Gesetz zum Atomausstieg könnte am Verfassungsgericht scheitern

Das Gesetz ist zu schlecht formuliert, wie in einer Anhörung im Umweltausschuss deutlich wurde

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Die Änderung des Atomgesetzes, mit der die Bundesregierung den Atomausstieg festschreiben will, steht weiterhin in der Kritik. Zwar sind Union und FDP der Opposition entgegen gekommen und haben nun für einzelne Atomkraftwerke Ausstiegsdaten festgelegt, doch vieles passt noch nicht zusammen. Handwerkliche Fehler im Gesetz könnten den Ausstieg sogar ganz gefährden, warnen Experten.

Vieles passt nicht zusammen bei der beschleunigten Energiewende, die die Bundesregierung nach Fukushima vollmundig angekündigt hat. Das fängt schon auf der ersten Seite des Gesetzentwurfes an, wenn Union und FDP allen Ernstes behaupten, durch die Einrichtung der Ethikkommission den "gesellschaftlichen Dialog" über die Gefahren, die von der Kernenergie ausgehen, überhaupt erst angestoßen zu haben. Schwarz-gelb will nicht wahr haben, in der Atompolitik von Bürgerprotesten getrieben zu sein, die deutlich länger bestehen, als die Kanzlerin Angela Merkel in der Bundespolitik tätig ist.

Doch in dieser Realitätsverweigerung liegt nicht die Kritik an dem aktuellen Gesetzentwurf. Vielmehr drängen sich verfassungsrechtliche Bedenken auf, weil das Papier in sich nicht stimmig ist. Denn geht es nach dem Gesetzestext und der zugehörigen Begründung, dann werden die Atomkraftwerke nicht etwa abgeschaltet, weil sie unsicher sind. Nein, die Kraftwerke werden abgeschaltet, obwohl sie "einen hohen Robustheitsgrad aufweisen" - also angeblich sicher sind.

Zudem staffelt die Bundesregierung den Ausstieg. Die ältesten sieben Atomkraftwerke und Krümmel sollen sofort vom Netz gehen, von 2015 bis 2019 folgen dann alle zwei Jahre die Kraftwerke Grafenrheinfeld, Grundremmingen B und Philippsburg 2, die verbliebenen sechs sollen in Dreiergruppen bis 2021 beziehungsweise 2022 heruntergefahren werden. Wie die Bundesregierung zu dieser Reihenfolge kommt, verrät der Gesetzentwurf nicht. Stattdessen betont sie sogar noch in der Gesetzesbegründung, dass die Ergebnisse, die die Reaktorsicherheitskommission geliefert hat, nicht für die Erstellung irgendeiner Rangfolge taugt.

Wolfgang Renneberg, der elf Jahre lang im Bundesumweltministerium für die Atomaufsicht zuständig war und nicht nur Physiker, sondern auch Jurist ist, kritisiert den Gesetzentwurf scharf. Wenn man wolle, dass das Atomgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert, dann könne man das so lassen, so Renneberg lakonisch während einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages. Der Gesetzgeber müsse klarstellen, warum ein Kraftwerk anders behandelt werde als die anderen. Renneberg befürchtet, dass der bisherige Entwurf gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes verstößt .

Mit seiner Kritik steht Renneberg nicht allein da. Auch Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) kritisierte, dass im Gesetzentwurf keine Begründung dafür vorhanden sei, warum Krümmel sofort abgeschaltet werden soll, Grafenrheinfeld aber bis 2015 betrieben werden darf.

Das krampfhafte Festhalten der Bundesregierung an der Behauptung, die deutschen Kernkraftwerke seien eigentlich die sichersten der Welt, könnte ihr also nun Probleme bereiten - was in jedem Fall den Kraftwerksbetreibern, aber auch den Teilen der Regierungsparteien, die immer noch an der Laufzeitverlängerung hängen, zupass kommen würde. Nichts wäre ein besseres Argument, zur alten Energiepolitik zurückzukehren, als eine negative Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.

Ingo Luge, Vorstandsvorsitzender der E.ON, versucht dann auch vor dem Umweltausschuss, die Stellungnahmen von RSK und Ethikkommission zu seinen Gunsten auszulegen. Beide Kommissionen hätten den hohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke bewiesen, so Luge. Trotzdem erkenne er den Willen an, aus der Atomenergie auszusteigen. Allerdings verlange er einen Ausgleich, da er zum Schutz seiner über 500.000 Anteilseigner derartige Vermögensschäden nicht hinnehmen könne. Sein Unternehmen sei aber bereit, Nachrüstungen an den Anlagen durchzuführen, die wirtschaftlich vertretbar sind.

