Mikrokredite funktionieren anders

Dass es einen Bedarf an Kleinstkrediten gibt, heißt noch lange nicht, dass diese auch das Leben der Kreditnehmer verbessern

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Muhammad Yunus hat die Idee 2006 den Friedensnobelpreis eingebracht: Fast die Hälfte der erwachsenen Weltbevölkerung hat kein Bankkonto und damit auch keinen Zugang zu formalisierten Bankfunktionen - Geld leihen kann sich dieser meist auch am unteren Ende der Einkommensskala angesiedelte Teil der Menschheit höchstens bei meist ebenso armen Freunden und Verwandten. Yunus' in Bangladesh angesiedelte Grameen-Bank hat sich deshalb bewusst vor allem um diese Gruppe gekümmert und etwa 2009 rund acht Millionen Kunden mit Mikrokrediten von im Mittel 127 Dollar versorgt. Weltweit sollen die in diesem Gebiet tätigen Banken inzwischen etwa 190 Millionen Kunden gewonnen haben.

Sie argumentieren mit dem Anspruch der „Hilfe zur Selbsthilfe“: Erst Kleinstkredite ermöglichen es demnach den Ärmsten der Armen, sich ein Gewerbe aufzubauen und sich so einen Weg aus ihrer Situation zu erarbeiten. Ganz besonders Frauen würden davon profitieren - die Mikrokredite leisten also auch einen Beitrag zur Emanzipation. Allerdings gibt es bei allem Erfolg auch kritische Stimmen. Die Kleinstsummen sind zum Beispiel sehr teuer - üblich sind Jahreszinsen von zehn bis 100 Prozent, die jeder deutsche Kreditnehmer als Wucher bezeichnen würde.

Das liegt nicht unbedingt an der Profitgier der Banken: Der Aufwand pro Kredit bleibt ja ungefähr gleich, und das Ausfallrisiko ist ungleich höher. Zudem konzentriert sich die Berichterstattung auf die Erfolge, die womöglich derzeit überwiegen, weil die ersten Kreditnehmer natürlicherweise Menschen mit besonderem unternehmerischen Mut sind. Echte wissenschaftliche Studien zur Funktionsweise der Mikrokredite fehlten jedoch bislang.

Foto: Jon Smith. Lizenz: CC-BY-SA.

Im Wissenschaftsmagazin Science präsentieren die auf Maßnahmen zur weltweiten Armutsbekämpfung spezialisierten US-Ökonomen Dean Karlan und Jonathan Zinman nun erstmals eine Arbeit, die die Folgen der Kleinstkreditvergabe wissenschaftlich randomisiert untersucht. Dazu haben die Forscher mit einer auf diesem Gebiet tätigen Bank auf den Philippinen zusammengearbeitet. Sie vergibt an Kleinstunternehmer Mikrokredite mit einer mittleren Laufzeit von drei Monaten zu hochgerechnet 60 Prozent effektivem Jahreszins.

Das ist, verglichen mit anderen profitorientierten Kreditgebern in diesem Gebiet, relativ günstig, die meist 20 Prozent Monatszins berechnen. Dabei wurden im Mittel umgerechnet 220 Dollar verliehen - ein hoher Betrag, auf die Einkommensverhältnisse der Kreditnehmer bezogen. Bei einem Drittel der Kredite wurden denn auch mindestens einmal die Raten zu spät gezahlt, und jeden 13. Kredit musste die Bank völlig abschreiben. Die Kreditnehmer benötigten das Geld in der Mehrzahl für den Betrieb eines typischen Krämerladens, hinzu kamen Service-Geschäfte wie Auto-Reparatur, Friseur, Schneiderei oder Wasserlieferanten.

Die Kreditvergabe gestaltete die Bank auf Bitte der Forscher randomisiert: Unter den vor allem weiblichen Antragstellern wurde per Zufall eine Hälfte ausgewählt, die einen Kredit erhielt, während die andere Hälfte abgelehnt wurde. Dabei wählten die Forscher ein intransparentes Verfahren, weder die Antragsteller noch die Bank erfuhren jemals, ob ein Kredit wegen mangelnder Kreditwürdigkeit oder wegen des Zufallsfaktors abgelehnt wurde.

Die Wissenschaftler konnten so verfolgen, wie sich die Kreditvergabe auf das weitere Leben der Beteiligten auswirkt. Ihre Ergebnisse sind relativ ernüchternd: Zunächst einmal borgten sich, wie zu erwarten, die Kreditnehmer danach weniger von Freunden und Verwandten. Der Geschäftserfolg verbesserte sich allerdings nicht - eher im Gegenteil: Die mit Krediten bedachten hatten nach einem Jahr etwas weniger Angestellte als die Vergleichsgruppe. Weder ihr Profit noch ihr Umsatz oder ihre Warenbestände erhöhten sich signifikant.

Auch der den Kleinstkrediten zugeschriebene Einfluss auf die Lebensqualität bestätigte sich nicht, insgesamt ergab sich im Mittel ein schwaches Absinken der subjektiv empfundenen Lebensqualität. Obwohl 85 Prozent der Antragsteller Frauen sind, fanden die Forscher bei den Auswirkungen des Kredits keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bis auf die Tatsache, dass männliche Kreditnehmer danach etwas mehr Stress empfanden. Eine positive Auswirkung der Mikrokredite konnten die Forscher aber doch feststellen: Die Kreditnehmer konnten nun ihre finanziellen Risiken besser managen. Sie wurden auch von Freunden und Verwandten als kreditwürdiger angesehen und konnten so im Fall des Falles auf weitere Ressourcen zugreifen.

Auch das subjektive Vertrauen der Kreditnehmer in ihr soziales Netzwerk erhöhte sich - die Mikrokredite führten also zu einem verstärkten Zusammenhalt. Ein Schlusswort zu dem Thema wollen die Forscher damit allerdings noch nicht gesprochen haben. So war ihr Studiendesign zum Beispiel nicht geeignet, Konkurrenz-Effekte zu betrachten: Führt womöglich die Kreditvergabe an einen Kleinstunternehmer dazu, dass es dessen Konkurrenten schlechter geht? Antworten auf solche Fragen braucht, wer statt bisher 190 Millionen Menschen diese Ressourcen den 2,5 Milliarden Erwachsenen zur Verfügung stellen will, die weltweit dafür in Frage kommen.

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