Musik im Juli

Die monatliche Kolumne

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Sechziger Jahre

The Kinks - Waterloo Sunset von 1967 auf "Something Else" (Sanctuary, Universal).

"Standing On The Shoulders Of Giants". so hieß ihr viertes Studioalbum, das Oasis um die Jahrtausendwende auf den Markt brachte. Wer darin nur einen neuerlichen Anflug von Arroganz sehen wollte, sah sich allerdings getäuscht. Gemeint war wohl eher, dass sie sich nicht als Erneuerer des Britpop verstünden, sondern sehr wohl wüssten, wem sie letztlich ihre Musik zu verdanken hätten.

Neben den Beatles waren das sicherlich auch The Kinks, die zusammen mit den Rolling Stones, The Who oder The Small Faces zu den erfolgreichsten und gewiss auch stilbildendsten Bands der Sechziger gehören und als die Urväter von Britpop, Punk und Garagen-Rock angesehen werden dürfen. Zu Oasis und Blur haben sie später auch die Sex Pistols und The Jam gesellt. Und auch Razorlight, The Libertines oder die Arctic Monkeys haben die Kinks danach als wichtige Inspirationsquelle ausgemacht.

Mit You Really Got Me, einem simplen Riff von Dave Davies, der sofort in Ohr und Beine geht, landen die Kinks im Jahre 1964 einen Welthit, dem in einem selten gekannten Anfall von produktiver Kreativität kurz hintereinander zwölf Alben folgen.

Gewiss finden sich darauf diverses Füllmaterial, Coverversionen und lieblos hingerotzte Stücke. Doch eben auch so wunderbare Songperlen, die auch im Klassik-Radio gern noch gespielt werden, All Day And All Of The Night, Tired Of Waiting und Dead End Street etwa; oder auch: Dedicated Follower Of Fashion, Sunny Afternoon und Dandy.

Anfangs sind die Texte bei den Kinks eher Beiwerk, da dominiert die Musik. Jahre später ändert sich das Verhältnis. Fortan stehen Text und Musik gleichberechtigt nebeneinander. Meist geht es um Alltagsbeobachtungen, um die Sperenzien einer jungen Generation, um Loser oder die Probleme der Alltagsbewältigung. Verantwortlich für all diese Texturen ist Ray Davies, ein begnadeter Komponist und Songschreiber, dem das alles schier aus den Fingern zu fließen scheint.

Als er allerdings dem damaligen Trend folgt, und wie die Beatles (White Album) oder die Beach Boys (Pet Sounds), die Who (Tommy) oder die Rolling Stones (Beggar’s Banquet) sich Ende der Sechziger an Konzeptalben versucht, ist es mit dem Erfolg komischerweise rasch vorbei.

Zwar kehrt mit Lola der Erfolg im Jahre 1970 noch mal kurzzeitig zurück. Der Dauerzwist mit seinem jüngeren Bruder Dave, die diversen Drogen- und Alkoholprobleme Rays, und die ständigen Umbesetzungen der Band verhindern wohl, dass daraus mehr wird.

Trotz kurzzeitigen Comebacks Ende der Siebziger ("Sleepwalker" und "Misfits"); und trotz mehrerer Preise, Auszeichnungen und Ehrungen, der Aufnahme in die "Hall Of Fame" und die Erhebung zum "Commander" durch die Queen, bleibt der Erfolg fortan bescheiden und sehr überschaubar.

Hinzu kommt, dass Dave Davies mit seinem Bruder Ray nichts mehr zu tun haben will. Und auch das jüngst veröffentlichte "Other People’s Live", auf dem Ray Davies den Überfall auf seine Freundin in New Orleans musikalisch verarbeitet, bei dem ihm der Räuber ins Bein schießt, bringt nicht die erhoffte Wende und Anerkennung beim Publikum.

"Waterloo Sunset", unser Anspieltipp aus dem Jahr 1967, zeigt die poetische Ader, die Ray Davies zweifellos besitzt. In dem Stück geht es um einen einsamen Betrachter, der am Fenster hockt und auf die Waterloo Station blickt, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Londons. Im Licht des Sonnenuntergangs sieht er plötzlich ein Liebespaar über eine Brücke gehen. Der Schnappschuss animiert den Beobachter nicht nur zu Reflexionen über das geschäftige Treiben der Leute während der Rush Hour, er versetzt ihn auch in eine leicht melancholische Hochstimmung. Denn:

As long as I gaze on waterloo sunset
I am in paradise