Wortspiele mit Griechenlands Pleite

Ist ein "selective default" eine Bankrotterklärung?

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Am Donnerstag, den 21.7. wird ein EU-Gipfel über Griechenlands Zukunft debattieren. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy verkündete den eiligen Termin. Mindestens bis dahin geht die Zitterpartie für den Euro weiter. Mit Italien und Spanien haben sich zwei der größeren EU-Staaten mit dem Eurokrisenvirus infiziert. Im allgemeinen Klima der Unsicherheit beginnen sich Griechenlands Politiker zunehmend zu verplappern. Neu ist, dass auch Wortspiele die Zukunft des Euros bedrohen.

Während die gesamte Griechenland- und Europosse mittlerweile tragisch wird, ist die Begründung der Terminwahl für den dringend notwendigen Gipfel witzig. Der Montag und Dienstag sei mit anderen Terminen bereits belegt, heißt es. Am Mittwoch, einem belgischen Feiertag, sei die Versorgung der Politiker mit Nahrung nicht gewährleistet.

Chronik des x-ten Aufwaschs der gleichen Krise

Erst am 29. Juni hatte Premier Giorgos Papandreou einen mittelfristigen Etatplan durch das Parlament gepeitscht (Griechenland am Scheideweg). "Entweder der Plan wird ratifiziert, oder wir müssen den Bankrott erklären", vor dieses Dilemma stellte Papandreou seine Fraktion. Die EU rief alle Oppositionsparteien auf, ebenfalls für diesen Finanzplan zu stimmen. Trotz massiver Proteste passierte das Gesetz das Parlament. Die Kreditgeber gaben sich zufrieden und genehmigten dem Land die fünfte Kredittranche des im Mai 2010 genehmigten Rettungspakets.

Seitens des IWF gab es für diese Tranche noch eine kleine Zitterpartie. Zwei verschleierte Kredite von griechischen Gemeinden aus der Hauptstadtregion wurden für den IWF zum Zankapfel. Das Athener Finanzministerium sprang kurzfristig ein, bezahlte die Kredite. Am 8. Juli schien die Welt, trotz der Abwertung Portugals, wieder halbwegs in Ordnung zu sein.

Noch am Dienstag erhielt Griechenland ein weiteres Geschenk. Die bereits im März avisierte Laufzeitverlängerung für die Hilfskredite wurde gewährt. Der neue griechische Finanzminister Evangelos Venizelos versuchte gar mit einem Tabubruch, die Panik der Märkte zu besänftigen. Ein eingeschränkter Zahlungsausfall, "selective default", sei keine Horrorvorstellung, meinte Venizelos. Es sei halt kein langfristiger Kreditausfall und somit keine tatsächliche staatliche Bankrotterklärung. Es wird von griechischen Experten erwartet, dass solch ein Schritt für eine Unsicherheit von wenigen Tagen sorgen würde, danach würde sich die Situation normalisieren.

Venizelos reagierte mit seinen Äußerungen auf die Drohungen der Ratingagenturen. Diese bestehen darauf, dass eine vor allem von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte freiwillige Beteiligung privater Investoren an der Griechenlandrettung einer Bankrotterklärung gleich kommt.

Der Staatsbankrott eines Eurolands erscheint mit Blick auf die bereits jetzt sichtbare Schwäche des europäischen Krisenmanagements als Supergau. Es ist offensichtlich, dass der griechische Finanzminister die Beteiligung privater Gläubiger als "selective default" bezeichnete und somit dem Wort den Schrecken nehmen wollte. Oppositionsführer Antonis Samaras sah jedoch im Wort "default" ein Tabu. Niemand solle dieses Wort in den Mund nehmen. "Der Ausdruck 'default', egal in welchem Zusammenhang ist aus unserem Vokabular gestrichen", sagte Samaras im Parlament. Zwischenzeitlich manifestierte sich erneut Italiens Staatsschuldenproblem. Die Nachbarn Griechenlands verabschiedeten ebenfalls ein massives Sparpaket. Immer deutlicher zeigte sich, dass "die Märkte" auf die zunehmende Entscheidungsangst der europäischen Regierungen reagieren und diese zum Anlass nehmen, um die Kreditwürdigkeit von Eurostaaten abzuwerten.

