"Ganz viel ehrliches Grün drin"

Sonderparteitag in Berlin: Die Mitglieder der Grünen stimmen dem schwarz-gelben Atomausstieg 2022 zu und hoffen, so nicht mehr als Dagegen-Partei diffamiert zu werden

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Schon vor dem Eingang zur Messe Berlin zeigt sich die Uneinigkeit der Grünen. Denn bevor es in die Messehalle geht, haben einige Grüne ein Tor aufgebaut. Zwischen zwei Durchgängen müssen sich die Delegierten entscheiden, einer ist mit "Ja" beschriftet, der zweite mit "Nein". Die Frage dazu lautet provokativ: "Schwarz-gelber Atompolitik zustimmen?" Wer den linken Weg wählt, der mit "Nein" beschriftet ist, der hat den Jubel auf seiner Seite. Auch der offene Brief der Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung an die Delegierten wird verteilt. Mit aller Macht versuchen die Gegner des Leitantrags der Parteispitze, die Stimmung auf ihre Seite zu ziehen.

Wer vor der Halle mit "Nein" stimmt, hat den Jubel auf seiner Seite. Drinnen siehts nachher anders aus. Alle Fotos: Silvio Duwe

In der Halle ist die Stimmungslage schwer auszumachen. Der brausende Applaus für die Reden der Parteivorsitzenden Claudia Roth und weiterer Befürworter der Politik des rechten Tores scheint zunächst eine eindeutige Sprache zu sprechen. Kritiker, die darauf hinweisen, dass die Bundesregierung mit der Opposition nicht über den Atomausstieg verhandelt hat, und daher von einem Konsens keine Rede sein kann, erhalten werden jedoch ebenfalls umjubelt.

"Das immer so einfache Nein der Linkspartei ist bei uns nicht zu Hause"

Die Parteivorsitzende Claudia Roth versucht, mit ihrer Rede zum einen die Parteibasis auf ihre Linie, die Zustimmung zum Atomausstieg der Regierung, einzuschwören und gleichzeitig die Linkspartei und ihre Kritiker aus der Umweltbewegung anzugreifen. Roth lobt, dass bei den Grünen die Partei über die Atompolitik abstimme und nicht die Parteispitze oder die Fraktionsspitze. "Wir Grüne zeigen wieder einmal, was eine lebendige Parteipolitik ist", so Roth. Angela Merkel hingegen fliehe vor ihrer eigenen Partei.

Deutlich kritisiert Roth die Linkspartei, die das Ausstiegsgesetz der Bundesregierung nicht mittragen will. "Das immer so einfache Nein der Linkspartei ist sowieso bei uns nicht zu Hause." Auf die Diskussion mit den Umweltverbänden zum Kurs der grünen Parteispitze reagiert sie, indem sie an die an die zahlreichen Kämpfe der Grünen erinnerte, die diese gemeinsam mit der Anti-Atom-Bewegung ausgefochten hatten. Daher möchte sie nicht, dass sich "irgendjemand anmaßt, uns Grüne aus der Anti-AKW-Bewegung zu exkommunizieren".

"Kein Teil der Bewegung mehr"

Umweltverbände und Initiativen hatten erklärt, dass die Grünen kein Teil ihrer Bewegung mehr seien, wenn sie dem schwarz-gelben Gesetzentwurf zustimmen. Dies sei "wirklich absurd", so Roth. "Das ist doch überhaupt nicht unser Demokratieverständnis, das ist doch überhaupt nicht emanzipativ." Selbstverständlich würden keine Tischtücher mit irgendjemandem zerschnitten, so Roth weiter.

"Wir haben diese schwarz-gelbe Regierung zur Wahrheit gezwungen", freute sich die Parteivorsitzende. Nach Fukushima seien die Lügen über die Sicherheit der Atomkraftwerke und die Stromlücke entlarvt worden. Mit der Rücknahme der Laufzeitverlängerung, der Abschaltung der sieben ältesten Atomkraftwerke und Krümmel sowie den festen Abschaltdaten habe man etwas vor, wo die Grünen "zupacken" müssten.

