Wesentliche Aspekte der Anschläge sind bis heute unaufgeklärt

Paul Schreyer über seine Rechercheergebnisse zu den Terroranschlägen des 11. Septembers

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Paul Schreyer ist Autor und Sohn des Schriftstellers Wolfgang Schreyer. Zusammen mit seinem Vater hat Paul Schreyer sich bereits 2006 in dem Tatsachenroman "Die Legende. Was am 11. September geschah" mit den Terroranschlägen des 11. Septembers in den USA auseinandergesetzt.

Nun hat Paul Schreyer das Sachbuch Inside 9/11 veröffentlicht. Neue Fakten und Hintergründe 10 Jahre danach, in dem er, gestützt auf neue zugängliche Quellen, wie etwa interne Protokolle der 9/11-Commission, feststellt, dass zentrale Aspekte des 11. Septembers noch immer völlig unzureichend aufgeklärt sind. Insbesondere das Versagen der US-Luftabwehr am Tag des Terrors steht im Mittelpunkt von Schreyers Recherche. Laut Schreyer könne anhand von offiziellen Quellen im Detail nachgewiesen werden, dass die dringend notwendige Reaktion der Luftabwehr am 11. September konkret durch zögerliche Entscheidungen einer einzigen verantwortlichen Person verlangsamt worden sei. Im Telepolis-Interview fordert Schreyer eine neue grundsätzliche Debatte über die Hintergründe des 11. September.

Präsident Bush wird beim Vorlesen in einem Klassenzimmer über die Anschläge informiert

Herr Schreyer, Sie haben ein Buch über die Hintergründe der Terroranschläge des 11. Septembers geschrieben. Warum? Sind nicht alle Hintergründe ermittelt worden?

Paul Schreyer: Leider sind ganz wesentliche Aspekte der Anschläge bis heute unaufgeklärt. Das betrifft sowohl das Vorwissen der Geheimdienste, also die Überwachung einiger der mutmaßlichen Attentäter bereits vor 9/11, als auch das Versagen der Luftabwehr an jenem Morgen. Die amtliche Untersuchungskommission dazu in den USA, die sogenannte "9/11 Commission", hat zwar sehr viele wichtige Fakten recherchiert, andererseits aber auch die konkreten Verantwortlichkeiten in diesem Zusammenhang oftmals verschleiert.

Wie kommen Sie darauf, dass die 9/11-Commission die Terroranschläge nicht ausreichend bearbeitet hat?

Paul Schreyer: Das ergibt sich schon aus Aussagen einiger ihrer Mitglieder. Der Vorsitzende Thomas Kean etwa sprach nach Abschluss der Untersuchungen zur gescheiterten Luftabwehr von "losen Enden, die nie verknüpft wurden". Laut Washington Post warfen einige Mitglieder dem Pentagon sogar absichtliche Täuschung vor und erwogen eine Zeit lang, das Justizministerium einzuschalten, um strafrechtliche Ermittlungen aufnehmen zu lassen . Was die Verschleierung des Vorwissens der Geheimdienste angeht, so hat Senator Bob Graham, damals Vorsitzender der Senatsuntersuchung zu 9/11, schwere Vorwürfe erhoben - auf die aber von Regierungsseite nie reagiert wurde.

Sie haben nun selbst recherchiert und die Ergebnisse ihrer Recherchen veröffentlicht. Wie lange haben Sie recherchiert und wie sind Sie vorgegangen?

Paul Schreyer: Ich hatte die Ereignisse des 11. September in Teilen bereits vor einigen Jahren recherchiert und literarisch verarbeitet, damals als Co-Autor des 2006 erschienenen Tatsachenromans "Die Legende". Der Informationsstand hat sich in den letzten fünf Jahren allerdings drastisch verbessert. Besonders in den USA gibt es inzwischen eine Fülle von Sachbüchern, teilweise auf sehr hohem journalistischem Niveau. Hervorheben möchte ich "The Road to 9/11" von Peter Dale Scott - leider hat sich bisher noch kein deutscher Verleger dafür gefunden. Vor allem aber konnte ich in großem Ausmaß auf die seit 2009 öffentlich zugänglichen internen Dokumente der "9/11 Commission" zurückgreifen.

Die Grundlagen für ihre Recherchen sind also hauptsächlich offizielle Quellen?

Paul Schreyer: Ganz genau. Ich denke, vielen ist noch immer nicht klar, welche Fundgrube da in den Archiven schlummert. Innerhalb der "9/11-Commission" haben eine Menge Leute gearbeitet, die an echter Aufklärung interessiert waren - auch wenn das durch die Leitungsebene unter Direktor Philip Zelikow immer wieder ausgebremst wurde. Durch die Freigabe vieler interner Protokolle können Rechercheure nun da weitermachen, wo die Kommission 2004 aufhören musste.

Behinderung der Reaktion der Luftabwehr geht auf einen Befehlshaber zurück

Was haben Sie herausgefunden?

Paul Schreyer: Durch den Abgleich von Dutzenden offiziellen Dokumenten konnte ich beispielsweise erstmals die konkrete Person recherchieren, die die Reaktion der Luftabwehr an diesem Morgen in mindestens fünf Fällen aktiv behindert und verlangsamt hat. Es handelt sich um den damaligen Befehlshaber des nordöstlichen Luftverteidigungsabschnitts NEADS, Colonel Robert Marr.

Aber wurde das Versagen der Luftabwehr nicht restlos aufgeklärt? Der Spiegel hat sich z.B. 2006 damit beschäftigt. Dort heißt es beispielsweise: "Am 11. September gab es noch sieben Alarmstationen mit jeweils zwei einsatzfähigen Abfangjägern. Da sich alle vier entführten Flugzeuge im Northeast Air Defense Sector (Neads) bewegten, dessen Zentrale in Rome, New York, sitzt, konnten die Verantwortlichen auf zwei Alarmstationen und deshalb nur auf vier startbereite Jäger zurückgreifen. Die Regeln für den Ernstfall sehen eine lange bürokratische Kommunikationskette vor. Man ging davon aus, dass das entführte Flugzeug leicht auszumachen sein würde; dass es Zeit genug gäbe, sich des Problems anzunehmen; und dass die Entführer irgendjemanden erpressen wollten und deshalb verhandlungsbereit seien.

Weil der Fluglotse die erste Funknachricht von AA 11 nicht komplett verstand und weil sich die Nachricht von der Entführung nur langsam die Hierarchie der Flugaufsicht hocharbeitete, vergingen wertvolle Minuten. Erst als der Fluglotse in Boston um 8.34 Uhr einen dritten Funkspruch empfing […] entschied sich die Flugaufsicht, das Militär um Hilfe zu bitten."

Außerdem zitiert der Spiegel auch aus dem 9/11-Commission Report: "Im Abschlussbericht der Untersuchungskommission heißt es: "Die Verteidigung des Luftraums der Vereinigten Staaten am 11. September wurde nicht in Übereinstimmung mit den bestehenden Plänen und der Ausbildung vollzogen. Es wurde von Zivilisten improvisiert, die noch nie mit einem entführten Flugzeug zu tun hatten, das zu verschwinden versucht, und von Militärs, die völlig unvorbereitet darauf waren, dass Zivilflugzeuge in Massenvernichtungswaffen umgewandelt werden."

Ist damit nicht alles gesagt?

