"Notwendig wäre aus meiner Sicht hier ein sauberer investigativer Journalismus"

Fragen zu den Bilderberg-Konferenzen II

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Auch an Vertreter aus dem wissenschaftlichen Feld wurden Fragen zum Thema Bilderberg-Konferenz gestellt. Das Auffinden von Wissenschaftlern, die bereit waren, sich zu dem Thema zu äußern, gestaltete sich als schwierig. Selbst gestandene Professoren der Politikwissenschaft wollten aufgrund fehlender Kenntnis zu dem "Phänomen Bilderberg" nichts sagen, für einen war der "Verein" zu "dubios" und "diffus", andere waren zeitlich eingespannt. Die Gesellschaftswissenschaftler Dieter Plehwe, Michael Schetsche und Uwe Bittlingmayer stellten sich jedoch den Fragen, die sie per Email beantworteten.

In Teil 1 wurden Vertreter aus dem journalistischen Feld gefragt: "Einen 'Schweigepakt' kann ich mir nur schwer vorstellen")

Für wen sprecht Ihr überhaupt? Und welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft?

Michael Schetsche, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg.

Zu den Bilderberg-Konferenzen kommen Funktionsträger aus der Wirtschaft (zu Zweidrittel!), aus der Politik, aber auch aus dem Adel, den Medien und der Wissenschaft. Wie bewerten Sie es, wenn eine Weltelite sich unter den Bedingungen, wie es die "Bilderberger" tun, trifft, also unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit und ihre Mitglieder sich zu einer Art Schweigepakt verpflichten?

Michael Schetsche: Nach meiner Auffassung sind solche Treffen gleichermaßen hilfreich wie riskant. Hilfreich sind sie, weil hier politische Austausch- und Abstimmungsprozesse quer zu den sonst üblichen Diskussionszirkeln stattfinden. Riskant, weil diese Treffen, nicht zuletzt aufgrund der systematischen Geheimhaltungspraktiken, den Verdacht nahelegen, hier würden Macht- und Entscheidungsstrukturen etabliert, die außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle stehen. Und nach allem, was ich über diese Konferenzen weiß, scheint mir dieser Verdacht auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen.

Wie erklären Sie sich, dass es bis Ende der 90er Jahre so gut wie keine Berichterstattung in der deutschen. Presse zu der Gruppe gegeben hat. Noch bis 2008 wurde hauptsächlich von alternativen News-Seiten über die Konferenzen berichtet. Erst in den letzten drei Jahren zeigen sich langsam auch größere Medien interessiert.

Michael Schetsche: Dies hängt zum einen mit den strikten Geheimhaltungsregeln zusammen - an die sich in den letzten Jahrzehnten offenbar fast alle der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gehalten haben. Es handelt sich um ein sehr gut funktionierendes Kartell des Schweigens. Zum anderen hängt dies damit zusammen, dass Vertreter wesentlicher Machtpositionen in der internationalen Medienlandschaft fast von Beginn an Teil dieses Kartells waren. Wer als Medienunternehmer schon zu einer der Konferenzen eingeladen war, nötigte die von ihm abhängigen Medien zum Verzicht auf eine Berichterstattung - wer noch nicht eingeladen war, tat Gleiches in der Hoffnung, irgendwann selbst zum erlauchten Kreis zu gehören. Ob es darüber hinaus politischen oder ökonomischen Druck von Seiten der "Bilderberger" auf einzelne Medien gegeben hat, weiß ich nicht.

Haben Sie Verständnis dafür, dass sich durch das Internet und mit dem Internet, eine Gegenöffentlichkeit formiert hat, die auf die Konferenzen aufmerksam macht, darüber diskutiert, publiziert und die Treffen auf ihre Art mit einem kritischen Auge beobachtet?

Michael Schetsche: Die Neuen Medien folgen ohnehin ihrer eigenen Logik. Da es dort kaum eine Kontrolle von Informationen durch Redaktionen oder andere Instanzen gibt, kann praktisch jeder Inhalt in Netz verteilt werden und seine Interessenten erreichen. Die Berichterstattung über die Bilderberg-Konferenzen ist hier, wie alle anderen Informationen auch, in erster Linie der Ökonomie der Aufmerksamkeit unterworfen. Und die Aufmerksamkeit für diese spezielle "Veranstaltung" ist im Netz vergleichsweise groß, weil es ein erhebliches Interesse vieler Nutzergruppen an allem gibt, was auch nur nach "Verschwörung" oder "unterdrückter Information" riecht. Je weniger in den traditionellen Medien über die Konferenzen berichtet wird, so bedeutsamer wird die alternative Berichterstattung in den Netzwerkmedien.

Sollten Ihrer Meinung nach Leitmedien und Wissenschaft sich stärker mit den Konferenzen auseinandersetzen?

