Plan B für Griechenland

In Brüssel wird schon an einem Alternativplan gearbeitet, weil die Mehrheit für das neue Sparpaket bröckelt

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Mit einem zweitägigen Generalstreik läuft Griechenland nun erneut Sturm gegen die verschärften Sparauflagen, die dem Land mit der Nothilfe 2.0 aufgedrückt werden sollen. Die Bevölkerung macht damit vor der Debatte und Abstimmung im Athener-Parlament am Mittwoch Druck, das Paket abzulehnen, das ohnehin die Misere im Land nur weiter verschärfen wird. Deshalb bröckelt die Mehrheit von Ministerpräsident Papandreou. Seiner Pasok-Partei bricht die knappe Mehrheit von fünf Stimmen weg, weil acht Abgeordnete als mögliche Abweichler gehandelt werden. In Brüssel bereitet man sich deshalb mit Alternativplänen darauf vor, dass das Land bei einer Ablehnung in die Pleite abzuschmieren droht.

Stets wurde behauptet, der verschärfte Sparkurs in Griechenland wäre "alternativlos". So erklärte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn noch am Dienstag in Brüssel: "Der einzige Weg, um eine unmittelbare Pleite zu vermeiden, ist, dass das griechische Parlament das Sanierungspaket annimmt." Einen "Plan B" zur Vermeidung der Pleite gebe es nicht, betonte er: "Das sage ich an jene, die über andere Optionen spekulieren, ganz klar." Europa könne Athen nur helfen, wenn sich Griechenland selbst helfe, tat er so, als hätte das Land mit dem Sparkurs eine Chance, aus der tiefen Rezession herauszukommen. Stärker wird aber die Kritik der Experten daran, dass die Programme zu stark auf Austerität und zu wenig auf Wachstum ausgerichtet sind (Griechenland-Zirkus auf neuer Bühne).

Rehns Worte waren vor allem an Berlin gerichtet. Denn zuvor hatte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview zu der Frage geäußert, was passiert, wenn das Paket in Athen abgelehnt wird. Damit würde die Regierung unter Giorgos Papandreou stürzen, wie es zuvor schon den Sozialisten in Portugal oder den Konservativen in Irland erging. Auch in diesen Absturzländern gesellte sich jeweils zur Finanzkrise auch noch eine politische Krise. Würde das verschärfte Sparpaket abgelehnt, so meinte Schäuble, wären die Bedingungen der Troika aus Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Auszahlung der dringend benötigten fünften Tranche über 12 Milliarden Euro aus dem ersten Nothilfepaket nicht mehr gegeben. Dann, so hatte aber der IWF stets gedroht, werde die Auszahlung verweigert, weil die Finanzierung des Landes nicht mehr für ein Jahr gesichert sei. Das Land wäre damit unmittelbar von der Zahlungsunfähigkeit bedroht.

Schäuble hat deshalb über die Bild-Zeitung die Öffentlichkeit schon breit darauf vorbereitet, dass man das Land trotz allem nicht in die Pleite abrutschen lassen wird. Er baute dafür das Schreckensszenario auf, dass mit der Griechenland-Pleite "die Stabilität der Eurozone als Ganzes in Gefahr" sei. Er warnte vor "schweren Folgen für die Weltfinanzmärkte", wenn das Sparpaket scheitere. "Wir müssten schnell dafür sorgen, dass die Ansteckungsgefahr für das Finanzsystem und andere Euro-Staaten eingedämmt würde", kündigte er an, da erwartungsgemäß Milliarden so oder so an Griechenland fließen werden. " Wir setzen alles daran, eine krisenhafte Zuspitzung für Europa zu verhindern, müssen aber gleichzeitig auf alles vorbereitet sein. Das ist unsere Verantwortung und darauf bereiten wir uns vor."

Die Financial Times Deutschland (FTD) berichtete, dass man zunächst versuchen würde, Zeit zu gewinnen, um die Abweichler in der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) wieder auf Kurs zu bringen. Denn es wird davon ausgegangen, dass bis zu acht von insgesamt 155 Pasok-Parlamentariern mit der Opposition gegen den Kurs von Papandreou stimmen könnten. Drei haben angesichts der massiven Mobilisierung, mit der die Gewerkschaften nun für 48 Stunden das Land lahm legen, schon ihre definitive Ablehnung angekündigt. Damit könnte die Mehrheit für den Sparkurs schon weg sein, wenn die Abgeordneten sich nicht nur enthalten, sondern im 300-köpfigen Parlament mit der Opposition gegen die Sparpläne stimmen. Denn immer mehr setzt sich im Land durch, dass dieser verrückte Sparkurs die Substanz des Landes zerstört und es in der Depression versenkt (Wenn "Verrückte" in Europa regieren). Schon bisher wurden dort Einsparungen vorgenommen, die im deutschen Vergleich ein Drittel des Bundeshaushaltes ausmachen würden.

Doch es ist unwahrscheinlich, dass die FTD-Einschätzung richtig ist. Würde man tatsächlich versuchen, nur Zeit zu gewinnen, wäre das eine fatale Strategie. Denn die Nervosität und die Unsicherheit angesichts der direkt bevorstehenden Griechenland-Pleite dürfte zu panischen Reaktionen und zu Schneeballeffekten führen, welche die Folgen der Lehman-Pleite noch übertreffen könnten. Wer wie Angela Merkel und Nicolas Sarkozy Angst davor hat, dass die Ratingagenturen angesichts einer freiwilligen und verbindlichen Gläubigerbeteiligung von einem Zahlungsausfall ausgehen, wird dieses Risiko nicht eingehen wollen. Wenn man in Brüssel nicht völlig verrückt geworden ist, wird man also einen Plan B auf den Tisch werfen, den Schäuble schon angedeutet hat. Vermutlich werden entgegen allen Drohgebärden schnell alle notwendigen Milliarden fließen, um eine Pleite zu vermeiden.

