Bahrain: ein Königreich für die Wahrheit..

Informationskrieg, Folter und Menschenrechtsgruppen unter Verdacht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Schuld an den brutalen Vorgängen in Syrien hätten Saboteure, erklärte Syriens Präsident Baschar al-Assad gestern der Bevölkerung des Landes (Nervös, aber brachial: Assads dritte Ansprache). Er baue auf einen nationalen Dialog. Der amerikanische Kolumnist Nicholas Kristof nimmt dies zum Anlass für einen polemischen Vergleich: Bahrain würde "definitiv Syrien vor Gericht ziehen", weil Syrien Bahrains unsinnigen Plan zum Nationalen Dialog abgekupfert habe, witzelt Kristof.

Es gibt Muster, die sich gleichen. Nicht nur in Syrien und Bahrain reagieren die Machthaber gegenüber Protesten mit Verweisen auf "bewaffnete kriminelle Elemente" und "Verschwörer", die, so die Unterstellung, vom Ausland finanziert, nichts anderes wollten, als Chaos zu säen. Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten und Gaddafi in Libyen bliesen ins selbe Horn und rechtfertigten damit das rücksichtslose Vorgehen der Sicherheitskräfte, die auf Demonstranten schossen. Als Gemeinsamkeit ließe sich noch herausstellen, dass die Machthaber versuchen, dem Aufstand mit der Ankündigung von Reformen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Solchen Versprechungen wurde aber in Tunesien und Ägypten und auch in Libyen nicht mehr geglaubt, das Vertrauen war weg - wie auch die Angst vor den Autokraten. An ernsthafte Reformen in Syrien wird auch jetzt kaum jemand glauben und in Bahrain ist sie wieder Repertoire von Sonntagsreden geworden.

Interessenslagen und Medienoffensiven

Allerdings gibt es auch Unterschiede, über welche die große Medien-Schablone "arabischer Frühling" hinweggeht. Nicht überall wird der Aufstand von einer derart breiten Bevölkerungsschicht, dem Engagement ziviler Organisationen, insbesondere auch von Gewerkschaften, getragen wie in Tunesien oder Ägypten (wo er auch in mehreren Revolten zuvor schon angelegt war). Dazu kommt die Rolle von Berichterstattern, die Angaben verifizieren können. Das war bei den Volksaufständen in Tunesien und in Ägypten offensichtlich leichter als in Libyen oder oder in Syrien.

Wie sehr das, was als Wahrheit oder Wirklichkeit verbreitet wird, hauptsächlich von der Interessenslage und dem Standpunkt abhängt, zeigt sich in Syrien - und in Bahrain - sehr deutlich. Da unabhängige Berichtserstattung, Reporter, welche die Verhältnisse selbst in Augenschein nehmen, ohne "Guides" vom Staat, um ihr eigenes Urteil zu treffen, anscheinend in beiden Ländern nicht vorkommt, ist die Öffentlichkeit darauf verwiesen, sich ihr Bild selbst zusammenzusetzen.

Das bahrainische Herrscherhaus hat vor einigen Wochen eine Medienoffensive gestartet, die intensiv über Lobbys und informelle Gespräche arbeitet - und so etwa den ein oder anderen Regierungssympathisanten auf die Editorialseite einer amerikanischen Zeitung bringt - und versucht, die amtliche Wahrheit zu den Proteste Mitte Februar (Tage des Zorns in Bahrain) zum rechten Licht zu verhelfen.

Die Wahrheit aus Sicht der bahrainischen Regierung lautet im Kern, dass es sich bei den Protesten, die von westlichen Medien allzu oft mit demokratischen Bewegungen verwechselt würden, in Wirklichkeit um eine Verschwörung gegen die Herrscherfamilie al-Khalifa handelte. Um einen Staatsstreich, geführt von schiitischen Agenten, denen Iran näher steht als ihr Heimatland, so die offizielle Version; sie zog Massenverhaftungen schiitischer Oppositioneller nach sich und ein Aufflammen der Animositäten zwischen sunnischen und schiitischen Bahrainis, wie beklagt wird (vgl. "Lost and Disgusted").

Erwünschter Dialog

Anhänger, Zeugen und Fakten lassen sich für jede Sichtweise finden, auch für die, welche dem König und seinem Walten treu ergeben sind und, unangefochten von aller Kritik, die Verhältnisse in Bahrain als vorbildlich kennzeichnen. Wie dies etwa die Publikation Bahrain Independent veranschaulicht: Dort schreibt man von der ungerechtfertigten Revolte des 14. Februars, um auch denen noch eine Lektion zu erteilen, die nicht in Verbindung mit Iran gebracht werden können und mit den Protesten auf Reformen drängten. So sieht klassische Hofberichterstattung aus, auch im 21. Jahrhundert.

