Nicht Wegschauen

Der Whistleblower-Preis 2011 geht an Anonymous für das von WikiLeaks veröffentlichte Video "Collateral Murder" und an den Physiker Rainer Moormann

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Sie stehen für Mut und sie wollen nicht Wegschauen: Die Träger des Whistleblower-Preises sind Menschen, die von Missstände erfahren haben und nicht hinnehmen wollten, dass die Öffentlichkeit nichts darüber weiß. Deshalb geben sie Informationen, über die sie verfügen, und mit denen sie die Missstände dokumentieren können, nach draußen an die Öffentlichkeit.

Nun wählte die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Deutsche Sektion der Juristenvereinigung IALANA ("Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemischen Waffen") zwei Persönlichkeiten aus, an die der Whistleblower-Preis 2011 geht. Die diesjährigen Preisträger sind: er Kernforscher Dr. Rainer Moormann und "Anonymous".

Wenn im Juli die Preisverleihung in Berlin stattfindet, wird ein Preisträger wohl nicht zugegen sein: "Anonymous". Bei "Anonymous" handelt es sich um jene Person, die im April 2010 ein Video über ein schweres Kriegsverbrechen, das im Irak von US-Soldaten verübt wurde, der Weltöffentlichkeit zugespielt hat.

Das Video zeigt, wie mindestens sieben Zivilisten von der Besatzung eines US-Kampfhubschraubers beschossen und gezielt getötet wurden. Unter den getöteten befanden sich auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. Bei "Anonymous" könnte es sich um den US-Soldaten Bradley Manning handeln, der seit 2010 in Haft ist und unter dem Verdacht steht, vertrauliche Informationen über das Militär an die Öffentlichkeit weitergeleitet zu haben. Manning bestreitet jedoch die Anschuldigungen.

Zur Begründung, den Preis an "Anonymous" zu verleihen, sagen VDW und IALANA:

Militärische Kampfhandlungen dürfen sich nach geltendem Recht nur gegen die Streitkräfte des Gegners und andere militärische Ziele richten, nicht jedoch gegen die Zivilbevölkerung. Zivilpersonen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, sind von Soldaten - auch in Kampfgebieten - zu schützen. Jeder einzelne Soldat ist persönlich für die Einhaltung dieser Regeln des so genannten humanitären Völkerrechts verantwortlich. Wer die Regeln verletzt, begeht ein Kriegsverbrechen, das sowohl nach nationalem als auch nach internationalem Recht als schwere Straftat zu verfolgen ist.

Es kann dem "nationalen Interesse" eines demokratischen Rechtsstaates niemals abträglich sein, gravierende gesetz-, verfassungs- oder völkerrechtswidrige Vorgänge bekannt zu machen. Jede rechtsstaatliche Demokratie ist auf die Kontrolle ihrer Amtsträger durch ihre Bürgerinnen und Bürger und die Medien existenziell angewiesen.

Darum verleihen IALANA und VDW der bislang anonymen Persönlichkeit, die als Informant Wikileaks die Daten zum Video "Collateral Murder" übermittelt hat, den Whistleblowerpreis 2011.

Pressemitteilung VDW und IALANA

In einer weiteren Stellungsnahme loben die Verleiher des Preises ausdrücklich WikiLeaks:

Wikileaks verdient für seine informationstechnische Professionalität und seinen Mut Anerkennung. Aber auch Wikileaks und die anderen Medien, die darüber berichten, "leben" davon, dass es Menschen gibt, die sich zu Wort melden, wenn anderen Menschen im Geheimen Unrecht geschieht, sie unterdrückt oder gar getötet werden. Ohne Whistlelower könnte auch Wikileaks nicht Wahres berichten, wo Lüge zur herrschenden Wahrheit zu werden droht.

Pressemitteilung VDW und IALANA

Beim zweiten Preisträger handelt es sich um Dr. Rainer Moormann, der seit gut 35 Jahren in der Jülicher Kernforschungsanlage arbeitet. Einer seiner wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte war lange Jahre die Sicherheit von sogenannten Kugelhaufen-Reaktoren. Obwohl laut Fachaussagen diese speziellen Reaktoren nicht dem Risiko einer Kernschmelze ausgesetzt seien, sollen laut Moormann mit der speziellen Technologie, wie sie in den Kugellaufen-Reaktoren zum Tragen kommt, schwere Risiken für Natur und Umwelt verbunden sein.

[Moormann] hat in den vergangenen Jahren mit wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen im In- und Ausland, vor allem aber mit Stellungnahmen und Interviews in den Medien unter Inkaufnahme beruflicher Nachteile maßgeblich dazu beigetragen, dass das mit Kugelhaufen-Reaktoren verbundene Risikopotenzial in einem neuen Licht erscheint. Der Mythos der "inhärenten Sicherheit" dieses Reaktor-Typs ist erschüttert. Seine Hinweise begründen zudem den Verdacht, dass wesentliche Umstände und Folgen des 1978 erfolgten Störfalls im Reaktor Jülich bisher verschleiert worden sind.

Dr. Moormanns Whistleblowing und seine Orientierung am Gemeinwohl sind beispielhaft für verantwortliches wissenschaftliches Handeln.

Pressemitteilung VDW und IALANA

Der deutsche Whistelblower-Preis wird seit 1999 alle zwei Jahre vergeben. Die Verleihung des Whistleblower-Preises 2011 findet am Freitag, den 1.Juli 2011, um 19.30 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt.