Stille Beisetzung für das Kyoto-Protokoll

Die Energie- und Klimawochenschau: Klimaschutz per verordneter Emissionsreduktion hat nicht funktioniert, Rückkehr der Kohle, Klagen und Verbrüderung zum Atomausstieg

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Nach dem Eingeständnis, dass der Klimaschutz in seiner bisherigen Konzeption gescheitert ist, wird nach einem Nachfolgemechanismus gesucht, mit dem sich Politik machen lässt. Der aber, im Gegensatz zu den bisherigen freiwilligen Emissions-Reduktionszielen, auch Chancen hat zu funktionieren. Die Parteien verbrüdern sich derweil beim Konsens um den – angekündigten – Atomausstieg. Nur die Energiekonzerne wollen mit einem Bündel von Verfassungsklagen kontern. Lachender Dritter ist die Kohleindustrie, sogar die Grünen müssen jetzt, wie in Datteln, für neue Kohlekraftwerke stimmen und die sächsische Braunkohleindustrie regt schon mal an, Ansprüche an den Klimaschutz müssten nun "an die neuen Gegebenheiten" angepasst werden.

Das Kyoto-Protokoll ist tot

Bei der Klimakonferenz letzte Woche in Bonn appellierte Christiane Figueres, Chefin des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change), noch einmal pflichtschuldig an die Verantwortung der teilnehmenden Staaten für den Klimaschutz. Doch auch sie weiß, dass ihre Organisation gescheitert ist. 14 Jahre Kyoto-Protokoll haben gezeigt, dass eine Reduktion der Treibhausgasemissionen und das 2-Grad-Ziel nicht mit freiwilligen Grenzwerten zu erreichen sind. Zu groß ist die Blockadehaltung bei den größten Verursacherstaaten, zu groß der Industrie-Protektionismus und zu groß der Energiehunger unseres globen konsumorientierten Wirtschaftssystems.

Ivo de Boer, der ehemalige Generalsekretär des UN-Klimasekretariats, hält das Kyoto-Protokoll daher bereits für gescheitert, der Geist des Protokolls sei tot und es gebe keinen politischen Willen, ihn wieder reanimieren. Ein Klimaschutzabkommen ohne die großen Emittenten wie Japan, Kanada und die USA mache keinen Sinn, wenn die im Abkommen verbliebenen Länder nur noch weniger als 20 % der weltweiten Emissionen ausmachten. Man müsse sich eingestehen, dass der Kyoto-Mechanismus, der den teilnehmenden Staaten bestimmte Emissionsminderungen vorgibt nicht funktioniert.

Auch für ein Nachfolgeabkommen stehen die Chancen nicht gut, weil allen voran die USA und China gegen eine Begrenzung ihrer Emissionen sind, weil sie Nachteile für ihre Wirtschaft befürchten. Schon beim Vorbereitungstreffen auf die kommende UN-Klimakonferenz in Durban in Südafrika wurde klar, dass es im Dezember also kein neues Klimaabkommen geben wird.

Im Jahr 1990, dem Bezugsjahr für das Kyoto-Protokoll, lag der weltweite CO2-Ausstoß noch bei 22,7 Mrd. Tonnen. Steigt die Bevölkerung auf 9 Mrd. Menschen bis 2050 und bleibt es pro Kopf bei durchschnittlich 4,6 t CO2/Jahr, dann steigen die Emissionen auf ca. 42 Mrd. Tonnen. Steigen die Pro-Kopf-CO2-Emissionen aber auch nur moderat auf 6 Tonnen pro Kopf so werden sich die CO- Emissionen bis 2050 im Vergleich zum Referenzjahr auf 54 Mrd. Tonnen pro Jahr verdoppelt haben.

Höchststand der globalen Emissionen

Passend dazu hatte die Internationale Energie Agentur (IEA) bekannt gegeben, dass die globalen Emissionswerte im Jahr 2010 wieder einen Höchststand erreicht hatten und laut den Messwerten vom Mauna Loa ist die CO2-Konzentration der Atmosphäre im Mai 2011 weiter auf 395 ppm gestiegen. Dringend gesucht wird deshalb nach einem neuen Ansatz für den Klimaschutz. Mehrere Konzepte sind im Gespräch. Befürworter des Cerina-Plans plädieren für eine Abkehr von Emissionsbegrenzungen, die ohnehin nicht funktionieren, sondern wollen den Ländern Investitionen in regenerative Technologien, quasi als technologische Kompensation, auferlegen. Je mehr Emissionen ein Land verursacht, desto mehr soll es in die Nutzung erneuerbarer Energieträger investieren (müssen), eine Art verordnetes Wirtschaftförderungsprogramm für das Klima also, das die Ideologie vom Wirtschaftswachstum mit dem Klimaschutz versöhnen soll. Wachstum und Konsum sollen jetzt also per Definition sauber werden – ob das der Umwelt weiterhilft?