Kaputt gespart

Irlands Anleihen wurden ebenfalls auf Ramschstatus herabgewertet. Die Iren hatten bisher von allen so genannten PIIGS-Staaten am Besten auf das Sparprogrammdiktat reagiert. Sie hatten sämtliche Forderungen der Kreditgeber ohne Verzögerung umgesetzt. Mehr und mehr hat sich offenbart, dass Kritiker des Spardiktats vielleicht doch Recht haben könnten. Schon vor Jahresfrist warnten viele davor, dass Europa sich kaputt spare. In der Tat hatte Griechenland vor zwölf Monaten zwar einen maroden Staatshaushalt, aber immer noch eine halbwegs funktionierende Binnenwirtschaft.

Ein Jahr später hat das Land eine noch marodere Verwaltung, eine ziellos erscheinende politische Führung, ein widerspenstiges Volk, trotz umgesetztem Spardiktat aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der Steuerzahler erneut steigende Defizite, hohe Inflationsraten, explodierende Arbeitslosenzahlen, zahlreiche Unternehmenspleiten, ein unter Liquiditätsengpässen leidendes Bankensystem und eine Wirtschaft in der Rezessionsspirale.

Ausländische Investoren konnte Griechenland nicht anziehen. Vielmehr zogen bereits im Land befindliche ausländische Unternehmen ab. Auch der Discounter ALDI verabschiedete sich aus dem Sonnenland. Griechische Unternehmen verlagern sich ins benachbarte EU-Land Bulgarien. Dringend notwendige Strukturreformen, welche die Ursachen der Krise beseitigen könnten (Ein hellenisches Fass ohne Boden), wurden nicht durchgeführt. Es fehlte offenbar auch am notwendigen Geld. Darüber hinaus hat die amtierende Regierung des Landes das Vertrauen der Bürger verloren. Die hypothetische Rendite griechischer Staatsanleihen, mithin der Faktor, mit dem sich das Vertrauen der Märkte in die Wirtschaftskraft eines Landes manifestiert, stieg am Freitag auf sagenhafte 33 Prozent.

Unter diesem Blickwinkel erscheint die seitens der europäischen Politiker kritisierte Abwertung der Kreditwürdigkeit Griechenlands mehr als nur nachvollziehbar. Zumal die weiteren Aussichten für Griechenlands politische Stabilität nicht gerade rosig sind.

Immer mehr Umfragen zeigen, dass ausgerechnet die oppositionelle Nea Dimokratia immer mehr Vorsprung vor der regierenden PASOK erhält. Jedoch scheint keine der beiden Parteien, allein regieren zu können. Antonis Samaras gibt sich als Gegner der Sparmaßnahmen, er ist auch innerhalb der europäischen Volkspartei isoliert. Fünf Jahre Nea Dimokratia, 2004-2009, haben das Land entweder in die jetzige Bredouille gebracht oder die Pleite zumindest massiv beschleunigt. Die Vertreter der europäischen Volkspartei, die damals in Europa die meisten Regierungschefs stellte, schauten einfach zu.

Mit Samaras an der Spitze wäre Griechenland für Europa ein noch unsicherer Wackelkandidat. Würde, was andere Umfragen ergeben, ein zukünftiges Parlament aus neun Parteien bestehen, dann wäre das politische Chaos komplett.

Klimawechsel: die griechische Regierung fängt an, Forderungen zu stellen

Papandreou nahm dies zum Anlass für einen offenen Brief an den Eurogruppenchef Jean Claude Juncker. Der griechische Premier betonte in seinem Schreiben, dass Griechenland alles menschenmögliche unternommen habe. Nun sei Europa an der Reihe. Ungewohnt scharf kritisiert Papandreou, dass es egal sei wie viele Opfer die Griechen bringen würden, ohne eine europäische, politische Entscheidung sei eine weltweite Finanzkrise garantiert. Europäische Entscheidungen kämen in der Regel zu spät und sie seinen "zu wenig", meint Papandreou. Er vermutet im ständigen Klima der Unsicherheit einen Hauptgrund für das Ausbleiben dringend erforderlicher Investitionen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht das noch anders. Für ihn liegt die Schuld des Dilemmas und der allgemeinen Verunsicherung bei den Griechen. Der deutsche Finanzminister sieht den Euro ernsthaft gefährdet, meint aber, dass die EU-Länder das Problem im Griff hätten. Eine Meinung, die zunehmend von Wirtschaftsweisen kritisiert wird.

