Grüne feiern Merkels Atomausstieg als ihren eigenen "historischen Sieg"

Claudia Roth freut sich über den "Erfolg". Bild: S. Duwe

Bundesvorstand wirbt für Unterstützung für schwarz-gelb, was für heftige Kritik seitens der Anti-Atom-Bewegung sorgt

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Die Stimmung des Bundesvorstands der Grünen ist derzeit gar nicht leicht zu beschreiben. Oberflächlich betrachtet herrscht Jubelstimmung bei der Parteispitze angesichts der schwarz-gelben Pläne zum Atomausstieg. Union und FDP haben die Opposition, mit Ausnahme der Linken, die bei parteiübergreifenden Gesprächen traditionell ausgeschlossen wird, wo es nur irgend geht, zu einer Energiewende-Party eingeladen. Gereicht werden Häppchen in Form zahlreicher Gesetzesentwürfe, insgesamt rund 700 Seiten. Doch das, was die Regierung da anbietet, ist nur oberflächlich betrachtet appetitlich, weshalb den Grünen die dargebotene Kost schwer im Magen liegt. Doch trotz größerer Bauschmerzen will der Bundesvorstand weiter feiern - und empfiehlt der Partei, dem schwarz-gelben Atomausstieg zuzustimmen.

Der Antrag, den der Bundesvorstand der Grünen auf einer außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz am kommenden Wochenende in Berlin zur Abstimmung stellen will, beginnt mit einer bemerkenswerten Siegesrhetorik.

Angesichts des Regierungsplans, bis 2022 aus der Kernenergie auszusteigen, bejubeln die Autoren des Papiers den von der Katastrophe in Fukushima erzwungenen Kursschwenk der Regierung als historischen Sieg, den die Anti-AKW-Bewegung, Umweltverbände und die Grünen erzielt hätten. Der Kampf der Pro-Atom-Parteien gegen die Stilllegung der ältesten Reaktoren sei zu Ende. "Zusammen haben wir gewonnen", jubelt das Autorenteam, dem unter anderem Renate Künast, Jürgen Trittin, Sylvia Kotting-Uhl und Hans-Josef Fell angehören. Der Jubel an der Parteispitze ist sogar derart groß, dass sich die Antragssteller in die Behauptung versteigen, der Atomausstieg der aktuellen Bundesregierung sei dank der festen Ausstiegsdaten sogar besser abgesichert als der rot-grüne Atomkonsens aus dem Jahr 2001.

Tatsächlich könnte der Gesetzentwurf der Regierung zum Atomausstieg gerade wegen der festen Ausstiegsdaten für die einzelnen Atomkraftwerke am Bundesverfassungsgericht scheitern. Denn dafür, dass die einzelnen Kraftwerke unterschiedlich behandelt werden sollen, müsste das Gesetz eine nachvollziehbare Begründung enthalten, um nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstoßen. Tatsächlich aber wird in der Begründung ausdrücklich betont, dass es eigentlich gar keine Kriterien gäbe, die die Rangfolge so zwingend notwendig macht - eine Steilvorlage für Klagen der Betreiber ([Link auf 34912/1.html]).

Streckenweise schizophren

Das weiß auch der grüne Bundesvorstand und verspricht in seinem Antrag, weiter "mit aller Kraft" darauf zu drängen, "dass Schwarz-Gelb diese Novelle rechtssicher begründet". Claudia Roth erklärte bei der Vorstellung des Antrags auf Nachfrage, dass die Rechtssicherheit in den kommenden Wochen weiterhin ein Thema sein werde. Sie wolle die größtmögliche Sicherheit, dass das Gesetz verfassungskonform ist. Das klingt nicht danach, dass die Rechtssicherheit zu einer Bedingung für die Zustimmung der Grünen werden soll. Zwar betont Roth, dass ihre Partei in jedem Fall weiterhin Druck machen will, um Verbesserungen zu erreichen. Wirkungsvoll dürfte der Druck jedoch nicht sein, wenn die Zustimmung zum Regierungsentwurf schon vorab klar ist. Immerhin heißt es im Antrag des Bundesvorstands, dass ein breiter Konsens über alle Parteigrenzen hinweg beim Atomausstieg "ein Wert an sich" sei.