Paul Schreyer: Das könnte man meinen, denn auf den ersten Blick klingt die offizielle Erklärung tatsächlich nachvollziehbar. Nur leider trifft sie nicht den Punkt. Der Skandal besteht darin, dass die Abfangjäger die entführten Flugzeuge noch nicht einmal erreichten. Von Abschuss ist da noch gar keine Rede. Allein der simple und hundertfach trainierte militärische Ablauf: Aufsteigen, Hinfliegen und Meldung geben - schon das gelang in keinem der vier Fälle. Und das ist in der Tat erklärungsbedürftig. Denn die zwei Alarmstaffeln in Otis und Langley hätten das eigentlich in allen Fällen zeitlich schaffen können. Den Grund dafür, dass es trotzdem nicht gelang, verorte ich unter anderem bei den aktiven Behinderungen des erwähnten Colonel Marr. In meinem Buch schildere ich das detailliert auf etwa 50 Seiten.

Flugroute der von Otis gestarteten Jets nach den offiziellen Radardaten

Mal konkret: Was meinen Sie mit "Behinderung"?

Paul Schreyer: Ein Beispiel: Um 9.09 Uhr, nachdem beide Türme des World Trade Centers getroffen waren, forderte Major Nasypany, der Colonel Marr direkt unterstellt war, den Start von zwei Abfangjägern von der Langley Air Force Base, 200 km südöstlich von Washington. Nasypany plante, mit ihnen eine Barriere zur Hauptstadt zu schaffen. Das war klug gedacht. Doch Colonel Marr verweigerte die Startfreigabe - ohne schlüssige Begründung. Im Ergebnis wurde der Befehl erst um 9.24 Uhr erteilt, also 15 Minuten später als gefordert. Hätte Marr den Startbefehl aber um 9.09 Uhr gegeben, wie Nasypany es verlangt hatte, dann hätten die Jäger Washington noch rechtzeitig erreichen können, bevor es um 9.37 Uhr angegriffen wurde. Von diesem Kaliber gibt es mehrere Verzögerungen, die sich erstaunlicherweise alle auf diesen einen Mann zurückführen lassen.

Dazu kommt, dass die Routen der Abfangjäger, vorsichtig ausgedrückt, "seltsam" sind. Die Otis-Jets etwa flogen nicht in direkter Linie nach New York, sondern stattdessen eine große Schleife über dem Ozean, ein sogenanntes "Holding Pattern". Bis heute kann niemand klar sagen, wer die Anweisung dazu gegeben hat. Die entsprechenden Tonkanäle des Funkverkehrs mit den Piloten wurden gelöscht, wie die "9/1- Commission" einräumen musste. Die Langley-Jets wiederum wurden, ebenfalls bis heute völlig ungeklärt, Richtung Osten auf den Ozean hinaus geleitet.

Die wichtigsten Schlüsselpositionen waren am Morgen des 11.9. alle unbesetzt

Sie haben zu Ihrem Buch auch einen kurzen Film veröffentlicht, worin ihre Thesen nochmal zusammengefasst und veranschaulicht werden. Als Reaktion auf diesen Film hat sich Miles Kara zu Wort gemeldet, der ein Mitarbeiter der 9/11-Commission war und unter anderem Informationen für die Mitglieder der Kommission beschafft hat. Kara wirft Ihnen vor, Ihre Thesen und Argumente seien falsch.

Paul Schreyer: Es ist in der Tat spannend, dass hier wieder eine Debatte in Gang kommt. Miles Kara war als Stabsmitglied der "9/11-Commission" exakt für die Aufklärung der gescheiterten Luftabwehr verantwortlich. Er interviewte die verantwortlichen Offiziere damals alle persönlich. Ein Journalist sprach ihn nun im Vorfeld eines Interviews auf meine Thesen an und er nahm Anfang Juli auch öffentlich und sehr detailliert dazu Stellung. Seiner Meinung nach sind meine Vorwürfe unbegründet. Doch konkret widerlegen konnte er nichts. In einem offenen Brief an ihn habe ich dann meine Argumentation untermauert - bisher ohne weitere Reaktion von Kara. Möglicherweise habe ich mit meinen Recherchen also tatsächlich einen wunden Punkt getroffen.

