Zypern trauert und ist wütend

Nebenwirkungen des Welthandels und der Finanzmarktdisziplin, Zypern könnte der nächste Kandidat für den Euro-Rettungsschirm werden

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"Sorry, wir haben kein Geld für den Bau eines Lagers." Diese Antwort erhielten besorgte Bürger, Offiziere und Soldaten, die sich vor 98 in der Marinebasis Evangelos Florakis gelagerten Sprengstoffcontainern fürchteten. Die Container explodierten am Montag. Es gab bisher zwölf Tote und 62 Verletzte. Der wirtschaftliche Schaden für die Insel ist enorm.

Der Tag nach der Explosion zeigte das wahre Ausmaß der Katastrophe. Nur zwanzig Kilometer östlich der zypriotischen Stadt Limassol und direkt neben dem modernsten Elektrizitätswerk des Landes, Vassilikos, und dem evakuierten Dorf Mari sieht es aus wie nach einem Bombardement.

Das Kraftwerk Vassilikos produzierte die Hälfte des zypriotischen Stromverbrauchs. Die beiden übrigen Kraftwerke können den Strombedarf der 766.000 alltäglichen Einwohner der Republik Zypern nicht abdecken. Darüber hinaus kommt erschwerend hinzu, dass das Trinkwasser der Insel über elektrisch betriebene Entsalzungsanlagen gewonnen wird. Es ist touristische Hochsaison, darüber hinaus sorgt die anhaltende Hitzewelle für einen hohen Energiebedarf der Klimaanlagen. DIE, der staatliche Strommonopolist Griechenlands, stellte der Insel bereits 30 MW Leistung zur Verfügung, bis zu 120 MW sollen es kurzfristig werden. Dazu kommen zahlreiche mobile Dieselgeneratoren.

Bereits jetzt hat der Vorfall für eine Regierungskrise gesorgt. Der Verteidigungsminister Kostas Papakostas und der Chef der Nationalwacht, Petros Tsalikidis, sind am Unglückstag zurückgetreten. Dem Volk ist dies aber nicht genug. Schon am Montag versammelten sich in der Hauptstadt Nicosia tausende Zyprioten in Trauerkleidung vor dem Präsidentenpalast und forderten den Rücktritt des Präsidenten Christofias und der gesamten Regierung. "Ein Rücktritt ist nicht genug, jemand muss ins Gefängnis", forderten die Demonstranten. Spruchbänder verkündeten: "Der Staat mordet, tretet zurück!" Auch in anderen Städten wie in Larnaka fanden Demonstrationen statt.

In der Tat hätte der Staat das sich ankündigende Unglück verhindern können, Medien sprechen von "kriminellen Irrtümern". Noch wenige Tage vor der Explosion hatte der Kasernenchef Andreas Ioannidis verzweifelte Appelle an seine Vorgesetzten gesandt. Er hatte bemerkt, dass die Container sich unter der Hitzeeinwirkung aufblähten und verformten. Ioannidis selbst, der sowohl bei den griechischen Pioniereinheiten als auch bei den US-Navy Seals diente, kam bei der Explosion ums Leben. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass es nicht mehr Todesopfer gab. Im letzten Moment schickte er viele Soldaten und Feuerwehrleute ins nahe liegende Meer. Die Kaserne hatte er bereits bei der Entdeckung eines Schwelbrandes in der Nähe der Container geräumt.

Wie aber kamen die Container nach Zypern? Warum explodierten sie?

Offiziell handelt es sich um von US-Kriegsschiffen beschlagnahmtes TNT-Ausgangsmaterial. Aber auch dies wird momentan in griechischen und zypriotischen Medien bezweifelt. Selbsternannte und tatsächliche Experten bezweifeln, dass pure Sprengstoffgrundstoffe ein solches Desaster auslösen können. Aktuell wird – recht verspätet - von offizieller Seite zugegeben, dass sich außer konzentriertem Schwarzpulver in den Containern Magnesium, nicht weiter definierte Explosionsstoffe, Granaten und Gewehrpatronen befanden. Überprüfen kann man dies kaum mehr, denn von den Containern ist nicht mehr viel übrig.

Zusätzlich machen die üblichen Verschwörungstheorien die Runde. Die Republik Zypern übernimmt im zweiten Halbjahr 2012 turnusgemäß den EU-Vorsitz. Es ist Wunsch der Türkei, dass die von ihr faktisch besetzten nördlichen Gebiete der Insel, die völkerrechtlich nicht anerkannte Republik Nordzypern, bis dahin mit dem Südteil und EU-Mitglied vereint ist. Darüber hinaus wird von manchen auch ein Zusammenhang mit der Finanzkrise hergestellt. Diese hat nicht nur Griechenland getroffen. Auch Zypern leidet unter Sparzwang. Waren es die als Verdächtige beliebten Erzfeinde aus der Türkei? Das fragen sich zumindest zahlreiche Talkshowteilnehmer im griechischen Fernsehen.

Fakt ist, dass vor allem der Sparzwang für die Katastrophe verantwortlich ist. Den Zyprioten fehlte es an Geld, um ein geeignetes Lager zu schaffen. Darüber hinaus gibt es auf der Insel keine Experten für Sprengstoffe. Zumindest nach US-Depeschen, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, lehnte Zypern technische Hilfe seitens der USA ab. Stattdessen war seitens der UNO und der USA die Beschlagnahme der Explosivgüter angeordnet worden. Anders als der deutsche Panzerdeal mit Saudi-Arabien war das TNT-Geschäft international verurteilt worden.

Zypern selbst war in den Deal freilich nur als Fußnote verwickelt. Das russische Schiff, das die explosive Fracht im Februar 2009 aus dem Iran nach Syrien transportierte, hatte aus Kostengründen eine zypriotische Billigflagge. Diese im Welthandel für Zypern lukrative Flagge wurde den Inselbewohnern nun zum Verhängnis, weil die Fracht nun auf der Insel gelagert wurde.

Allein das zerstörte Kraftwerk kostet die Zyprioten 1,5 Milliarden Euro. Kein Pappenstil für ein Land mit 17 Milliarden Euro Bruttosozialprodukt. Dazu kommen nun auch Ausfälle im Tourismus, Schwierigkeiten in der Landwirtschaft und erhöhte Kosten für die Aufrechterhaltung der Strom- und Wasserversorgung. Somit ist das Euroland Zypern höchstwahrscheinlich der nächste Kandidat für einen Euro-Rettungsschirm. Vielleicht wäre es für die Weltgemeinschaft preiswerter gewesen, die beschlagnahmte Ware in einem Land zu lagern, das sich im Umgang mit Sprengstoffen besser auskennt.

Die Container selbst konnten als konfiszierte Ware weder verkauft noch vernichtet oder gar entladen werden. Sie standen in der Marinekaserne seit Februar 2009 abwechselnd in der prallen Sonne oder im Regen. Die zypriotische Regierung hatte den Soldaten empfohlen, die Container in periodischen Abständen mit Wasser zu kühlen. Vielleicht hätte man sie lieber gleich ins Meer werfen sollen. Denn die letztendliche Zerstörung war lediglich eine Frage der Zeit. Erschreckend ist, dass Medienberichte über ähnlich gelagerte Sprengstoffcontainer in Zypern vorliegen. Reines Entsetzen jedoch ruft die ursprüngliche Einschätzung der zypriotischen Regierung hervor. Diese hatte behauptet, dass man die Container auch in einer bewohnten Gegend hätte lagern können.