Andererseits wird auch das bisherige Anrechnungssystem für Emissionen in Frage gestellt: Wie können sich wenige westliche Länder (unter ihnen auch das Klimamusterländle Bundesrepublik) eigentlich damit brüsten, ihre Reduktionen gesenkt zu haben, wenn doch hauptsächlich nur die Produktion und damit die Emissionen nach Asien verlagert wurden. Eine gerechte Beurteilung der Verursacher müsste dagegen berücksichtigen, wer denn die Produkte und Dienstleistungen konsumiert.

Große Effizienzpotenziale stecken noch in der Senkung des Energieverbrauchs in Gebäuden, deshalb setzt ein anderer Ansatz auf sogenannte Weiße Zertifikate. Sie werden gerade bei der Jahreskonferenz des Rates für nachhaltige Entwicklung in Berlin gepriesen. Verbraucher sollen in Zukunft Emissionszertifikate zukaufen müssen, wenn sie bestimmte Einsparvorgaben nicht erfüllen. Das System soll wohl erstmals mit den kommenden angezogenen Gebäudesanierungsprogrammen ab Sommer erprobt werden und dort wahrscheinlich in einer Form, dass Hausbesitzer oder Wohnungsbaugesellschaften nach energetischen Sanierungsmaßnahmen handelbare CO2-Zertifikate für die Gegenfinanzierung der Baumaßnahmen erhalten. Der Glaube an die Börse als Regulationsmechanismus ist also bei vielen Politikern immer noch ungebrochen.

Wie auch immer, die Emissionen steigen weiter. Nach Angaben des IWR lagen die CO2-Emissionen 2010 bei rund 32 Mrd. Tonnen und damit auf einem neuen Höchststand. Im Jahr 1990, dem Bezugsjahr für das Kyoto-Protokoll, lag der weltweite CO2-Ausstoß noch bei 22,7 Mrd. Tonnen. Legt man für die weiteren Prognosen das von der UN prognostizierte Bevölkerungswachstum auf 9 Mrd. Menschen bis zum Jahr 2050 zu Grunde und bliebe der der CO2-pro Kopf Ausstoß bei 4,6 Tonnen konstant, so stiegen, allein durch das Bevölkerungswachstum, die CO2-Emissionen auf jährlich ca. 42 Mrd. Tonnen an. Nimmt aber das Konsumniveau auf durchschnittlich 6 Tonnen pro Kopf zu, so stiegen die Emissionen bis 2050 auf 54 Mrd. Tonnen pro Jahr an. Und genau das ist, so IWR Chef Norbert Allnoch "mit Blick auf die erfreulicherweise rasante wirtschaftliche Entwicklung in Ländern wie China, Indien oder Brasilien" zu erwarten.

Bild: M. Brake

Revival der Kohle – und der Zauderer

Bei uns bringen sich die Apologeten der Kohle wieder in Stellung. Immerhin werden bis Ende 2012 mindestens 8 GW Kohlekraft neu ans Netz gehen. Das heißt, die Abschaltung der Atomkraft wird schon innerhalb der nächsten 18 Monate überkompensiert sein durch den Zubau an Kohlekraftwerken.

Was wäre eigentlich passiert, wenn nicht gerade jetzt der Atomausstieg Konsens geworden wäre? Hätte Deutschland dann mit geballter Erzeugerleistung aus Atom- und Kohlekraft neben den regenerativen, auch die ausländischen konventionellen Produzenten mit den aus den Überkapazitäten resultierenden Dumpingpreisen vom Markt gedrängt?

Erwartete kommerzielle Inbetriebnahmen und endgültige Stilllegungen von Kohle- und Ölkraftwerken an den Netzen der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber.

Auf europäischer Seite schwenkt Energiekommissar Oettinger bereits auf Kohlekurs. Kohle werde in den kommenden 50 Jahren weltweit eine wichtige Rolle spielen, alleine China baue 35 neue Kohlekraftwerke und benötige dafür Technologien, bei denen Deutschland international führend sei.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich stellte dazu einen Zehn-Punkte-Plan der Landesregierung vor. Darin heißt es mit neuem Selbstvertrauen, die Braunkohlenutzung sei mittel- bis langfristig nicht verzichtbar, weil "sicher verfügbar". Emissionshandel und Emissionsreduzierungsziele dürften die energetische und stoffliche Nutzung der Braunkohle deshalb nicht behindern. Außerdem sei davon auszugehen, dass bei einem Ausstieg aus der Kernenergienutzung die Braunkohle-Verstromung zunehme, ein Anstieg der CO2-Emissionen sei nicht auszuschließen. Sachsen sei deshalb an einer Anpassung der Klimaziele interessiert, dies solle bei den Folgeverhandlungen zum Kyoto-Protokoll berücksichtigt werden.

