FDP überholt CDU beim Doktor-Domino

Mittlerweile steht auch der erste SPD-Politiker unter Plagiatsverdacht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Anfangs führte die CDU in der Plagiatsverdachts-Hitparade: Neben dem baden-württembergischen Hinterbänkler Matthias Pröfrock hatte (beziehungsweise hat) sie nämlich auch den bereits 2010 zu 90 Tagessätzen verurteilten ehemaligen Vorsteher des Landesverbandes Lippe im Team. Dazu, ob Kaspar noch CDU-Mitglied ist, will Kreisgeschäftsführer Jens Hankemeier "aus Datenschutzgründen" nichts sagen.

Die Schwesterpartei CSU konnte mit Karl-Theodor von und zu Guttenberg zwar den bislang spektakulärsten Fall vorweisen, allerdings wäre es wohl unbillig, die Stoiber-Tochter Veronika Saß alleine wegen ihres Vaters in parteiliche Sippenhaft zu nehmen. Und die Frage, ob sie selbst CSU-Mitglied ist, lassen sowohl die Rechtsanwältin als auch die Partei-Pressestelle unbeantwortet.

Anteil der Abgeordneten mit Doktortitel in den Bundestagsfraktionen.

Die FDP stieg im Vergleich dazu mit Silvana Koch-Mehrin spät ins Rennen ein, zog dann aber durch 134 verdächtige Seiten in der Dissertation des Europapolitikers Georgios Chatzimarkakis mit der CDU gleich und ging nun durch eine Doktorarbeit des Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai in Führung. Djir-Sarai promovierte 2008 an der Universität Köln über die "Ökologische Modernisierung der PVC-Branche in Deutschland". Die Arbeit ist inklusive Literaturverzeichnis lediglich 213 Seiten stark, was in den Wirtschaftswissenschaften (anders als etwa in der Mathematik) bereits ein erster Hinweis darauf ist, dass der Abgeordnete seinen Doktor weniger aus Neugier, denn aus einem politischen Schmuckbedürfnis heraus anstrebte.

Nachdem sich die Crowd-Korrektoren auf VroniPlag das Werk genauer ansahen, fanden sie auf 49 Seiten Stellen, die sie als Plagiate werten, worauf hin nun die Universität ihre Leistung und die des Doktoranden überprüft. Djir-Sarai ließ nach dem Aufkommen der Plagiatsvorwürfe lediglich verlautbaren, er weise diese zurück und sehe "keinen Anlass für eine weitergehende Stellungnahme".

Nachdem der Verdacht via FAZ Eingang in die Wikipedia fand, versuchte man dort wiederholt, den Eintrag des gebürtigen Iraners zu säubern. Wer immer hinter diesen Löschversuchen steckte, hatte in jedem Fall so wenig Ahnung vom Internet, dass er eine IP-Nummer hinterließ, die zum Bundestag führt.

Wer genau hinter der Adresse steckt, ist allerdings unklar. Möglich wäre beispielsweise, dass es sich um Mitarbeiter Djir-Sarais oder um ihn selbst handelt. Aber auch Parteifreunde kommen unter anderem deshalb in Frage, weil sich Alexander Alvaro und Alexander Graf Lambsdorff so lautstark über das "anonyme Denunziantentum" beschwerten, dass man vermuten könnte, nicht nur einzelne Abgeordnete, sondern ganze Parteikreise hätten ein Interesse daran, dass man sich ihre Doktorarbeiten nicht genauer ansieht.

Im Zusammenhang mit den Klagen aus der FDP kam auch der Vorwurf auf, VroniPlag würde vor allem nach Urheberrechts- und Regelverletzungen konservativer und liberaler Politiker Ausschau halten. Das jedoch wäre bei einem offenen Wiki nur schwer von oben herab durchsetzbar. Die Ungleichverteilung dürfte eher damit zu tun haben, dass sich unter den Grünen insgesamt nur ganze sieben Bundestagsabgeordnete finden, die sich mit einem Doktortitel schmücken, und dass Arbeiten von Linkspartei-Politikern aus der DDR teilweise nur in wenigen maschinengeschriebenen Exemplaren vorhanden sind, was eine Überprüfung erschwert.

In der SPD, wo der Doktorenanteil deutlich höher liegt als bei den Grünen, bahnt sich mittlerweile ein erster Fall an: Er betrifft den ehemaligen Referenten des Hamburger Skandalabgeordneten Johannes Kahrs: Der dem Spiegel zufolge sehr ambitionierte Jungpolitiker Uwe Brinkmann gab im letzten Jahr eine rechtswissenschaftliche Dissertation über die „Harmonisierung des europäischen Rüstungsmarktes im Spannungfeld zwischen Artikel 296 EGV und 17 EUV“ ab, der (zumindest in der digitalen Version) neben einem einheitlichen und nachvollziehbaren Zitiersystem auch das Literaturverzeichnis fehlt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.