Kommen wir zurück zu Ihren Quellen. Sie sagten, Sie stützen sich überwiegend auf offizielle Quellen. Das heißt, Sie gehen davon aus, dass die Grundangaben zur Luftabwehr, z.B. Startzeiten der Abfangjäger etc., wie sie im 9/11-Commission-Report vorkommen, durchaus korrekt sind, oder? Insbesondere die Frage, ob überhaupt vor 10:30 Uhr Abfangjäger gestartet sind, gilt in der 9/11-Wahrheitsbewegung als umstritten.

Paul Schreyer: Wenn man annimmt, dass überhaupt keine Abfangjäger aufgestiegen sind, unterstellt man zur gleichen Zeit, dass sämtliche Beteiligten, die zum großen Teil darüber ausgesagt haben und protokolliert worden sind, alle gelogen haben. Das sind sehr viele Leute. Allein bei NEADS mindestens 20, dann bei den Fluglotsen von der FAA, natürlich die Piloten selbst, deren Mitarbeiter auf den Stützpunkten usw. Außerdem unterstellt man, dass alle inzwischen öffentlichen Protokolle, Tonbänder und Radardaten gefälscht sind. Nicht, dass das unmöglich wäre. Ich halte es nur für unwahrscheinlich.

Was macht Sie so sicher, dass die Luftabwehr mit Vorsatz verlangsamt wurde? Könnten die Verzögerungen nicht ganz banal auch dem allgemeinen Durcheinander an diesem Morgen geschuldet sein?

Paul Schreyer: Ausschließen kann man das tatsächlich nicht. Dass Colonel Marr mit Vorsatz handelte, ist bisher lediglich eine These - die sich natürlich auch als falsch herausstellen könnte. Man sollte aber den Kontext beachten. Es ist schon auffällig, dass die gesamte Luftabwehr zusätzlich auch noch dadurch geschwächt war, dass die wichtigsten Schlüsselpositionen genau am Morgen des 11. September sämtlich unbesetzt waren.

Das begann an der Spitze der militärischen Befehlskette, bei Bush, der ja in Florida weilte und sich dort vor allem um seine eigene Sicherheit sorgen musste. Es ging weiter mit Rumsfeld, der während der Angriffe quasi abtauchte und für seine Untergebenen, die ihn suchten, damit er endlich die Krisenreaktion koordinierte, unauffindbar blieb. Dann war die Spitze des nationalen militärischen Kommandozentrums (NMCC) während der entscheidenden Stunden von einem unerfahrenen Stellvertreter besetzt, der eigentlich verantwortliche General Montague Winfield hatte seinen Posten exakt von 8.30 Uhr bis kurz nach 10 Uhr, also genau im Zeitraum der Anschläge, verlassen hatte. Und schließlich weilte auch noch der nationale Koordinator für Flugzeugentführungen der FAA, Michael Canavan - übrigens ein ehemaliger Befehlshaber der Special Forces - gerade an diesem Tag zufällig nicht an seinem Arbeitsplatz, sondern in Puerto Rico ... Auch ohne ein Diplom in Verschwörungstheorie kommt man eigentlich nur schwer umhin, da ein Muster zu erkennen.

Was erhoffen Sie sich durch die Veröffentlichung Ihres Buches? Sie sprechen von einer dringend notwendigen neuen Untersuchung des 11. Septembers durch eine unabhängige Untersuchungskommission.

Paul Schreyer: Diese Forderung kommt seit Jahren aus den USA und man kann sich ihr, gerade im Licht der neuen Erkenntnisse, nur anschließen. Parallel brauchen wir aber endlich auch eine öffentliche Debatte hier in Deutschland, denn 9/11 dient immer noch als Rechtfertigung für viele umstrittene politische Entscheidungen, von Afghanistan bis zur inneren Sicherheit. Zu dieser Debatte soll mein Buch beitragen.

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