ALG II: Selbständige als "Staatsgeldabzocker" und eine einfache Lösung

Aus der Reihe "zu viele Leute erhalten ALG II" heißt die derzeitige Folge: Selbständige. Und der BA-Chef hat für das Problem auch gleich eine Lösung parat.

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Arbeit und ALG II

Ein Großteil der Diskussionen rund um ALG II, um Sanktionen jeglicher Art, sowie die Frage, wie ALG-II-Empfänger zu mehr Arbeitswilligkeit angehalten werden können, befasst sich lediglich mit dem Teil des ALG-II-Klientels, das bisher keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Ein nicht geringer Anteil der ALG-II-Empfänger arbeitet jedoch. Zum Teil handelt es sich um geringfügig bezahlte Minijobs, um Teilzeit- oder Leiharbeit sowie um schlichtweg niedrig bezahlte Erwerbstätigkeiten (die diversen Förderungsmaßnahmen seien hier einmal außen vor gelassen). Auch Selbständige und Freiberufler sind unter jenen, die ALG II beziehen - was von der Bundesagentur für Arbeit (BA) kritisch beäugt wird.

Im Februar 2011 gab es knapp 118.000 Selbständige, die zusätzliches ALG II beantragten. Etwa 85.000 erhalten ein monatliches Erwerbseinkommen von bis zu 400 Euro, 25.000 beziehen bis zu 800 Euro, die restlichen 8.000 haben ein Einkommen, das monatlich 800 Euro übersteigt. Die Gründe dafür, dass Selbständige auf zusätzliche ALG-II-Leistungen angewiesen sind, sind vielfältig und logischerweise auch von der Art des Gewerbes bzw. der Tätigkeit abhängig. In etlichen Bereichen sind Projekte nur sporadisch zu erhalten, in der üblichen Zeit wird von Reserven gelebt, die aber irgendwann einmal erschöpft sind. Andere Erwerbstätigkeiten sind saisonabhängig, z.B. die Vermietung von Ferienhäusern. Doch auch Rechtsanwälte und Ärzte sind unter den Selbständigen, die zusätzliche Leistungen beantragen. Und - auch Firmeninhaber.

Foto: Michael Schuberthan.

Eine oft genannte Argumentation (so man dies so nennen will) in Diskussionen rund um ALG II lautet: Die sollen gefälligst arbeiten / Dann macht euch halt selbständig. Auch wird oft über die mangelnde Bereitschaft zur aktiven Erwerbstätigkeit geklagt. Nun werden Fälle debattiert, die bereits diese Bereitschaft unter Beweis stellen und die auf Grund diverser Umstände dennoch auf Leistungen des Staates angewiesen sind. Da würde man vermuten, dass die Kritik sich entweder auf die Tatsache konzentriert, dass Menschen, die bereits erwerbstätig sind, dennoch staatliche Leistungen benötigen - oder aber auf die Tatsache, dass dies gefördert wird. Beides wäre durchaus legitim, letzteres würde auch die Kritik an den 400-Euro-Jobs, den diversen "Förderungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose" sowie den "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwand" beinhalten. Doch die Kritik fokussiert auf die generelle Möglichkeit des Missbrauches.

Wer soll das überprüfen?

"Die Beurteilung darüber, ob ein Selbständiger tatsächlich hilfebedürftig ist, obwohl er zum Beispiel Angestellte hat, ob seine Betriebsausgaben vermeidbar oder angemessen sind oder das Kassenbuch stimmt, ist eher etwas für steuerfachliche Feinschmecker als für Sachbearbeiter im Jobcenter" sagt das BA-Vorstandsmitglied Alt - und nun wäre letztendlich eine Kritik am komplizierten Steuerrecht folgerichtig. Stattdessen hat Alt eine andere Lösung im Blick. "Irgendwann", so Alt, "muss man schwarze Zahlen schreiben oder - so weh es tut - die Selbständigkeit aufgeben", denn "der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mit finanzieren." Gerade dann, wenn die Antragssteller auch über Angestellte verfügen, sei eine zeitliche Begrenzung der zusätzlichen Leistungen sinnvoll.

