Schwerhörigkeit als Filterproblem

Warum Menschen ab 40 Lärm als störender empfinden

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Bei manchen älteren Menschen zeigt sich Schwerhörigkeit schon beim Zwiegespräch in der ruhigen Wohnung – bei anderen dagegen scheinen nur dann Verständnisschwierigkeiten aufzutreten, wenn viele Hintergrundgeräusche eine Unterhaltung stören. Wissenschaftler haben nun eine Ursache dafür gefunden, dass Senioren Debatten in Gaststätten nicht mehr so gut folgen können wie früher.

In einem Aufsatz im aktuellen Journal of Neuroscience veröffentlicht das Team um den Neurobiologen Benedikt Grothe von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität die Ergebnisse von Experimenten mit Wüstenrennmäusen, bei denen sie nachwiesen, dass die Nervenzellen der Tiere Geräusche um so weniger sorgfältig filtern, je älter diese sind. Dadurch fallen die rezeptiven Felder homogener aus und der Informationsgehalt der übertragenen Signale ist niedriger. Dieser Effekt ist weder eine Schallleitungsschwerhörigkeit (für die das Ohr verantwortlich ist), noch eine Schallempfindungsschwerhörigkeit (deren Ursache im Hörnerv liegt), sondern ein Vorgang, der alleine im Gehirn stattfindet.

Wüstenrennmäuse. Foto. Baldur123. Lizenz: CC-BY-SA.

Die Gründe dafür vermutet Grothe in einem "Defizit in der zeitlichen Verarbeitung der Information", das durch einen Mangel beziehungsweise einen Überschuss der Neurotransmitter Glutamat, Glycin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) hervorgerufen wird. Dem Neurobiologen zufolge spricht nichts dagegen, dass dieser Effekt auch bei anderen Säugetieren und damit auch beim Menschen auftritt. Weil Sprache eine relativ komplexe Höraufgabe ist, macht sich der Mangel hier unter anderem dadurch bemerkbar, dass ähnliche Laute nicht mehr so gut unterschieden und Wörter nicht mehr so gut zusammengesetzt werden. Und er sorgt – so Grothe gegenüber Telepolis - wahrscheinlich auch dafür, dass sich Menschen ab dem 40. Lebensjahr durch Lärm eher gestört fühlen als jüngere.

Dass Schwerhörigkeit beim Menschen bald auch medikamentös behandelt werden kann, hält der am Biocenter in Martinsried forschende Wissenschaftler allerdings für unwahrscheinlich: Die dafür theoretisch denkbaren Mittel, die zum Beispiel bei Epilepsie zum Einsatz kommen, hätten beim derzeitigen Stand der Dosierungstechnik nämlich Nebenwirkungen, die schlimmer wären als Schwerhörigkeit. Mehr Potenzial sieht er mittelfristig darin, dass die Ergebnisse seiner Studien in der Konstruktion besserer Hörgeräte Verwendung finden.

Möglicherweise gibt es aber bei der Verschlechterung des Verstehens von Sprache einen weiteren Faktor, dem bislang weder medizinisch noch technisch begegnet werden kann: Bereits 2009 hatte ein Team um Kelly Harris von der Medical University of South Carolina in Charleston 38 Probanden im Alter zwischen 19 und 79 Jahren auf ihre Fähigkeit zum Verstehen von Wörtern hin gestestet und anschließend ihre Gehirne untersucht. Dabei stellten sie fest, dass diejenigen, die die größten Schwierigkeiten beim Hören und Verstehen hatten, eine geringe Gehirnmasse in den Heschl-Querwindungen des Hörzentrums aufwiesen.

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