"Schwarz-Gelb zur Wahrheit gezwungen" Claudia Roth

Auch der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin freute sich über diese Inhalte des schwarz-gelben Atomgesetzes. Damit hätten sich die Grünen durchgesetzt. Trittin nannte es unglaubwürdig, gegen die eigenen Anträge zu stimmen. Dass das für die Grünen auch bedeuten würde, beispielsweise der Kaltreserve zuzustimmen, ist für Trittin offenbar kein Thema.

"Ist das gut genug nach Fukushima?"

Sylvia Kotting-Uhl warb dagegen dafür, die Zustimmung der Grünen an Bedingungen zu knüpfen. Sie erinnerte daran, dass bis zu sechs Atomkraftwerke erst nach zwei Bundestagswahlen abgeschaltet werden würden. Es sei aber ein großer Unterschied, ob die Kraftwerke am Ende einer Legislatur oder nach einer Bundestagswahl abgeschaltet werden. Kotting Uhl erinnert sich dabei womöglich an die in der Vergangenheit bereits praktizierte Strategie der Energiekonzerne, eigentlich abschaltreife Kraftwerke über die nächste Bundestagswahl zu retten, um so auf eine Laufzeitverlängerung hoffen zu können. Kotting-Uhl bat die Delegierten daher, den Grünen ein Mandat zu erteilen, um mit der Regierung zu verhandeln.

Vor derartigen Verhandlungen warnte Bärbel Höhn deutlich. Sie sieht keine realistische Möglichkeit für ihre Partei, mit Union und Liberalen ernsthaft zu verhandeln. Sollte die Partei daher versuchen, Verbesserungen im schwarz-gelben Gesetzentwurf herauszuschlagen, so hätte letztlich Angela Merkel in der Hand, ob die Grünen noch Teil des Atomausstiegs seien. Das möchte Höhn unbedingt verhindern, in dem sie Verhandlungsversuchen von vornherein aus dem Weg geht. Zudem erklärte sie, dass im Atomausstieg der Bundesregierung "ganz viel ehrliches Grün drin" sei..

"Ist das gut genug nach Fukushima?" Diese Frage stand für Hans-Christian Ströbele im Vordergrund, und er beantwortete sie negativ. Ströbele erinnert daran, dass die Grünen noch vor kurzem für einen Atomausstieg bis 2017 demonstriert haben, und stellte die Frage in den Raum, wie glaubwürdig es jetzt sei, für einen Ausstieg erst 2022 zu stimmen. "Wir können uns nicht auf 2022 verständigen", stellte der Abgeordnete klar, der regelmäßig im Berliner Bezirk Friedrichshain über ein Direktmandat in den Bundestag einzieht, weil er auf der Landesliste keinen Platz findet.

"Viel Beifall" - Hans-Christian Ströbele

Ströbele erhält für seine kurze, aber deutliche Rede langen Applaus und Standing Ovations - so lange, dass die Parteitagsregie daran erinnert, dass es der Parteitag ja noch weitergehen muss. Der Jubel hört trotzdem nicht auf, stattdessen kommen noch Sprechchöre hinzu. "Aufhören, aufhören!" Es ist einer der emotionalsten Momente des Parteitags.

Betont netter Umgang zwischen den verschiedenen Strömungen

Doch auch Redner wie Renate Künast und Winfried Kretschmann erhielten Standing Ovations für ihre Reden, in denen sie den Leitantrag des Bundesvorstands verteidigten. Trotz aller inhaltlichen Kontroversen herrscht ein betont netter Umgang zwischen den verschiedenen Strömungen.

Mit dem Vorsitzenden der Ethik-Kommission, Klaus Töpfer (CDU) und dem Vorsitzenden der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Rainer Baake, haben die Grünen zudem zwei prominente Redner eingeladen, die den Leitantrag des Bundesvorstandes prinzipiell unterstützen. Zwar betonte Töpfer zunächst, dass es nicht seine Aufgabe sei, den Delegierten zu irgendeinem Abstimmungsverhalten zu raten. Letztlich spricht er aber eine eindeutige Empfehlung aus. Der Ausstieg würde um so besser gelingen, wenn das Gemeinschaftswerk übergreifend von allen politischen Parteien getragen wird, erklärte der CDU-Mann den Grünen. "Tragen sie das ihre dazu bei."