Michael Schetsche: Ich denke, dass in der demokratischen Gesellschaft Leitmedien, aber auch die Wissenschaften immer dann besonders gefragt sind und auch eine besondere Verantwortung tragen, wenn bestimmte Themen im Modus der Geheimhaltung verhandelt werden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Bilderberg-Konferenzen mögen gute Gründe haben, sich dem "Kartell des Schweigens" zu unterwerfen - für Journalisten und auch für Wissenschaftler gelten aber andere Regeln. Vertraulichkeit ist in der demokratischen Gesellschaft notwendig und gelegentlich auch politisch legitim - ebenso notwendig und legitim ist es aber auch, von Seiten einer kritischen Öffentlichkeit nachzufragen: Was verhandelt ihr dort? Für wen sprecht Ihr überhaupt? Und welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft? In welchem Maße sich Journalisten, aber auch Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten den Schweigeritualen jener Eliten unterworfen haben, halte ich persönlich für höchst bedenklich.

Es ist durch das Internet heutzutage nicht mehr ganz so leicht, im Verborgenen zu agieren.

Uwe Bittlingmayer, Soziologe, Dozent am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Zu den Bilderberg-Konferenzen kommen Funktionsträger aus der Wirtschaft (zu Zweidrittel!), aus der Politik, aber auch aus dem Adel, den Medien und der Wissenschaft. Wie bewerten Sie es, wenn eine Weltelite sich unter den Bedingungen, wie es die "Bilderberger" tun, trifft, also unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit und ihre Mitglieder sich zu einer Art Schweigepakt verpflichten?

Uwe Bittlingmayer: Das mutet natürlich seltsam an in einer Gesellschaft, die sich zumindest formal als demokratische präsentiert, auch wenn sie sich in ihrer Praxis stetig von einer gelebten Demokratie entfernt hat. Aber die Bewertung einer solchen Konferenz oder ähnlicher Organisationen ist insgesamt nicht leicht, weil sie zwei Gefahren beinhaltet.

Einerseits kann man sehr schnell in so genannten Verschwörungstheorien landen, die die Komplexität unserer aktuellen gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen unterschätzen und auf die Aktivitäten solcher Vereinigungen reduzieren. Andererseits besteht die Gefahr, solche "internationalen Lenkungsausschüsse" vollkommen zu unterschätzen und deren Bemühungen um eine gemeinsame internationale strategische Ausrichtung unter Ausschluss sämtlicher demokratischer Prinzipien, die im Falle der Bilderberg-Konferenzen ja wie so vieles der aktuellen Politik noch ein Relikt des Kalten Krieges sind, nicht ernst genug zu nehmen.

Insofern enthält ein zu schnell geäußerter Verdacht von verschwörungstheoretischen Modellen auch ein eminent konservatives Moment. Darauf hat der Münsteraner Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski sehr richtig hingewiesen. Eine soziologische Analyse müsste versuchen, einen Weg durch diese beiden Gefahren zu bahnen und das geht sicher nur über einen empirischen Zugang.

Haben Sie Verständnis dafür, dass sich durch das Internet und mit dem Internet, eine Gegenöffentlichkeit formiert hat, die auf die Konferenzen aufmerksam macht, darüber diskutiert, publiziert und die Treffen auf ihre Art mit einem kritischen Auge beobachtet?

Uwe Bittlingmayer: Selbstverständlich - da kommen alle Stärken des Mediums Internet zum Tragen. Es ist durch das Internet heutzutage nicht mehr ganz so leicht, im Verborgenen zu agieren. Und die Formierung einer Gegenöffentlichkeit ist in Zeiten, in denen die Medienproduzenten selbst unter enormen ökonomischen Druck stehen und für die Aufrechterhaltung unschöner gesellschaftlicher Zustände mit verantwortlich sind, absolut notwendig.

Gerade die Medien spielen bei der aktuell dominanten Perspektive auf unsere Gesellschaften als vermeintlich schicksalhafte, politisch nicht wirklich steuerbare und von unsichtbaren Mächten und zufälligen Ereignissen durchzogene Welten eine zentrale Rolle - auch wenn das natürlich in dieser Allgemeinheit zu pauschal ist. Dadurch, dass durch eine solche internetbasierte Gegenöffentlichkeit Vereinigungen und Institutionen wie die Bilderberg-Konferenzen, die ja selbst nur eine Vereinigung unter anderen ist, ich verweise nur auf die Mont Pelerín Society, beobachtet und benannt werden, werden politische Grundsatzentscheidungen und übergreifende politische Strategien überhaupt wieder zurechenbar und mit konkreten Menschen und ihren Sichtweisen verbunden. Man gewinnt dann immerhin wieder das Gefühl, dass Geschichte von Menschen gemacht wird und enthält jenseits idealistischer Spekulationen über mystische Marktgesetze konkrete Akteure, die konkrete Ansatzpunkte für eine demokratische Kritik liefern könnten. Andererseits sollten die Potenziale einer lediglich internetgestützten Gegenöffentlichkeit aber auch nicht überschätzt werden.

