Weitestgehende Privatisierung des Staates

Die britische Regierung schwelgt weiterhin in der Revolutionsrhetorik, durch Minimalisierung des Staates eine gerechtere Gesellschaft zu bilden

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Es klingt schön, wenn die britische Regierungskoalition anstrebt, eine offene Regierung zu werden (Britische Regierung will mit Open Government Ernst machen). Allerdings versucht sie auch nach dem Credo, nur der kleine Staat ist ein guter Staat, möglichst alle Dienste, die bislang von der Regierung angeboten wurden und von ihr gewährleistet werden, zu privatisieren. Die liberale Ideologie verspricht mit dem kleinen Staat eine größere Freiheit für den Bürger, der in die Selbstverantwortung entlassen und Unternehmen überantwortet wird, die Profit machen wollen, aber auf die Kundenwünsche schnell reagieren (Britische Regierung verspricht "Machtrevolution" durch das Konzept der "Big Society"). Im Hintergrund des schön klingenden Slogans von der starken Gesellschaft anstatt des starken Staates (big society instead of big government) steht natürlich auch der Zwang, nach den Eskapaden der Verschuldung und Bankenrettung bei den Ausgaben für die breite Bevölkerung sparen zu müssen, wenn die Reichen und Spekulanten nicht stärker zur Verantwortung gezogen werden sollen (Durch Privatisierung aus der Krise?).

Privatisierung ist bei Liberalen und Konservativen oft weiterhin noch die Wunder- oder Zauberformel, wie alles gut werden kann. Der Markt richtet schon, was der starke Staat vermasselt, der Schulden aufhäuft und die freie Entfaltung der kreativen Kräfte fesselt, auch wenn die Schuldensituation erst durch den allzufreien Finanzmarkt und riskante Spiele um Gewinne verursacht wurde. Das freilich ficht einen aufrechten Liberalen oder Konservativen nicht an, wobei in Großbritannien dem Finanzmarkt erst unter der Labour-Regierung Tür und Tor geöffnet wurde - und die rot-grüne Regierung in Deutschland diesem vermeintlich "dritten Weg" nur zu gerne gefolgt ist.

Nun also hat der britische Regierungschef Cameron von den Konservativen in einem White Paper verkündet, wie er den Staat durch Dezentralisierung und Offenheit verschlanken will, was den Bürgern ermöglichen würde, besser unter den dann größeren Optionen auszuwählen. Vor allem die Rhetorik Camerons, der durch die Nähe zum Murdoch-Imperium und dem Abhörskandal diskreditiert ist, blüht. Die Privatisierung sei eine Revolution der "Volksmacht", statt der bürokratischen Kontrolle gebe es dann "mehr Freiheit, mehr Optionen und mehr lokale Kontrolle", preist Cameron an, was eigentlich nur liberale Einfallslosigkeit ist, nämlich dass der ungesteuerte Markt das Heil automatisch mit sich bringt. Noch seien die staatlichen Dienste zwar das "Rückgrat des Landes", aber sie würden einer Philosophie des "Nehmt, was man Euch gibt" und einer Top-down-Logik gehorchen und seien zentralisiert. Die aber habe die Kluft zwischen den Reichen und den Armen im Hinblick auf die Lebensqualität nicht schließen können. Cameron suggeriert, dass der staatliche Bürokratismus den Menschen und dem Land schadet, aber anstatt ihn aufzubrechen, soll alles durch Privatisierung besser werden, weil dann die Menschen die Wahl hätten, sich für die besseren Angebote zu entscheiden (vom Preis ist natürlich nicht die Rede).

Und bessere Angebote gibt es nur, wenn viele Optionen vorhanden sind, wenn also freier Wettbewerb herrscht. Es sei völlig egal, ob etwas vom Staat, von einem Unternehmen oder von einer gemeinnützigen Organisation angeboten wird, Hauptsache das Angebot ist gut. Klingt gut, Cameron verspricht auch, dass alles besser wird, weswegen nun die Privatisierung Vorrang haben soll, während das staatliche Monopol begründet werden müsse. Schließlich würden die Armen gerade verlieren, wenn der Staat die Zügel in der Hand hält. Warum aber Unternehmen vor Korruption gefeit sein sollen und zudem ausgerechnet Chancengleichheit herstellen, bleibt das Geheimnis vom Märchenerzähler Cameron, der sich auf der progressiven Seite wähnt, während er nur einer alten Ideologie anhängt, die letztlich religiösen Charakter hat, wenn das Eliminieren von bewussten Eingriffen in das Marktgeschehen zum Heilsversprechen wird, also eine Gesellschaft gar nicht vernünftig handeln soll.

In the old way of doing things, you’d go along to doctor who might send you to a hospital to have a scan and operation. Now, you can look online and check the hospital out. If you're not happy with the performance there, you can choose a different hospital…an NHS one or one run independently – anywhere that’s registered as safe and charges the NHS going rate.

Die Welt ist so schön und gerecht, würde nur die Freiheit des Marktes herrschen. Dann wären die Armen nicht mehr benachteiligt: "It won’t just be the rich who get the best services. Access to excellent hospitals and schools not the privilege of a few…but the entitlement of everyone." Glaubt er das wirklich oder ist das nur die perfide Utopie des Neoliberalismus, mit der man den Wohlstand der Reichen als Chance der Armen legitimiert, auch daran teilzuhaben? Privatisiert werden sollen aber nicht Militär, Polizei und Rechtsprechung. Die braucht man, um den Rumpfstaat noch zu sichern und das Eigentum zu schützen. Hier endet die die scheinbare Liberalität, alles dem Spiel zu überlassen. Offenbar sind also doch Regeln und kontrollierendes Handeln notwendig, um eine erwünschte Ordnung herzustellen.