Allianz zwischen Ökologie und Technik

Interview mit Wolfgang Drucker über die veränderte Welt-Wahrnehmung durch Technologie

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In seinem Buch Von Sputnik zu Google Earth geht Wolfgang Drucker der Frage nach, wie Technik die Sicht des Menschen auf seinen Planeten und somit auch zur Ökologie verändert. Darin behandelt er unter anderem Antizipationen von Denkern wie Pierre Teilhard de Chardin, Richard Buckminster Fuller oder Stewart Brand.

Herr Drucker, inwieweit hat Sie persönlich das Nachdenken über Ökologie infolge der technischen und medialen Umwälzungen der letzten Jahre verändert?

Wolfgang Drucker: Am stärksten hat mich der Gedanke der Counterculture verändert, als in den 1960er Jahren propagiert wurde, man könne ökologisch denken und handeln und dennoch neue Technologien nutzen. Dass es kein Widerspruch, sondern unter gewissen Voraussetzungen sogar die Lösung, ist, neue Techniken (und in unserer Situation neue Medien) einzusetzen und gleichzeitig für unseren Planeten einzutreten, fand ich sehr befreiend.

Schließlich möchte ich auf viele Dinge nicht verzichten müssen. Ich werde weiterhin beispielsweise Google verwenden, auch wenn jeder Suchvorgang eine gewisse CO2-Belastung bedeutet. Gleichzeitig bieten sich mir zum Beispiel auf Google Earth eine Fülle von Information, wo Umweltorganisationen tätig sind, was hier zu tun ist und wie ich etwas beitragen kann. Das entlässt uns nicht aus der Verantwortung, selbst tätig zu werden, aber es zeigt auch, dass die Grundannahme nicht sein kann: Wenn wir für Natur - meiner Meinung nach eigentlich Umwelt - eintreten wollen, müssen wir auf Technik verzichten. Sondern eher: Wenn wir eine intakte und funktionierende Umwelt ermöglichen wollen, müssen wir Technik und Medien gezielt einsetzen.

Wenn ich das auch gerne so stehen lassen würde, hat sich während der Arbeit an meinem Buch auch eine weniger erbauliche Perspektive ergeben: Bereits in den 1950er und stärker in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre gab es eine Reihe von Personen, die dafür eingetreten sind, unter Natur- und Umweltschutz nicht die Erhaltung einer unberührten Wildnis zu verstehen, sondern einen bewussten Umgang von Ressourcen.

Die Kommunen der 1960er Jahre versuchten nicht nur aus politischen Gründen, sich autark zu erhalten. Dazu gehörte, eigene Lebensmittel anzubauen, aber auch mit Solarenergie selbst Strom zu erzeugen. Fred Turner erklärt es sehr schön, wenn er schreibt, 'gewisse Gruppen der Counterculture verstanden unter Umweltschutz nicht, dass sie aus dem Fenster schauen und Natur sehen, sondern sie versuchten, eher von außen auf und in die Häuser zu sehen'. Die grundlegende Frage war also, wie sich unsere Häuser in die Umwelt einfügen.

Diese Erkenntnis finde ich sehr wichtig- Aktuell zeigt sich aber, dass sich in den letzten 50 Jahren noch etwas zu wenig getan hat. In ganz Europa gründen sich derzeit - das ist also keineswegs ein deutsches Problem - Protestgruppen, die gegen Windkraft eintreten. Ihr Hauptargument (das sich nicht alle aussprechen trauen) ist: Windräder zerstören das Landschaftsbild. Das Landschaftsbild dürfte hier aber eigentlich keine Rolle spielen - dafür trat die ökologische Counterculture bereits in den 1960er Jahren ein.

Wenn wir nun Satellitenbilder betrachten (oder uns auf der Google Earth bewegen) zeigt sich: Das Landschaftsbild ist kein festes Bild. Hier erkennen wir wenige Unterschiede zwischen Kultur und Natur. Urwälder sehen natürlich anders aus, beleuchtete Städte fügen sich aber ebenso harmonisch ins Gesamtbild. Viel eher stellen sich bei der Betrachtung Fragen nach Ressourcenverbrauch und wie wir mit einer begrenzten Menge an Platz und Rohstoffen auskommen können. Ich persönlich sehe hier massiven Handlungsbedarf, der gesamtgesellschaftlich in den letzten 50 - 60 Jahren noch zu wenig ernst genommen wurde.

Ich würde sagen, der größte Unterschied, der sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat (und um den es mir auch vorrangig ging) ist, dass wir wirklich von Ökologie sprechen können und nicht von Natur. Es funktioniert nicht mehr, nachdem wir auf den Satellitenbildern sehen, dass der Mensch einen Einfluss auf die Erde hat, Natur auszulagern - unter dem Motto: Natur und Kultur sind getrennt. Das ist natürlich nicht ganz neu, aber auch eine Einsicht, die sich immer noch nicht ganz durchgesetzt hat, wenn man bedenkt, dass es nach wie vor Leute gibt, die den Klimawandel nicht als Ergebnis menschlichen Handelns anerkennen. Dass wir nun von Ökologie und nicht von Natur sprechen, ist meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass Satellitenbilder der Erde gemacht und in weiterer Folge verbreitet wurden.

"Wir können von Ökologie sprechen, nicht von Natur"

Was unterscheidet denn Google Earth vom Diercke Weltatlas?

