Russlands Verzicht auf MH17-Aufklärung

Standen westliche Veröffentlichungen zum MH17-Absturz an, dann legte Russland jedes Mal eigene Dokumente vor, um die Unschuld der Separatisten zu beweisen

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Die erste ausführliche russische Stellungnahme erfolgte am 21.7.2014, vier Tage nach dem Absturz der MH17. Auf einer Pressekonferenz wurde ein Schaubild präsentiert, das nach Angaben des Sprechers auf der Grundlage von Radar-Aufzeichnungen erstellt wurde. Es zeigte einen SU25-Kampfjet in unmittelbarer Nähe des Geschehens. Außerdem wurden Satellitenaufnahmen vorgelegt, um die Existenz ukrainischer BUK-Abschussrampen in kritischer Entfernung zum Absturzort zu beweisen.

Als Wladimir Putin im November 2014 beim G20-Gipfel in Australien wegen des MH17-Abschusses auf die Anklagebank gezerrt werden sollte, tauchte plötzlich ein Satellitenbild auf. Dort war ein Kampfjet abgebildet, von dem sich der Schweif einer Bordrakete in Richtung der Boeing bewegt. Auch wenn sich das Foto bald als Fälschung erwies, waren die anwesenden Regierungschefs erst einmal verunsichert.

Screenshot aus dem Video des Dutch Safety Board

Ende Dezember 2014, zwei Wochen vor Veröffentlichung der in westlichen Medien viel beachteten Reportage von Correctiv, wurde in Moskau ein Zeuge vorgestellt. Dieser berichtete, dass am Tag des Absturzes der MH17 eine SU25 zur Luftwaffenbasis bei Dnjepropetrovsk zurückgekehrt sei, an der zwei Raketen fehlten. Der Pilot hätte verstört gewirkt und geäußert, ein falsches Flugzeug abgeschossen zu haben. Weitere Enthüllungen gab es in den Folgemonaten nicht, sodass das Interesse der Medien erst wieder im Herbst 2015 zunahm, als der Abschlussbericht des Dutch Safety Board (DSB) anstand.

Abschied von der Kampfjet-Version

Die Dokumentation des DSB wurde am 13.10.2015 vorgelegt. Darin wurde konstatiert, dass der Abschuss der MH17 durch eine BUK-Rakete erfolgt sei. Bereits Wochen vorher hatte der russische Rüstungskonzern Almaz-Antey eigene Untersuchungsergebnisse publiziert. Für den Fall eines BUK-Treffers wurde ausgeschlossen, dass es sich um ein gegenwärtig vom russischen Militär benutztes Fabrikat handeln könnte. Gestritten wird seitdem über die Form der Schrapnelle wie auch über den Ort, an dem die Rakete gestartet wurde. Aus unerklärten Gründen wurde von russischer Seite danach kaum mehr auf die Kampfjet-Version Bezug genommen.

Fast ein Jahr später, einige Tage vor der Berichterstattung durch das Joint Investigation Team (JIT) am 28.9.2016, präsentierte Russland primäre Radardaten aus einer Anlage bei Ust-Donetsk. Diese sollen belegen, dass aus dem von Separatisten kontrollierten Gebiet keine Rakete abgeschossen wurde. Der Sprecher wies bei der Vorstellung des Materials auf eine Drohne hin, die auf dem Radarbild deutlich zu sehen war. Nur wenige Kilometer entfernt liegt der Ort Snischne, in dessen Nähe laut JIT-Bericht die BUK-Abschussrampe der Separatisten gestanden haben soll. Der Start einer Rakete wäre doch zweifellos vom Radar erfasst worden, hieß es im Vortrag.

Primärdaten gelten allgemein als nicht manipulierbar, sodass das JIT einen schweren Brocken vorgesetzt bekam. Allerdings erscheint merkwürdig, dass zwar der Zerfall der MH17 in mehrere Teile auf dem Radarbild zu erkennen ist, dessen Verursacher aber nicht. Nun besteht allgemeiner Konsens, dass der Absturz durch externe Faktoren bewirkt wurde. Somit müsste entweder eine BUK-Rakete oder ein Militärflugzeug vom Radar erfasst worden sein, zumal die Wrackteile der MH17 kaum größer sind. Dass der Radarempfang ausgerechnet entlang des Absturzorts enden soll, wäre nicht nur seltsam, sondern es würde auch der mit 360 km doppelt so großen Reichweite des Radars wiedersprechen. Sind die Primärdaten möglicherweise doch nachbehandelt worden?

Billy Six gelangt im Zuge seiner Recherchen zu der Überzeugung, dass neben den USA auch Russland die tatsächlichen Ereignisse kennt. Während die USA, was ja Außenminister John Kerry drei Tage nach dem Absturz bekräftigt hat, über Satellitenaufzeichnungen verfügen sollen, kann sich Russland auf flächendeckende militärische Radarsysteme stützen. Dass die Rohdaten von beiden Seiten unter Verschluss gehalten werden, wird mit deren hoher Geheimhaltungsstufe begründet. Das von Russland veröffentlichte Radarmaterial ist vermutlich weniger sensibel, da es zivilen Zwecken diente.