Was Alt hierbei nicht beachtet, sind die verschiedensten Formen der Selbständigkeit (siehe oben) - und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass eine Vielzahl von Unternehmensformen vom Staat durchgehend subventioniert werden. Auch hierbei handelt es sich jeweils um eine "nicht tragfähige Geschäftsidee, die vom Steuerzahler mitfinanziert wird" - von den "Rettungen" diverser Firmen, die auf Grund verschiedenster Faktoren vom Bankrott bedroht waren, ganz zu schweigen.

Berechigt wäre einzuwenden, dass dies nun einmal nicht Herrn Alts Thema ist und der sich als BA-Vorstandsmitglied nun einmal mit den Arbeits"losen" (in diesem Fall aber eher mit den Arbeitenden) beschäftigen muss. Ein legitimer Einwand, der aber zur nächsten Frage führt: Was unterscheidet die Förderung eines Selbständigen durch zusätzliche Leistungen von den Förderungen wie sie z.B. für Langzeitarbeitslose zur Verfügung gestellt werden? Hier geht es nicht einmal um eine Geschäftsidee, die manchmal schlichtweg auch zu Engpässen führt, sondern hier geht es darum, dass die Einstellung eines offensichtlich geeigneten Menschen bis zu 50% vom Steuerzahler getragen wird, so dass für den Betrieb nur noch 50% an Kosten entstehen.

Warum? Weil auch diese "Förderungen" auf das Prinzip Hoffnung bauen - auf die Hoffnung, dass der Betrieb den Langzeitarbeitslosen danach als Arbeitskraft behält. Dass diese Hoffnung oft vergebens ist bzw. die Arbeitskraft nur noch die Phase übersteht, die im Vertrag vorgeschrieben ist, um eine Rückzahlung der Gelder zu vermeiden, ist keine Seltenheit. Beim Selbständigen kommt dieses Prinzip Hoffnung ebenfalls zum Tragen - d.h. man hofft auf bessere Tage und möchte nicht zu 100% in den ALG-II-Bezug hineinrutschen, was letztendlich eigentlich dem, was immer verlautbart wird, entgegenkommt: ALG-II-Bezieher sollen versuchen, diesem Bezug zu entgehen, sollen aktiv sein oder werden, sich auch mal mit weniger Geld zufriedengeben usw. usf.

Wie viele "betrügen" eigentlich?

Interessant an der Diskussion ist auch, dass es sich hier nicht um Leistungserschleichung handelt, sondern vielmehr um eine Nutzung der steuerrechtlichen Möglichkeiten. Die Kritik an diesem Verhalten erinnert an die frühere Diskussion darüber, dass ALG-II-Empfänger tatsächlich das in Anspruch nehmen, was ihnen zusteht. Auch hier wurde im Endeffekt nicht kritisiert, dass es Gesetze gibt, die diese Möglichkeiten anbieten (so man sie für verwerflich hält), sondern dass Menschen diese Gesetze für sich nutzen. Ein anderer Aspekt ist noch weitaus interessanter: Da es kaum ohne steuerrechtliches Wissen möglich ist, zu ermitteln, ob ein Bedarf wirklich vorliegt, ist das Jobcenter auf die Angaben bzw. die schriftlichen Eingaben des Antragstellers angewiesen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt im Artikel dazu passenderweise: "Zu schwindeln lohnt sich dabei auf jeden Fall [...]".