Für die Parteispitze ist der schwarz-gelbe Atomausstieg gleichzeitig ein Projekt, in dem sie sich selbst wiederzuerkennen glaubt, gleichzeitig aber auch vollkommen ungenügend. Und so empfiehlt Roth ihrer Partei, die Regierungspolitik mitzutragen. "Das ist objektiv betrachtet ein Erfolg, und wir Grüne wären ziemlich bescheuert, wenn wir diesen Erfolg selber wegdefinieren wollen", erklärt sie. Und kritisiert kurz darauf, dass die Regierungspolitik unambitionierter als die eigene Ethikkommission, die Kaltreserve "blödsinnig" und die geforderten Sicherheitsstandards für die Atomkraftwerke ungenügend seien. Nach den Details der Regierungspolitik befragt, erklärt Roth, sie sei überhaupt nicht zufrieden, mit dem, was die Regierung da vorlege. Allerdings wolle sie Merkel auch keinen Erfolg überlassen. Was die Parteispitze den Delegierten in Berlin da vorlegen will, ist streckenweise schizophren und nur mit der Angst davor zu erklären, dass die Grünen mit einem Nein zu den Plänen der Regierung endgültig den Stempel "Dagegen-Partei" aufgedrückt bekäme.

Widerstand formiert sich

Folgerichtig hagelt es Kritik. Denn auch wenn Roth betont, dass der Antrag die verschiedenen Flügel innerhalb der Partei zusammenbringen soll, lässt Kritik aus den eigenen Reihen nicht lange auf sich warten. Hermann Ott, der klimapolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, lehnt es ab, dem Ausstiegsbeschluss in seiner derzeitigen Form zuzustimmen. Den Atomausstieg bis 2022 hinauszuzögern, sei unverantwortlich. Ott verlangt, dass die Zustimmung der Grünen an Bedingungen geknüpft sein soll.

Auch aus der Anti-Atom-Bewegung, auf die sich der Bundesvorstand in seinem Antrag immer wieder beruft, ist nicht mit Zustimmung am Kurs der Parteispitze zu rechnen. So ruftGreenpeace unter der Überschrift "Wehren Sie sich - ein Atomausstieg 2022 ist zu spät!" zu einer Unterschriftenaktion auf. Die Organisation spricht damit zwar nicht direkt die Grünen an, kann jedoch als deutliches Signal verstanden werden.

Deutlicher wird.ausgestrahlt. "Wer einem Weiterbetrieb der Reaktoren bis 2022, einem AKW im Stand-by-Betrieb und reduzierten Sicherheitsanforderungen zustimmt, verliert seine Glaubwürdigkeit und kann sich nicht mehr Teil der Anti-Atom-Bewegung nennen. Denn dafür haben nicht Hunderttausende in den letzten Monaten demonstriert", erklärt Sprecher Jochen Stay. Die Spitze der Grünen versuche, die eigene Basis auszutricksen, in dem sie im Leitantrag behaupte, gleichzeitig das Ende von acht Reaktoren abnicken und gegen die Kaltreserve und mangelnde AKW-Sicherheit stimmen zu können. Beides stehe aber im selben Gesetz. Tatsächlich betont Roth bei der Vorstellung des Leitantrags immer wieder, wie wichtig es für die Grünen sei, für die Abschaltung der alten Reaktoren zu stimmen.

Eine klare Position vertreten die Grünen allenfalls bei den restlichen Vorhaben von Union und FDP. Geht es um die Energiewende, so sei die "Bundesregierung ein Totalausfall", von "Merkel-Murks" und "Merkelsche[n] Mogelpackungen" ist da die Rede. Die Kostengrenze im Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Befreiung der Industrie von der Umlage sei sozial ungerecht und für den Ausbau der Erneuerbaren Energien schädlich. Zudem kritisiert der Leitantrag die Kürzung der Förderung für Windkraftanlagen an Land bei gleichzeitiger üppiger Förderung von Windparks auf See. Zentral statt dezentral sei die schwarz-gelbe Devise. Energiepolitisch wolle die Regierung zurück ins letzte Jahrhundert. Bis 2030 soll dem Antrag zufolge vollständig auf erneuerbaren Strom umgestiegen werden. Damit übertrifft die Parteispitze selbst Forderungen von Greenpeace. Die Organisation hält einen kompletten Umstieg auf Erneuerbare Energie im Strombereich bis 2050 für möglich.

Mit dem Antrag der Parteispitze wird den Grünen eine lebhafte Diskussion auf der kommenden Delegiertenkonferenz ins Haus stehen. Ob sich der Parteivorstand letztlich mit seiner Linie durchsetzen kann, darf bezweifelt werden. Der Druck von Parteibasis und aus der Anti-Atom-Bewegung, der sich schon wenige Stunden nach Bekanntwerden des Antrags formierte, ist nicht zu unterschätzen und dürfte das Magengrummeln noch verstärken.