Wider die Dichotomie von Fremden und Einheimischen

Biologen fordern eine Abkehr von der Verteufelung "invasiver" Arten im Naturschutz

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Auch in den Wissenschaften ist man nicht frei von Ideologien, zumal wenn sie so fundamental sind wie die weit verbreitete Xenophobie und deren Kehrseite, die Aufrechterhaltung der (territorialen) Identität der Familie, des Clans, der Volksgruppe oder der Nation. In den letzten Jahrzehnten hat die Xenophobie auch in der Biologie und den Natur- und Artenschutz Eingang gefunden, nachdem sich durch die globalisierten Handels- und Reisewege, die Veränderungen und Zerstörungen von Ökosystemen und die Klimaerwärmung auch die Migration von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen verstärkt hat.

Biologen sprechen von invasiven Arten, wenn Arten in Gebiete einwandern, in denen sie bislang nicht gelebt haben, dort Fuß fassen und mit den bislang heimischen in Konkurrenz treten oder koexistieren. Obgleich es nicht nur Wanderungen von Menschen, sondern auch von Arten immer wieder gegeben hat und die Natur sowie die Menschheit, wie sie sind, sich nicht in einer andauernden Isolation hätten entwickeln können, neigen Naturschützer gerne zum biologischen Nationalismus, der dem politischen nahe ist. Als hätte sich die jeweilige Ökonische mit ihren Arten nicht unter anderem auch durch Migration entwickelt, scheint man das Leben, wie es ist, einfrieren zu wollen, weswegen Arten, die nicht dazugehören, als invasive bezeichnet und zudem gerne als gefährlich eingestuft werden. Letztlich wird damit auch Veränderung an sich als Bedrohung gesehen (Europas Grenzen werden überrollt).

Jetzt haben 19 Biologen in der Zeitschrift Nature dazu aufgerufen, das "Vorurteil gegenüber nichtheimischen Arten zu beenden". Die seien in den letzten Jahrzehnten verteufelt worden, weil sie angeblich die "geliebten 'heimischen' Arten" mit Auslöschung bedrohen und "die 'natürlichen' Umwelten" verschmutzen. Dieses wissenschaftliche Vorurteil habe Eingang in die öffentliche Meinung gefunden und werde nun von Umweltschützern, Landmanagern und Politikern geglaubt.

Man solle endlich damit aufhören, Organismen nach ihrer Herkunft zu beurteilen, sondern vor allem auf ihren Einfluss auf die Umwelt achten, schließlich verändern sich die natürlichen Systeme der Vergangenheit unwiderruflich etwa durch Klimawandel, Verstädterung oder Eutrophierung. Die Dichotomie von heimischen und fremden Arten, die von dem britischen Botaniker John Henslow 1835 eingeführt wurde und in den 1990er Jahren in die "Invasionsbiologie" gemündet sei, habe praktisch immer weniger Bedeutung und werde sogar kontraproduktiv.

Zwar haben manche eingeführten Arten zur Verdrängung von anderen Arten oder zu erheblichen Schäden geführt, aber die beschworenen Katastrophen würden nicht von Daten bestätigt werden, zumal auch heimische Arten in sich schnell wandelnden Ökosystemen schädlich werden können. So ist der Käfer, der in Nordamerika für den Tod der meisten Bäume verantwortlich gemacht wird, ein "heimischer", nämlich der Bergkiefernkäfer (Dentroctonus ponderosae). Auf der anderen Seite hätten sich viele fremde Arten als positiv oder nützlich erwiesen.

Naturschutz dürfte nicht länger einfach darauf ausgerichtet sein, Ökosysteme in einen irgendwie als richtig empfundenen historischen Zustand zurückzuversetzen und fremde Arten auszurotten, sondern sollte auch neuartige Ökosysteme einbeziehen, in die eingewanderte Arten integriert werden. Statt um die Herkunft sollte es um die Funktionen der Arten im Hinblick auf ein Ökosystem, die Artenvielfalt oder die menschliche Gesundheit gehen. Das wäre womöglich ein pragmatisches Rezept, das auch auf Staaten anwendbar wäre: keine Abschottung mehr vor Migranten, sondern eine gezielte Zuwanderung und Integration, wodurch sich Gesellschaften verändern. Allerdings ist das Konzept der Biologen natürlich nicht auf Politik umzusetzen, schon allein deswegen, weil es keine Menschenarten, sondern nur unterschiedliche Kulturen gibt - und weil auch die pragmatisch gesteuerte Zuwanderung nach gewünschten Funktionen eine Diskriminierung wäre, selbst wenn man die Funktionen unabhängig von Herkunft nur durch Tests überprüfen würde.