Luge will nicht, dass sein Unternehmen beim Umbau der Energieversorgung zu hart angefasst wird. Es brauche für die Energiewende Großunternehmen, die mutig investieren, erklärte der Vorstandsvorsitzende. Nur die Energieunternehmen könnten die notwendigen Investitionen sicherstellen. Zudem sei die Energiewende schon Bestandteil der Strategie von E.ON. Tatsächlich trägt E.ON kaum etwas zum Umstieg auf Erneuerbare Energien in Deutschland bei. Wenn der Konzern in diesem Bereich investiert:www.verivox.de/nachrichten/eon-investiert-in-deutschland-nur-wenig-in-erneuerbare-energien-73823.aspx, dann meist im Ausland.

AKW als Kaltreserve

Uneinigkeit gab es darüber, ob ein Atomkraftwerk als Kaltreserve sinnvoll sei. Martin Fuchs vom Netzbetreiber TenneT TSO, der das Stromnetz seit dem Moratorium am Limit sieht, findet diese Entscheidung der Bundesregierung, die auf eine Initiative der FDP zurückgeht, richtig. Die Kaltreserve sei eine Versicherungspolice, so Fuchs. Vertreter von Umweltschutzverbänden lehnen den Einsatz von Atomkraftwerken als Kaltreserve jedoch als unsinnig und gefährlich ab.

Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) führte aus, dass sowohl Siede- als auch Druckwasserreaktoren, die sich im Zustand "unterkritisch kalt" befinden, innerhalb von rund 24 Stunden mit dem Netz synchronisiert werden könnten. Ein bis zwei Tage müssten daher eingeplant werden, wenn ein Kernkraftwerk angefahren wird. Sind die Brennelemente entfernt, dauere das Anfahren rund eine Woche. Lediglich dann, wenn das Kraftwerk im Eigenbedarf gehalten wird, kann der Leistungsbetrieb Knebel zufolge innerhalb von weniger als einer Stunde aufgenommen werden. Bei der FDP ist man damit zufrieden. Eine Frist von einer Woche hält der Umweltpolitiker der Liberalen, Michael Kauch, "als Reserve für außergewöhnliche Wetterlagen" für ausreichend.

Zweifel an der Energiewende

Doch auch der beschleunigte Umstieg auf Erneuerbare Energien ist bei der christlich-liberalen Bundesregierung nicht auszumachen. Nach wie vor hält sie an ihrem Ausbauziel vom vergangenen Herbst fest, wonach 35 Prozent der Stromversorgung im Jahr 2020 aus regenerativen Quellen erzeugt werden soll. Die Atomkraftwerke sollen nicht durch Erneuerbare Energien ersetzt werden, in der Regierung herrscht offensichtlich noch das alte Denken an Grundlastkraftwerke vor. Dass keinerlei Interesse an zusätzlichen Erzeugungskapazitäten bei Onshore-Windanlagen besteht, zeigte schon Minister Peter Ramsauer auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel und seinen Kabinettskollegen Rösler und Röttgen, als er erklärte, dass bestehende Windkraftanlagen durch weniger, aber leistungsfähigere Anlagen ersetzt werden sollten. Anstatt den technischen Fortschritt zu nutzen, um auf gleicher Fläche mehr Strom zu produzieren, soll die Fläche verringert und der Ertrag beibehalten werden.

Baake kritisierte denn auch, dass die Energiewende nicht darin bestehen könne, dass die Regierung an ihren Ausbauzielen für Erneuerbare festhält und Atomstrom durch Kohlestrom ersetzt. Regenerative Energieträger könnten bis 2020 einen Anteil von 45 Prozent an der Stromversorgung haben, ist er überzeugt. Dann könnte auch weniger Netzausbau erforderlich sein. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat zwar derzeit keine Studie für ein solches Szenario. Jedoch deutete dena-Geschäftsführer Stephan Kohler an, dass wahrscheinlich weniger Netzausbau erforderlich sei, wenn im Süden Deutschlands regenerative Kraftwerke zugebaut würden und gleichzeitig der Anteil der Erneuerbaren auf über 40 Prozent stiege.

Trotz der erheblichen Bedenken der Experten im Umweltausschuss ist zumindest von Seiten der Sozialdemokraten nicht mit einer Ablehnung des Gesetzentwurfs der Regierung zu rechnen. Frank-Walter Steinmeier erklärte nur einen Tag vor Merkels Regierungserklärung zum Atomausstieg im Bundestag, dass die SPD bereit ist, das Gesetz mitzutragen. Immerhin kehre die Bundesregierung zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss zurück. "Wenn wir jetzt wieder an diesem Punkt sind, suche ich nicht taktisch nach Gründen, um der Koalition eine Zustimmung zur Laufzeitbegrenzung zu verweigern", so Steinmeier im Interview. Die Sozialdemokraten haben sich damit als kritische Opposition selbst aufgegeben.