Anonymous protestiert gegen geplante Internetfilter in der Türkei

Am Sonntag hat die Polizei 32 angebliche Anonymous-Mitstreiter festgenommen

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Die türkische Regierung will die Menschen und vor allem die Kinder vor den vermeintlichen Gefahren des Internet schützen. Ab August wird es wie in den Internetcafes schon üblich keinen filterfreien Zugang zum Internet mehr geben.

Nach dem Wunsch der eben wieder gewählten Regierung unter dem Regierungschef Erdogan müssen die Internetnutzer eine von vier Filterversionen wählen: Familie, Kinder, Haushalt und Standard. Ein Umgehen der Filter soll unter Strafe gestellt werden. Die Liste der gesperrten Seiten wird von der Telekommunikationsbehörde TIB erstellt und bleibt geheim. Schon jetzt sind Tausende von Websites gesperrt. Für eine umfassende politische Zensur sind damit alle Möglichkeiten vorhanden. Im Mai protestierten allein in Istanbul 50.000 Menschen gegen den Internetfilter, auch in zahlreichen anderen Städten gab es Demonstrationen.

Es wird offenbar auch daran gedacht, eine Liste mit bestimmten Wörtern als Grundlage für die Filter einzusetzen. Auf der Liste sollen sich beispielsweise die englischen Wörter "beat", "escort", "homemade" "hot", "nubile", "free" oder "teen" befinden. Verboten werden soll auch "pic", weil dies auf Türkisch "Bastard" bedeutet, "gay" ist auf Englisch und "gev" auf Türkisch unerwünscht.

"Diese Maßnahme stellt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention und zugleich der türkischen Verfassung dar", kritisieren Reporter ohne Grenzen. "Das Recht auf unbehinderten Zugang zum Internet sollte für jeden unangetastet bleiben." Erdogan sagte vor den Wahlen allerdings, dass die Regierung nicht das Internet zensiere, "sondern ganz im Gegenteil. Wenn man Anstößiges veröffentlicht, ist ein Filter notwendig … Der Filter wird von den Menschen verwendet, die ihn wollen. Wer ihn nicht will, wird ihn nicht verwenden." Auch Präsident Gül erklärte, dass niemand gezwungen werde, den Filter zu verwenden. Da Einzelheiten noch immer nicht bekannt sind, bleibt letztlich ungeklärt, wie freiwillig oder verpflichtend das Filtersystem sein wird. Zumindest vor den Wahlen hatte sich die Regierung bedeckt gehalten.

Am letzten Donnerstagabend wollte Anonymous aus Protest gegen die geplante Internetzensur die Website der Telekommunikationsbehörde mit einem DDoS-Angriff lahmlegen, was bereits zuvor angekündigt worden war (Video). Nach Medienberichten konnte die Behörde die Angriffe abwehren, indem die Server permanent schnell gewechselt wurden. Nur kurzzeitig sei die Website unzugänglich gewesen. Es wurden auch andere Websites wie www.ihbarweb.org.tr angegriffen, wo man anstößige Inhalte der Behörde melden kann. Aus dem Ausland kann die TIB-Website schon seit Tagen nicht mehr aufgerufen werden.

Anonymous hat gestern zu neuen und stärkeren Angriffen auf türkische Websites als Protest gegen die Einführung der Internetzensur aufgerufen. Angegriffen würden aber keine politischen Websites und auch keine Medien.

Am Sonntag hat die türkische Polizei 32 Personen, darunter auch 9 Minderjährige, festgenommen, die angeblich die Website der Wahlbehörde lahmlegen wollten. Die neun Minderjährigen sollen inzwischen wieder freigelassen worden sein. Die Polizei bringt die "Hacker" in Verbindung mit Anonymous und den DDoS-Angriffen auf die Telekommunikationsbehörde. Anonymous bestreitet jedoch, dass die Website der Wahlbehörde ein Ziel gewesen sei.