Ohne Plan B würde Spanien schnell in den Sog gezogen werden

Derweil müsste zudem versucht werden, den definitiven Abgang des ohnehin abstürzenden Spaniens zu verzögern. Die Debatte um Griechenland würgt das Land noch schneller ab und bringt es der Nothilfe immer näher. Schon jetzt muss Spanien so hohe Zinsen zahlen, wie Portugal nur drei Wochen vor dem Gang unter dem Rettungsschirm. Im Angesicht einer möglichen "ungeordneten Insolvenz" Griechenlands wäre es ein sehr aussichtsloses Unterfangen, das Land noch vor dem Rettungsschirm bewahren zu wollen.

Man müsste Spanien sogar schnell Nothilfe zu einem bezahlbaren Zinssatz gewähren. Denn in der Zeit, in der man vergeblich versucht, erneut ein Land vor dem Rettungsschirm zu bewahren, würden die Zinsen für dessen Staatsanleihen extrem ansteigen. Das war schon zuvor in Griechenland, Irland und Portugal zu beobachten. So würde auch in Spanien für viele Jahre viel Geld für extreme Zinslasten draufgehen, das man nicht in Bildung, Investitionen und Sozialprogramme stecken kann. Damit würde eine Erholung in der Zukunft wie in Griechenland noch unsicherer werden. Einsparen kann man das Geld für die steigende Zinslast schon jetzt auch mit harten Sparprogrammen nicht mehr, hatte erst kürzlich ein spanischer Bank-Chef vorgerechnet. (Keine Einigung zur Griechenland-Nothilfe 2.0).

Hätte man "aus der Krise die richtigen Lehren" gezogen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem EU-Gipfel am vergangenen Wochenende in Brüssel erklärte, wäre die schnelle Nothilfe für Spanien eine Konsequenz, um das Land auch aus der Schusslinie spekulativer Angriffe zu nehmen. In diesem Sinne könnte man den Gipfelbeschluss werten, dass der temporäre Rettungsschirm (EFSF) so ausgeweitet wird, dass tatsächlich die gesamte Summe von 750 Milliarden Euro fließen kann. Die Summe ist nötig, um auch das viertgrößte Euroland auffangen zu können. Mit allen Mitteln wird die EU zu verhindern versuchen, dass die Krise auch Belgien und Italien nach unten zieht (Nun rücken Italien und Belgien ins Visier). Spätestens mit Italien, das einen Schuldenberg von zwei Billionen Euro vor sich herschiebt und dessen Wirtschaft auch angesichts der politischen Dauerkrise nicht auf die Beine kommt, würden alle Dämme brechen. In Italien tickt eine echte Zeitbombe für den Euro und vielleicht für Europa (Die Zeitbombe Italien tickt lauter).

Ein paar Zahlen machen aber deutlich, dass ein Absturz Spaniens vor allem deutsche und französische Gläubiger treffen würde, weshalb die Achse Paris-Berlin auf eine schnelle Lösung für Griechenland drängen wird. Die Banken beider Länder sind bekanntlich besonders stark in Spanien engagiert. Zwar haben sich im letzten Jahr französische Institute etwas aus dem Nachbarland zurückgezogen, doch sie haben noch immer 140 Milliarden Euro in spanischen Staatsanleihen investiert, bezifferte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Deutsche Institute haben ihr Engagement in dem Land mit dem Rückzug aus anderen Absturzländern sogar weiter ausgebaut. Sie halten nach BIZ-Angaben nun sogar Anleihen in einer Höhe von 180 Milliarden Euro, sechs Mal so viel wie sie noch in Griechenland stecken haben.

Somit ist klar, dass man mit allen Mitteln die Insolvenz von Griechenland abwenden wird. Deshalb dürften, egal welche Vorwände oder Szenarien vorgeschoben werden, die Milliarden für die nächste Kredittranche über 12 Milliarden Euro an Griechenland fließen und dazu dürften am Sonntag beim Krisentreffen der Finanzminister auch die nötigen 120 Milliarden Euro freigemacht werden, um Griechenland noch ein paar Jahre vor dem nötigen Schuldenschnitt zu bewahren. Dabei kann allein ein "Haircut" eine langfristige Stabilisierung ermöglichen.

Wenn man sich in Brüssel angesichts des möglichen Desasters nicht doch noch zu einer kopernikanische Wende durchringt, ähnlich der Merkelschen Wende in der Atompolitik, und private Gläubiger schon jetzt an der nötigen Umschuldung beteiligt werden, wird die Nervosität aber über die nächsten Monate und Jahre anhalten. In wenigen Monaten wird sie schon deshalb erneut die Lage bestimmen, wenn es um die sechste Tranche aus dem ersten Nothilfepaket geht und sich die Lage in Griechenland wegen aufgrund des rabiaten Sparkurses weiter verschlechtert hat. Es ist zudem nicht zu erwarten, dass Irland und Portugal alsbald wieder zur Finanzierung an die Finanzmärkte gehen können. Nothilfen 2.0 werden also auch für diese beiden Länder notwendig. Derweil wird die Nervosität die Zinsen für spanische Anleihen so weit in die Höhe getrieben haben, dass auch das Land erwartungsgemäß unter den Rettungsschirm gehen muss. Dann ist auch nicht mehr ausgeschlossen, dass die Zeitbombe Italien explodiert und den Euro erledigt.