Die Debatte bzw. auch Herrn Alts Idee fußt also darauf, dass es schwierig ist, zu entscheiden, ob eine tatsächliche Hilfebedürftigkeit vorliegt bzw. ob derjenige, der vorspricht, nicht lügt. Es gibt bisher aber keine Zahlen und Daten, die sich überhaupt damit beschäftigen, wie viele der antragstellenden Selbständigen explizit lügen. Die Diskussion entzündet sich also an reinen Vermutungen bzw. daran, dass die Jobcenter mit der Beurteilung der Sachlage überfordert sind. Hier sei anzumerken, dass das Lamento über die arbeitsintensive Beurteilung - zynisch angemerkt - dem Jobcenter einmal deutlich machen könnte, wie arbeitsintensiv für manchen Antragsteller die Beweisführung ist, wenn ihm etwas unterstellt wird (das Beispiel der "Bedarfsgemeinschaft" sei hier einmal erwähnt).

Doch auch ohne aufzurechnen bleibt offen, wieso es sinnvoller sein soll, denjenigen, die noch bereit sind, zusätzlich zum ALG II einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, diese Möglichkeit zu nehmen und sie stattdessen vor die Wahl zu stellen: Entweder komplett vom Staat finanziert werden oder eben durch das Einkommen, das die Selbständigkeit mit sich bringt. Dieses Verfahren würde im Endeffekt dazu führen, dass viele Familienunternehmen, deren Auslastung nicht permanent gewährleistet ist, schon bei geringsten Problemen, die auf Grund der sinkenden Einkommen nicht durch Erspartes usw. abgefedert werden können, sofort die Insolvenz anmelden anstatt zu versuchen, sich mit vorübergehender Hilfe des Staates zu retten und danach wieder den Leistungsbezug zu verlassen.

Auch diejenigen, die sich zu Niedriglöhnen in Bereichen wie der Kunst, dem Journalismus (die persönliche Betroffenheit wird hier ausdrücklich eingeräumt), der Nachhilfe, diversen saisonabhängigen Geschäften wie z.B. Gartenarbeit, Winterdienst usw. verdingen, würden diesen Geschäften nicht mehr nachgehen, sondern komplett auf der "Tasche des Steuerzahlers" liegen. Wem damit geholfen wäre, ist unklar.

Um das Beispiel "Winterdienst" aufzugreifen: Gerade in kleineren Gemeinden hat sich der öffentliche Dienst aus dem Winterdienst bis auf die "größeren Straßen" zurückgezogen. Die Bereiche zwischen den großen Straßen, die Bürgerstreifen und letztendlich natürlich auch die in der Verantwortlichkeit der Hausbesitzer/Mieter liegenden Bereiche sind insofern gerade bei strengen Wintern Problemzonen. Besonders ältere Menschen nehmen deshalb gerne private Winterdienste in Anspruch.

Anbieter solcher Winterdienste müssen zeitweilig bis zu vier Mal pro Tag ausrücken und bereits morgens um vier Uhr mit der Räumung von Schnee sowie dem Streuen von Sand usw. beginnen. Gibt es einen milden Winter, dann kommen weniger Aufträger herein - was jedoch nicht heißt, dass die nächsten Winter ebenso mild werden müssen und der Dienst deshalb eingestellt werden sollte. Genau dies aber ist die Konsequenz aus einer Überlegung wie der des Herrn Alt.

Der Winterdienst könnte dann als Zuverdienst eines nicht Selbständigen Hilfeempfängers gehandhabt werden. Doch letztendlich wäre dies auch nur eine "offensichtlich nicht tragfähige Idee" - denn sonst könnte sie ja ein Auskommen sichern. Damit ist der Vorschlag des Herrn Alt entweder obsolet, oder aber, er bedeutet, dass jegliche Subvention, jeglicher 1-Euro-Job und so weiter - alles, was letztendlich nur durch staatliche Unterstützung wirtschaftlich lebensfähig ist - gestrichen werden müsste. Damit dürfte er allerdings auf starken Widerstand all derjenigen stoßen, die hiervon profitieren. Und die waren ja auch nicht das Thema von Herrn Alt.

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