Papandreou beschränkte seine Kritik an der Haltung der Europäer nicht nur auf den offenen Brief. Auch gegenüber der Financial Times Deutschland wiederholte er seine Thesen. Der griechische Premier ging diesmal so weit, auch den "selective default" zu diskutieren. Noch vor wenigen Monaten hatte Papandreou selbst gesagt: "Jeder, der in Zusammenhang mit Griechenland das Wort Zahlungsausfall ausspricht, ist ein Feind des Landes." Sein FTD-Gespräch sorgte deshalb im emotional reagierenden griechischen Politikleben für lebhafte Reaktionen.

Zunächst entwickelte sich daraus in der vergangenen Woche eine Politposse. Denn erschreckt vom Mut des Chefs, Dinge beim Namen zu nennen, dementierte der griechische Regierungssprecher die Aussage seines Premiers. Er vermutete einen Übersetzungsfehler. Das "lost in translation" konnte jedoch rasch durch den O-Ton des FTD-Gesprächs aufgeklärt werden.

Was kann Giorgos Papandreou leisten?

Dass Papandreou mittlerweile drastische Forderungen an seine Kreditgeber stellt, überraschte nicht nur griechische Wähler und politische Weggefährten. Selbst Papandreous Bruder Nikos scheint dem Premier nicht viel Durchsetzungsvermögen zuzutrauen. Offen plauderte Nikos gegenüber der New York Times aus, dass sein Bruder zunächst gar nicht Premier werden wollte. Sein Bruder sei sich über sein begrenztes Durchsetzungsvermögen bewusst. Im gleichen Artikel wird dem Premier von Theodoros Stathis, einem ehemaligen politischen Weggefährten sowohl des Großvaters, des Vaters und des Premiers selbst, bescheinigt, dass er zu langsam reagiert habe.

Noch drastischer beurteilt Ivan Savvidis, ein russischer Dumaabgeordneter und Unternehmer mit griechischen Wurzeln den hellenischen Premier. Er habe noch vor dem IWF-Gang Papandreous ein Treffen des griechischen Premiers mit dem russischen Ministerpräsidenten Vladimir Putin arrangiert. Dabei habe Savvidis im Vorfeld mit Putin geklärt, dass den Griechen ein Kredit über 25 Milliarden Euro zu außerordentlich niedrigen Zinsen angeboten werden sollte. Statt die finanziellen Probleme seines Landes zu diskutieren habe Papandreou, so Savvidis, ein vierzigminütiges Referat über den Umweltschutz Griechenlands gehalten. Der verdatterte Putin habe daraufhin entnervt das Gespräch beendet. Für Savvidis hatte das Gespräch ebenso Folgen wie für die russisch-griechischen Beziehungen. Das Verhältnis beider christlich orthodoxer Staaten befindet sich momentan in einer Eiszeit. Savvidis sank in Putins Gunst.

Auf Savvidis Enthüllungen reagierte der griechische Regierungssprecher ausweichend. Für Giorgos Papandreou stehen weitere Schuldige an der allgemeinen Panik jedenfalls fest. Er meint, dass die Medien das schlagzeilenträchtige Thema zu sehr hochschaukeln würden. In der Tat bemerken selbst Kommentatoren der regierungsfeindlichen Presse, dass es erschreckend sei, dass jeder Normalbürger nun über CCC-Rating, CDS und Finanzfragen denken würde. In der Konsequenz jedoch unterscheidet sich die Sichtweise der Kommentare von der Premierministermeinung. Schuld seien die Hilflosigkeit der griechischen Regierung und die Zögertaktik der EU.

Darüber, dass ein Schuldenschnitt auch Deutschland einst vor der Verarmung rettete, besteht kein Zweifel. Unklar ist, welche Folgen der "selective default" für den gesamten Euroraum hat. Bis zum Donnerstag wird sich zeigen, ob die EU im Fall Griechenland auf den Reset-Knopf drückt oder ob erneut mit finanziellem Risiko für Steuerzahler Zeit gekauft wird und mit Wortspielen Schlagzeilen geliefert werden. Ausgerechnet Finanzminister Venizelos sorgte am Donnerstag im Parlament mit seinem Ausspruch: "Ich rufe die Opposition dazu auf, die Regierung zu stützen und mit militärischer Disziplin unserem Gesagten zu folgen", für die nächste Runde der Wortgefechte.