Bahrains führende Schicht läßt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die "gewalttätigen Aktionen" der Proteste, wie etwa Straßensperren einzig von Schiiten durchgeführt wurden und die "Protestbewegung des 14 März" nichts mit Menschenrechten zu tun hatten. Für den Dialog ist man im Prinzip schon, wie dies auch der elitefreundliche Blogger, der Politikwissenschaftler und Triathlet Saqer al-Khalifa, gerne betont - aber freilich zu Bedingungen, wie es das Haus und traditionelle Verhältnisse vorschreiben.

Unerwünschte Kritik

Gegenüber tatsächlich unabhängigen Medien, die nicht an der Nahrungskette des Königshauses hängen, vor allem aus dem westlichen Ausland, wird man ungnädig. So stellt man gegen den britischen Independent eine Klage in Aussicht:

Bahrain's Information Affairs Authority said last week that it intends to sue The Independent for what it described as this newspaper's "skewed perspective and factually incorrect bias that have provided the basis for the daily's assault on Bahrain and its people".

Die Zeitung veröffentlicht seit Wochen Berichte, die der Führung in Bahrain vorwerfen, dass sie mit gewaltsamen, in ihrer Härte und Brutalität völlig ungerechtfertigten Mitteln gegen Oppositionelle vorgeht und sich dabei auf auf fingierte oder übertriebene Vorwürfe stützt (siehe auch Ausschaltung der Opposition nach allen Regeln orientalischer Despotenkunst).

In seinem gestrigen Artikel zitiert der Independent Jonathan Whittall von der Organisation Médecins Sans Frontières (MSF) (zu deutsch Ärzte ohne Grenzen). Der Leiter der bahrainischen Abteilung der Organisation erhebt schwere Vorwürfe gegen die bahrainischen Sicherheitskräfte bei ihrem Vorgehen gegen die Proteste Mitte März.

Nach seiner Darstellung wurde das Zentralkrankenhaus, der Salmaniya Medical Complex (SMC), in Manama am 17. März bei einer Säuberungsaktion der Sicherheitskräfte von diesen militärisch erobert und Verletzte im Krankenhaus, in vielen Fällen mutmaßlich Flüchtlinge vom Demonstrationsplatz in der Hauptstadt, geschlagen und gefoltert. Er selbst sei zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus gewesen und habe persönlich mit Augenzeugen und Opfern gesprochen.

The hospital became a place to be feared (...) One patient was caught trying to leave and he was beaten both at Salmaniya and then later in jail - there was no evidence that he was a ringleader. The situation was so bad some people didn't dare come to the hospital - in some cases, people had no access to healthcare and that is still the situation today.

Dass die medizinische Versorgung an diesen Tagen nicht mehr gewährleistet war, davon spricht auch Nabeel al Ansari, der neu ernannte Leiter der Bahrain Medical Society (deren Personal nach Niederschlagung der Proteste ausgetauscht wurde), der sich im Mai zu Aufklärungszwecken in Washington aufhielt und zu diesem Zweck auch der Voice of America ein Interview gab.

Zwar war al-Ansari während der Ereignisse, um die es geht, nicht im Salmaniya Hospital, aber er beobachte und überwachte nach eigener Aussage die Vorgänge und er führt ebenfalls Augenzeugen an. Die freilich eine ganz andere Wirklichkeit wiedergeben als in der Darstellung, wie sie der Repräsentant von Ärzte ohne Grenzen und zuvor schon andere äußern.

Die Zeugen al-Ansaris bekräftigen die offizielle Version und deren Vorwürfe, wonach die schiitischen Ärzte des Salmaniya Hospitals politisch vereinnahmt waren und nur einseitige Hilfe leisteten, Hilfe an Sunniten verweigerten und versuchten, das Krankenhaus zu einer Art Hauptquartier der Protestbewegung zu machen, von wo aus sie die ausländischen Medien mit angeblich falschen Informationen versorgten. Liest man das Interview sehr genau, stolpert man über Vagheiten und Ungereimtes.

Doch fügt es sich reibungslos in die derzeit auf vielen Ebenen propagierte Darstellung der Ereignisse, wie sie vom Königshaus aus gesehen werden. Aussagen von Menschenrechtsgruppen sind aus dem Blickwinkel der herschenden Elite dagegen verdächtig, geradezu totalitär (siehe The "Human Rights Gestapo"!).