"Unglaubwürdig, gegen die eigenen Anträge zu stimmen" Jürgen Trittin

Baake betont in seinem Redebeitrag, dass sowohl die Befürworter als auch die Gegner des Leitantrages durchaus gute Gründe für ihre Position hätten. Zudem muss er eingestehen, dass eine Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg die Grünen an das Ausstiegsdatum 2022 fesseln würde. Immerhin verlangten die Grünen ja auch von den Konservativen, sich an die getroffene Vereinbarung zu halten.

Die Befürworter des Leitantrages argumentieren, dass mit der Regierungsübernahme der Grünen im Jahr 2013 ja durchaus ein schnellerer Ausstieg beschlossen werden könnte. Wenn Baake den Delegierten empfiehlt, seinem Parteivorstand zu folgen, dann vor allem deshalb, weil die Zustimmung ein internationales Signal setzen würde.

Zustimmung zum Leitantrag

Tatsächlich kann sich dann auch der Leitantrag des Bundesvorstandes gegen eine ganze Reihe von Alternativanträgen, die deutlich schärfere Forderungen zum Atomausstieg beinhaltet hätten, durchsetzen. Und auch mit ihren Änderungsanträgen konnten sich die Kritiker von der Parteilinken nicht durchsetzen. Zwar haben sich die Delegierten zu dem Beschluss durchgerungen, dass der Atomausstieg künftig im Grundgesetz festgeschrieben werden soll.

Den wohl wichtigsten Änderungsantrag, der von Sylvia Kotting-Uhl eingereicht wurde und die Grünen dazu gezwungen hätte, die Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg von Bedingungen abhängig zu machen, ist jedoch durchgefallen. Kotting-Uhl wollte durchsetzen, dass der Atomausstieg spätestens vor der Bundestagswahl 2021 abgeschlossen sein soll, zudem sollte im Atomgesetz festgeschrieben werden, dass alle Anlagen, die zur atomaren Brennstoffkette gehören, stillgelegt werden sollen. Doch der unmittelbar vor der Abstimmung von Bärbel Höhn an die Basis gerichtete Appell, man dürfe durch so einen Antrag nicht Angela Merkel das Heft des Handelns in die Hand geben, verfehlte seine Wirkung nicht.

Der schwarz-gelben Regierung hinterherrennen...

Mit dieser Entscheidung zeigen die Grünen, dass sie bei der Energiewende nicht etwa vorangehen, wie es der Titel des Leitantrages der Parteispitze behauptet. Vielmehr rennen die Grünen der schwarz-gelben Regierung hinterher, in der Hoffnung, so künftig nicht mehr als Dagegen-Partei diffamiert zu werden. Dafür schlucken sie bereitwillig Kröten wie die atomare Kaltreserve und gehen leichtfertig das hohe Risiko ein, ein nicht verfassungskonformes Gesetz zu beschließen. Kippt das Verfassungsgericht die schwarz-gelben Ausstiegspläne, dann könnte das das Ende der Kernkraft in Deutschland erheblich verzögern - und die Grünen wären daran mit beteiligt.

Dieses Risiko geht die Partei zudem ohne Not ein. Die acht AKWs würden mit den Stimmen der Regierung ohnehin vom Netz gehen, und auch der eigenen Wählerschaft wäre ein Nein zu der Atomnovelle durchaus zu erklären. Immerhin listet der Leitantrag der Parteispitze selbst eine Vielzahl von Gründen auf, warum es für die Grünen besser wäre, eigentlich doch nicht zuzustimmen.

Durch ihren vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Kanzlerin Merkel, die sich einen parteiübergreifenden Konsens wünscht, ohne ernsthaft mit der Opposition in Verhandlungen zu treten, profilieren sich die Grünen vor allem als Ersatz für die Liberalen, die aller Voraussicht nach im kommenden Bundestag nicht mehr anzutreffen sein werden.