Vom "mitfühlenden Liberalismus"

Die FDP will die kommenden Wahlen mitfühlend gewinnen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unter Westerwelle galten die Liberalen als eine Partei der gesellschaftlichen Kälte. Die schneidig-markigen Vorwürfe des ehemaligen Vorsitzenden gegenüber Hartz-IV-Empfängern hatten der FDP den Ruf eingebracht, zu einem Haifischschwarm unsozial gesinnter Besserverdienender und Karrieristen verkommen zu sein, die vor allem Lobbyinteressen im Auge hatten. Die neue Führung um Rösler und Lindner versucht der FDP nun ein neues Markengesicht zu geben. Dazu gehört der Begriff des "mitfühlenden Liberalismus", der seit einiger Zeit die Runde macht.

Unklar ist allerdings, wie dieser neue "mitfühlende Liberalismus" in konkrete politische Forderungen umgesetzt werden soll. Denn auch auf eine Nachfrage hin wollte die Partei dazu keine direkte Stellung beziehen.

In der praktischen Politik jedoch kann beobachtet werden, wie dieser "mitfühlende Liberalismus" der FDP aussieht. So etwa im Bereich der Atompolitik. Bei dem am vergangenen Wochenende ausgehandelten Atomausstieg kam es zwischen Rösler und Merkel zu einem ersten Schlagabtausch. Rösler wollte, dass sich die Koalition nicht auf ein eindeutiges Ausstiegsdatum festlegt. Mit dieser Forderung wollte der neue FDP-Vorsitzende ein Hintertürchen offen halten für eine weitere Verzögerung des Ausstieges. Die Kanzlerin hielt dagegen: "Am Datum wird nichts geändert."

Nachdem sich die Unionsparteien von der Atomlobby immer deutlicher abgrenzen, bleibt den großen Stromproduzenten nur noch die FDP. Auf die ist allerdings weiterhin Verlass. Auch in der Gesundheitspolitik. Das Ressort wird seit längerem von FDP-Ministern geführt. Dort zeigen sich bereits die ersten Ergebnisse der liberalen Politik.

Der Fall der CityBKK, der ersten deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, die schließen musste, sorgte kürzlich für großes Interesse, da die Pleite der Krankenkasse von Beobachtern als exemplarisch für das marode gesetzliche Krankenkassensystem (GKV) aufgefasst wurde. Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem geht z.B. davon aus, dass es eine ganze Reihe von Kassen gibt, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfond nicht auskommen würden. In fünf Jahren, so Wasem, werde es von den ursprünglichen 155 GKVs nur noch 100 geben.

Angesichts der permanenten Kostensteigerung im Gesundheitsbereich ist ein derartiges Kassensterben durchaus zu erwarten. Manche meinen, dass eine solche Pleitewelle von verschiedenen GKVs von der Politik sogar gewünscht sei. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang darauf, dass unter Gesundheitsminister Rösler einer der führenden Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen (PKVs) als Chef eines Grundsatzreferats berufen wurde: Christian Weber.

Bis dato stellvertretender Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung, wurde Weber damit beauftragt, ein Finanzierungsmodell für die gesetzlichen Krankenversicherungen auszuarbeiten. Erstaunlicherweise stehen nun immer mehr GKVs vor dem finanziellen Zusammenbruch.

Auch der neue Gesundheitsminister, Daniel Bahr (FDP), sieht im GKV-System ein Auslaufmodell. So äußerte er im September 2009, dass die FDP die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen wolle. Dafür sollten die privaten Krankenversicherungen in die Pflicht genommen werden. Offensichtlich wird diese Politik auch weiterhin in der FDP verfolgt.

Auch das Evergreen unter den politische Zielen der Liberalen, die Steuersenkung, bleibt nach Westerwelles Rückzug aus der Parteispitze auf der Agenda, vom "Mitfühlenden Liberalismus" ist da wenig zu sehen. Auf dem Parteitag in Rostock erklärte der neue Vorsitzende Rösler den Vertrauensverlust, den die Partei in der jüngeren Vergangenheit hinnehmen musste, mit dem Thema Steuersenkung:

Der Vertrauensverlust kommt daher, weil wir nach Regierungsübernahme nicht erkannt haben, dass die Spielräume für Steuersenkungen, so wie wir sie uns vorgestellt haben, aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise, nicht vorhanden waren.

Die Partei habe daraus gelernt. Allerdings, so Rösler: Die Spielräume sind durch die wirtschaftliche Lage wieder größer geworden. Auch das müsse man erkennen, rief er in Richtung der Koalitionsparteien CDU und CSU.

Auch das der FDP in der Vergangenheit immer wieder entgegengehaltene Argument, dass der Haushalt dringend saniert werden müsse, hat Rösler in seiner Antrittsrede erwähnt. "Die Haushaltskonsolidierung ist die Grundlage einer starken Währung." Wirklich Neues ist vom "Mitfühlenden Liberalismus" eher nicht zu erwarten. Vielmehr werden die alten Forderungen und Schlagworte von neuen, jüngeren Gesichtern vorgetragen in der Hoffnung, sie als frische Ware verkaufen zu können.

In den Unionsparteien scheint klar zu sein, dass eine weitere schwarz-gelbe Regierung keine Chance mehr hat. Die Ausrichtung hin zu den Grünen als einem möglichen zukünftigen Koalitionspartner dürfte daher strategisch nur klug zu sein. Der von der FDP ausgerufene "mitfühlende Liberalismus" wird die Abwendung der Wähler und der Unionsparteien nicht verhindern können.