Parlamentsgebäude befanden, ahnten, dass sich die Ereignisse dramatisch entwickeln würden. Unmittelbar bevor die Polizei anrückte, hatten sich viele bekreuzigt und den Boden geküsst. 90 Personen wurden verhaftet. Warum die Demonstranten Knüppel trugen, wurde Oppositionsführerin Burdschanadse am Donnerstagmorgen in einem Interview mit Radio Echo Moskau gefragt. "Um sich zu schützen", erklärte die Oppositionsführerin.

Das Resultat der Nacht: 38 Verletzte, darunter acht Polizisten, mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden. Zwei Menschen wurden getötet. Ein Polizeileutnant hatte sich an der Tür eines eilig abfahrenden Autos geklammert und war dann unter die Räder geraten. Das Auto gehörte zu der Wagen-Kolonne von Oppositionspolitikerin Nino Burdschanadse. Bei dem zweiten Toten handelt es sich um einen 54 Jahre alten Mann, der Mitglied der oppositionellen Arbeiterpartei ist. Er wurde ebenfalls von einem abfahrenden Auto verletzt. Burdschanadse bedauerte den Tod der beiden Menschen und erklärte, das Auto, indem sie gesessen habe, sei nicht in die Vorfälle verwickelt gewesen.

Der georgische Ombudsmann für Menschenrechte, Giorgi Tugushi, erklärte am Donerstag, die Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude, hätten sich zwar nicht den Gesetzen gemäß verhalten, der Polizeieinsatz sei aber unverhältnismäßig gewesen. Der US-Botschafter in Georgien, John Bass, erklärte, die übermäßige Anwendung von Gewalt bei der Räumung des Platzes vor dem Parlament müsse untersucht werden. Der Diplomat erklärte aber auch, ein Teil der Demonstranten sei nicht an einem friedlichen Protest interessiert gewesen. Außerdem lobte Bass die georgische Regierung, weil sie den Demonstranten einen alternativen Platz für ihre Kundgebung angeboten hatte.

Scharfe Töne kamen erwartungsgemäß aus Moskau. Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Aleksandr Lukaschewitsch, erklärte, Michail Saakaschwili habe gegen "allgemeingültige demokratische Normen verstoßen". Die Vorfälle müssten "auf internationalem Niveau" untersucht werden.

"Zusammenarbeit mit den Okkupanten"

Präsident Saakaschwili rechtfertigte den Polizeieinsatz. In seiner Rede zu Beginn der Militärparade beschuldigte der georgische Präsident die Opposition, sie habe versucht, "Massenunruhen" auszulösen. Das Szenarium für diesen Plan sei "von unserem Feind und Okkupanten" geschrieben worden, womit niemand anderes als Russland gemeint war. Der Vorwurf, die Opposition stecke mit Russland unter einer Decke, wird von dem Präsidenten immer wieder vorgebracht. Im November 2007 verhängte Saakaschwili nach einer Demonstration der Opposition sogar den Ausnahmezustand, weil angeblich ein von außen gesteuerter Umsturzversuch drohte.

Wie zur Bestätigung, dass es sich um von Russland unterstützte Unruhen handelte, veröffentlichte das georgische Innenministerium Donnerstag auf ihrer Website den Auiomitschnitt eines Telefongesprächs, welches angeblich zwischen Oppositionspolitikerin Nino Burdschanadse und ihrem Sohn Ansor geführt wurde. In dem Gespräch versucht Ansor seine Mutter zu überzeugen, dass ein Bürgerkrieg unausweichlich sei. Nino Burdschanadse antwortet zurückhaltend: "Es gibt schon jetzt genug Blut." Die Gesellschaft sei in zwei etwa gleich starke Hälften gespalten, für und gegen Präsident Saakaschwili, meint die Oppositionspolitikerin.

In dem abgehörten Gespräch wird auch angedeutet, dass sich die russische Militärabwehr GRU bei einer bürgerkriegsähnlichen Entwicklung in die Auseinandersetzung einschalten werde. Burdschanadse, die von 2001 bis 2008 Parlamentssprecherin war und einen mächtigen Familien-Clan hinter sich weiß, hat den Gesprächs-Mitschnitt bisher nicht kommentiert.

Die Oppositionspolitikerin hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Beziehungen zu Russland entspannen will. Dabei hatte sie auch symbolische Gesten gesetzt. So nahm Burdschanadse im Dezember 2010 zusammen mit Wladimir Putin an einer Veranstaltung in Moskau teil, auf der die Nachbildung eines in Georgien gesprengten Weltkriegs-Denkmals eingeweiht wurde. Das 46 Meter hohe Denkmal welches in der georgischen Stadt Kutaisi stand, hatte Saakaschwili im Dezember 2009 sprengen lassen, angeblich um Platz für den Bau eines neues Parlamentsgebäudes zu schaffen. In Moskau hatte man das Denkmal, welches an die 300.000 Georgier erinnert, welche im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallen sind, in kleiner Ausführung nachgebaut.

Hoffen auf die westliche Öffentlichkeit

Wie geht es nun weiter in Tiflis? Die Stimmung in der Opposition ist gedrückt. Bereits am Sonnabend hatten in Tiflis auf dem Platz der Freiheit 6.000 Menschen demonstriert (Kaukasischer Aussitzer). Um die westliche Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, hielten die Demonstranten Plakate mit der Aufschrift "Misha must leave".

Nino Burdschanadse hatte auf der Kundgebung erklärt, in Georgien habe eine von Saakaschwili "provozierte Revolution begonnen". Das klang waghalsig, denn 2007 und 2009 hatten weit mehr Menschen, bis zu 100.000 Bürger, gegen den Präsidenten demonstriert. Trotzdem hatte man Hoffnung, denn der im französischen Exil lebende ehemalige georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili hatte erklärt, er werde am 25. Mai nach Tiflis kommen und das werde "der letzte Tag der herrschenden Macht" sein. Der ex-Minister rief die Armee auf, sich nicht gegen das Volk zu stellen.

Doch die vollmundige Ankündigung von Okruaschwili, der sich 2006 mit Saakaschwili zerstritten hatte, wurde schon kurze Zeit später von einem Sprecher der "Georgischen Partei" wiederrufen. Okruaschwili werde nicht kommen. Man habe sich mit Burdschanadse nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können.

Die Opposition hat mit der blutigen Nacht vom Donnerstag eine schwere Niederlage erlitten. Aber Saakaschwilis Position ist auch nicht stabiler geworden, denn es sind keine marginalen Gruppen, die sich immer wieder gegen ihn erheben, sondern Teile der georgischen Elite, die von Tausenden einfacher Menschen unterstützt werden.