Wolfgang Drucker: Ganz grundlegend ist anzumerken, dass Google Earth hier nur ein, aber das wohl populärste Beispiel ist. Ich sehe drei wesentliche Unterschiede: die Perspektive, die intuitive und flüssige Bedienbarkeit sowie die dargestellten Informationen.

Wie Stewart Brand im Vorwort des Whole Earth Catalogs 1968 und Peter Sloterdijk 2008 in dem Buch Globaler Wandel: Die Erde aus dem All ausführen, übernimmt die Menschheit durch den technisch ermöglichten Blick von außen auf die Erde eine gottähnliche Funktion. Damit, dass wir sehen, was wir auf und mit unserer Erde anstellen, ist die Erkenntnis verknüpft, dass wir es auch in der Hand haben, verantwortungsvoller mit ihr umzugehen.

Sloterdijk meint, damit werde unser Gewissen angesprochen, nachhaltig und verantwortungsvoll zu handeln. Brand formulierte es etwas optimistischer und frecher:

We are as gods and might as well get used to it … personal power is developing - power of the individual to conduct his own education, find his own inspiration, shape his own environment, and share his adventure with whoever is interested. Tools that aid this process are sought and promoted by the WHOLE EARTH CATALOG.

Ein ganz interessanter Nebenaspekt ist hier, dass die Art der Nutzung und die Auswirkungen nicht bereits in der Etablierung der Technik eingeschrieben waren. Die NASA wollte mit ihrem Raumfahrtprogramm hinaus ins All. Dass der Blick zurück auf die Erde veröffentlicht wurde, war auch eine Forderung von Brand - dieses Bild hatte wohl die größte Auswirkung, wenn wir bedenken, dass auch aufgrund des Satellitenbildes eine Ökologiebewegung entstehen konnte und (noch wichtiger) Ökologie denkbar wurde.

Den zweiten großen Unterschied sehe ich in der intuitiven und 'flüssigen' Bedienbarkeit. Aufgrund der Möglichkeit, die ganze Welt auf Straßenniveau zu zoomen, wird die Ganzheit der Erde besser wahrnehmbar. Übertrieben formuliert sehen wir in Programmen wie Google Earth nicht Bilder der Erde, sondern wir können uns darauf bewegen. Dieses Gefühl der Ganzheit konnte in Atlanten nicht aufkommen.

Bereits in den 1950er Jahren hat Buckminster Fuller verstanden, dass zur Darstellung der Ganzheit der Erde andere Wege gefunden werden müsse, als sie herkömmliche Atlanten und Mercator-Karten ermöglichen. Seine Forderung war, die Erde müsse im richtigen Maßstab und als Ganzes wahrnehmbar werden. Fuller arbeitete deshalb an einer neuen Weltkarte, der Dymaxion World Map, und später an einem riesigen Hohlglobus, der in Sichtweite der UN nicht nur geografische Informationen visualisieren könnte, sondern auch Informationen zur Entwicklung der Weltbevölkerung und zum Ressourcenverbrauch.

Das führt mich zum dritten großen Unterschied: In Programmen wie Google Earth geht es nicht vorrangig um Geografie, sondern um die geografische Strukturierung von Informationen. Ebenso wird es plötzlich sehr einfach möglich, Umwelt- und andere Probleme multimedial geografisch einzubetten: Binnen kürzester Zeit war es auf Google Earth möglich, die Ölpest im Golf von Mexiko zu beobachten. Es war ersichtlich, wo Auswirkungen zu finden waren, mit einer Timeline lässt sich der Ölteppich und die geografische Ausdehnung beobachten, mit Zusatzinformationen verknüpft. Meiner Meinung nach ist es in keinem anderen Medium möglich, einen so umfassenden und informativen Überblick zu schaffen. Google Earth übertrifft die Forderungen, die Buckminster Fuller an sein Geoscope gestellt hat.

Sind diese Reflexionszusammenhänge komplett neu oder wurden diese bereits von Theoretikern in der Vergangenheit angedacht?

Wolfgang Drucker: Zugegeben sind nicht alle Zusammenhänge neu. Bei der Recherche für die Arbeit bin ich sehr schnell darauf gestoßen, dass es zum Thema 'Satelliten und Ökologie' viel Material gibt. Ansätze wie der Overview Effect beschreiben die Aussagen. Was in meinem Buch neu ist, ist zum einen der medientheoretische Fokus und zum anderen habe ich versucht, Theoretiker und Ansätze zu beleuchten, die im deutschsprachigen Bereich eher unbeleuchtet blieben. Die Noosphären-Konzepte oder der Whole Earth Catalog sind mit Sicherheit bekannt, meines Wissens bin ich aber der Erste, der Buckminster Fuller aus einer medientheoretischen Perspektive behandelt und nicht wie üblich aus einer architektonischen beziehungsweise architekturgeschichtlichen.

Ebenfalls neu ist die theoretische Einbettung von Google Earth. Wie dies ja bereits McLuhan einmal feststellte, erkennen wir Auswirkungen von Kultur- und Medientechniken zumeist im Nachhinein, im Rückspiegel. Jetzt ist Google Earth nicht mehr wirklich neu - wissenschaftlich fand dies aber bis jetzt kaum Beachtung.

Dass der Blick von außen eine ökologische Perspektive etabliert, haben bereits McLuhan, Fuller und Brand festgestellt. In meinem Buch ging es auch darum, dies zu überprüfen. Auch wenn es noch an empirischen Daten fehlt, lässt sich doch festhalten, dass Medientechnik hier neue Denkräume ermöglicht hat und weiter ermöglicht.

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