Sollten Ihrer Meinung nach Leitmedien und Wissenschaft sich stärker mit den Konferenzen auseinandersetzen?

Uwe Bittlingmayer: Ich denke, dass sie das tun sollten, aber nicht nur in Form von skandalisierenden Berichterstattungen in den Leitmedien, die schnell wieder vergessen sind, und essayistischen Bearbeitungen über die möglichen Machenschaften von solchen Vereinigungen in der Wissenschaft, die zu spekulativ bleiben. Notwendig wäre aus meiner Sicht hier ein sauberer investigativer Journalismus, für den in der Regel im Tagesgeschäft keine Zeit bleibt. Und notwendig wäre eine vorurteilsfreie theoretische und empirische sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Institutionen.

Analysiert und empirisch rekonstruiert werden müssten beispielsweise Entscheidungswege, die ausgehend von Konsensen auf solchen Konferenzen in unmittelbare politische Entscheidungen hinein führen - das wird sicher nicht so plump sein wie im Falle Röslers, wo die Pharmaindustrie die Gesetzesentwürfe selbst diktiert hat. Aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive müsste aber gleichzeitig analysiert werden, inwieweit solche informellen Institutionen, Organisationen und Zusammenschlüsse mehr oder weniger normaler funktionaler Bestandteil kapitalistischer Vergesellschaftung und der in ihnen eingeschriebenen Herrschaftsverhältnisse sind. Aus einer demokratietheoretischen Perspektive müsste analysiert werden, auf welcher Legitimationsgrundlage solche Vereinigungen und Konferenzen aufruhen und wie das normativ zu beurteilen ist, usw. Aber ich fürchte, dafür ist im Tagesgeschäft der Wissenschaft nach den Bologna-Reformen genau so wenig Zeit und außerdem sind solche Analysen vermutlich auch nicht "drittmittelfähig".

Demokratie braucht keine undurchsichtige Fernsteuerung

Dieter Plehwe, Politikwissenschaftler, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Zu den Bilderberg-Konferenzen kommen Funktionsträger aus der Wirtschaft (zu Zweidrittel!), aus der Politik, aber auch aus dem Adel, den Medien und der Wissenschaft. Wie bewerten Sie es, wenn eine Weltelite sich unter den Bedingungen, wie es die "Bilderberger" tun, trifft, also unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit und ihre Mitglieder sich zu einer Art Schweigepakt verpflichten?

Dieter Plehwe: Wer sich versteckt, hat etwas zu verbergen. Es mutet sehr anachronistisch an, wenn internationale Eliten eine solche Art von Geheim-Diplomatie betreiben, die übrigens vor allem rechtsradikale Verschwörungstheorien beflügelt. Überbewertet sollte Bilderberg nicht werden, weil andere transnationale Elitentreffen wie die Trilaterale Kommission und das Davoser Weltwirtschaftsforum sicherlich nicht weniger wichtig sind, nur weil sie nicht so geheim tagen.

Wie erklären Sie sich, dass es bis Ende der 90er Jahre so gut wie keine Berichterstattung in der dt. Presse zu der Gruppe gegeben hat. Noch bis 2008 wurde hauptsächlich von alternativen Newsseiten über die Konferenzen berichtet. Erst in den letzten drei Jahren zeigen sich langsam auch größere Medien interessiert.

Dieter Plehwe: Die kritische Öffentlichkeit ist zum Glück zunehmend sensibel für elitäre und anti-demokratische Elitenpolitik. Vielleicht kann die Bilderberg-Kritik mit der Guttenberg-Dissertation verglichen werden. Früher wurden die Praktiken der Privilegierten leichter hingenommen. Heute gibt es Instrumente und Mechanismen, mit denen die Privilegien in Frage gestellt werden können.

Haben Sie Verständnis dafür, dass sich durch das Internet und mit dem Internet, eine Gegenöffentlichkeit formiert hat, die auf die Konferenzen aufmerksam macht, darüber diskutiert, publiziert und die Treffen auf ihre Art mit einem kritischen Auge beobachtet?

Dieter Plehwe: Sehr viel mehr noch als Verständnis habe ich große Sympathie für diejenigen, welche die bislang weitgehend ungestörten Kreise globaler Eliten stören. Demokratie braucht keine undurchsichtige Fernsteuerung.

Sollten Ihrer Meinung nach Leitmedien und Wissenschaft sich stärker mit den Konferenzen auseinandersetzen?

Dieter Plehwe: Medien und Wissenschaft sind unabdingbar, um die Ansprüche von Bürgerinnen und Bürgern auf Zugänge zu den Prozessen der Globalisierung der Politik zu unterstützen. Lokale Zusammenhänge sind für viele leicht durchschaubar, nationale sind bereits kompliziert und europäische und globale sind für die meisten Teile der Bevölkerung sehr weit weg und undurchsichtig. Die Zukunft der Demokratie hängt sehr stark davon ab, ob das Ungleichgewicht bzw. das Übergewicht sehr kleiner Elitenzirkel verringert werden kann.