Und auch der DGB meldet sich wieder zu Wort. Doro Zinke, Vorsitzende des DGB in Berlin-Brandenburg, preist die Kohleindustrie vor allem als guten Arbeitgeber, im Gegensatz zu den Arbeitgebern der Solarbranche, die sich wie "Manchesterkapitalisten der ersten Stunde" aufführten. Dagegen biete die Kohlebranche hohe soziale Standards für die Kumpels. Und überhaupt sei sie der Meinung: "Windräder und Überlandleitungen stören."

AKW-Betreiber werden zur Gurkentruppe

Die Betreiber der Atomkraftwerke lernen derweil von Agrarlobby und Einzelhandel. Wie diese Entschädigung für nicht verkauftes Gemüse fordern, wollen die AKW-Betreiber Entschädigung für nicht produzierten Strom und bereiten mehrere Verfassungsklagen vor, um den angekündigten Atomausstieg zu kippen oder zumindest Schadensersatzforderungen zu stellen (Verfassungsklage: Atomkonzerne wollen abkassieren).

E.On ließ ein erstes Gutachten vom ehemaligen Verteidigungsminister(!) Rupert Scholz anfertigen, in dem er erklärt, der geplante Ausstieg verstoße gegen die Verfassung. Insbesondere die den Konzernen im Jahr 2000 gewährten Reststrommengen für ihre Atomkraftwerke seien durch das Eigentumsrecht des Grundgesetzes geschützt. Daher stünde den Konzernen Schadensersatz dafür zu, wenn sie jetzt ihre Atomkraftwerke schneller als damals ausgehandelt abschalten müssten. Vattenfall will außerdem vor einem internationalen Schiedsgericht gegen die endgültige Stilllegung seines Atomkraftwerks Krümmel klagen. Und alle Konzerne gemeinsam wollen gegen die Brennelementesteuer vorgehen.

Ansonsten herrscht Pragmatik in der Energiebranche. Die Versorgungsnetzbetreiber sehen die Kernkraft mittlerweile vor allem als Sorgenkind. Sogar Entsoe (European Network of Transmission System Operators ), der Verband der europäischen Stromnetzbetreiber, sieht die Atomkraft nicht mehr primär als Stütze der Energieversorgung, sondern als anfällige Großtechnologie, die jeden Sommer gefährdet ist, auszufallen und dann von anderen Erzeugern ersetzt werden muss. Eine Technik also, die nur zusammen mit großen Reservekapazitäten anderer Kraftwerkstechniken funktioniert.

Für diesen Sommer warnt ENTSOE davor, dass im Falle von ungünstigen Wetterbedingungen mit heißen und trockenen Perioden (Sommer eben) die französischen Kernkraftwerke wieder auszufallen drohen und Ersatzleistung von 6 GW notwendig sein werde. Das könnte zu einer angespannten Situation für die Europäische Stromversorgung führen. Die endgültige Abschaltung der ältesten acht deutschen Kernkraftwerke wird dagegen als bereits eingeplant bezeichnet.

Ganz andere Ängste plagen zur Zeit Teile der Grünen, sie könnten ihr Profil als "Partei des Atomausstiegs" verlieren, wenn, wie jetzt vom Parteivorstand angekündigt, auch sie für den von der Union angekündigten Zeitplan zum Atomausstieg stimmen. Die Fraktionschefs Künast und Trittin und die Parteivorsitzenden Özdemir und Roth wollen dafür stimmen und haben bereits einen entsprechenden Antrag für den Sonderparteitag am 25. Juni gestellt. Darin werben sie um Zustimmung für den geplanten Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Jahr 2022, verlangen aber für die übrigen Teile des Energiekonzepts Nachbesserungen.

Allerdings hält selbst das Umweltbundesamt ein Ende der Kernenergie bis 2017 für realistisch. Besonders aus der Anti-AKW-Bewegung kommt daher Kritik an einer möglichen Zustimmung. Jochen Stey von "ausgestrahlt" warnt davor, dass, wer für einen Betrieb der AKWs bis 2022 ohne sicherheitstechnische Nachbesserung stimme seine Glaubwürdigkeit verliere und Aktivisten von "X-tausend-mal quer" sagten die Grünen seien bei einer Zustimmung zum Regierungszeitplan nicht mehr Teil ihrer Bewegung.