Weitere Erfolge auf dem Weg zur Synthetischen Biologie

US-Wissenschaftler konnten an lebenden Bakterien an vielen Stellen andere Codons einbauen, europäische Wissenschaftler haben durch gezielte Evolution einen genetischen Baustein durch einen künstlichen ersetzt

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Einer der Pioniere der Synthetischen Biologie, die Lebewesen gezielt umbauen oder gleich ingenieursmäßig herstellen will, ist Craig Venter. In seinem Institut wurde das gesamte Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium künstlich aus vier Basen reproduziert (Leben 2.0: Durchbruch bei der Synthetischen Genomik, Künstliches Genom eines Bakteriums geschaffen), um es in einem zweiten Schritt in Bakterien der Art Mycoplasma capricolum einzusetzen, denen zuvor das Genom entnommen worden war. Die produzierten dann die Proteine, die normalerweise Bakterien des Stamms M. genitalium herstellen (Der nächste Schritt der Gottwerdung).

Kolonien des durch Genomtransplantation veränderten Bakteriums Mycoplasma mycoides. Bild: J. Craig Venter Institute

Venter will im Rahmen des Minimalgenomprojekts herausfinden, welche Gene für ein Bakterium lebensnotwendig sein, um dann auf einem solchen "Gerüst" erwünschte Funktionen aufsetzen zu können. Bislang ist ihm und seinen Wissenschaftlern nur gelungen, ein vollständiges Genom zu reproduzieren und in eine andere Bakterienart einzubauen. Ein von Farren Isaacs und George Church geleitetes Team der Harvard Medical School hat nun demonstriert, dass sie auch gezielte Veränderungen (re-engineeering) im Genom eines Bakteriums realisieren können. Das ist ein wichtiger Schritt zum gezielten Design eines existierenden Lebewesens. Noch immer ist man freilich weit davon entfernt, ein Lebewesen künstlich schaffen zu können, es geht weiterhin "nur" um den Umbau vorhandener Lebewesen durch Manipulation an ihrem genetischen Code (Eine kurze Geschichte des Lebens).

Allerdings hat bereits ein anderes Wissenschaftlerteam unter Leitung von Rupert Mutzel (FU Berlin) und Philippe Marlière (Heurisko USA Inc.) im Juni einen Artikel vorab online in der internationalen Ausgabe der Zeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht, in dem sie ein für die Synthetische Biologie ähnlich bahnbrechendes Forschungsergebnis berichten. Der genetische Code der Lebewesen besteht aus den vier Nukleinbasen A,C, T und G. Die Wissenschaftler haben in E. coli-Bakterien das Nucleotid Thymin durch 5-Chlor-uracil, einen künstlich erzeugten Baustein, ersetzt, der überdies normalerweise für andere Organismen tödlich ist.

Zur Herstellung der genetisch veränderten Bakterien mit einem künstlichen genetischen Baustein haben die Wissenschaftler ein von ihnen entwickeltes Verfahren zur gerichteten Evolution eingesetzt, das im Prinzip ganz einfach ist. Die verwendeten Bakterien waren bereits gentechnisch verändert und konnten die Base T nicht herstellen.

Sie wurden für längere Zeit in Kulturen gezüchtet, in denen nach und nach die Konzentration der toxischen Substanz 5-Chlor-uracil erhöht wurde, so dass die Bakterien jeweils selektiert wurden, die das Gift besser tolerieren. Nach 1000 Generationen entstanden so die ersten Bakterien, die T vollständig durch 5-Chlor-uracil ersetzt haben. Im Zuge dieser von außen gerichteten Evolution ergaben sich bei den Bakterien zahlreiche Mutationen. Wie diese zur Anpassung an das Gift beitrugen, wollen die Wissenschaftler nun erforschen.

Den Wissenschaftlern ging es nicht nur um die Bildung eines künstlichen Organismus, sondern gleichzeitig auch darum, wie man die künftigen Organismusprodukte oder lebendigen Maschinen der Synthetischen Biologie so herstellen kann, dass sie auch dann, wenn sie in die freie Natur gelangen, dort nicht überleben können. Das von ihnen hergestellte Bakterium würde, zumindest zunächst, einmal nicht in einer natürlichen Umgebung leben können, in der das künstliche Gift nicht vorkommt. Und es könnte auch keine Genstücke mit natürlich vorkommenden Bakterien austauschen. Allerdings haben die Wissenschaftler selbst die Möglichkeit gezeigt, wie sich unter bestimmten Bedingungen Bakterien sehr schnell tödliche Bedingungen anpassen können.

E. Coli-Bakterien. Bild: USDA

Die Harvard-Wissenschaftler unter der Leitung von George Church und Farren Isaacs haben, wie sie in ihrem Beitrag für Science beschreiben, ein Codon, eine Dreiergruppe aufeinanderfolgender Nukleotiden, in 32 Stämmen von E. coli in vivo ersetzt. Dabei handelte es sich nicht um ein Codon, das die Produktion einer Aminosäure festlegt, sondern um das Stopp-Codon TAG, das die Bildung von Proteinen beendet und in den E. coli-Bakterien nur 314 Mal vorkommt. Insgesamt gibt es unter den 64 möglichen Codons 3 Stopp-Codons, die die Funktion haben, dass keine weiteren Aminosäuren mehr hinzugefügt werden (Ende der Translation) und das Protein gebildet wird.

Im Unterschied zu dem vorher erwähnten Verfahren der gerichteten Evolution, die Organismen zwingt, sich bestimmten Bedingungen anzupassen, ohne direkt gentechnisch einzugreifen, arbeiten die Harvard-Wissenschaftler mit einem gentechnischen Verfahren (multiplex automated genome engineering - MAGE), mit dem TAG-Codons durch das Stopp-Codon TAA ersetzt werden konnte. Insgesamt wurden so 32 Bakterienstämme erzeugt, die in ihrer Gesamtheit alle TAG-Ersetzungen aufwiesen. Bei 31 Stämmen waren jeweils 10 TAG-Codons überschrieben, bei einem 4. nutzten die Wissenschaftler die Kapazität der Bakterien aus, Genstücke durch Konjugation auszutauschen. Sie stimulierten die Bakterien, viele TAG-Codons auszutauschen.

Durch die CAGE genannte Methode (conjugative assembly genome engineering) wurden in verschiedenen hierarchischen Runden, jeweils die Bakterienstämme selektiert, die mehr TAA- und weniger TAG-Codons enthielten. Aus den 32 Stämmen entstanden 16, daraus 8, dann 4, 2 und schließlich ein Stamm. Allerdings konnten sie auch nach 80 Veränderungen des Chromosoms, die mehr als eine Million DNA-Basenpaare betrafen, bislang noch keine Bakterien herstellen, die gar keine TAG-Codons mehr besitzen. Allerdings waren die Bakterien auch nach so vielen Änderungen noch lebensfähig.

Mit MAGE können viele Veränderungen in einem Genom simultan vorgenommen werden, was beispielsweise wichtig sein könnte, um das Genom des Mammuts ausgehend vom Genom eines Elefanten zu reproduzieren. Das würden die Wissenschaftler gerne machen. Dann müssten allerdings nicht nur ein paar hundert, sondern um die 400.000 Veränderungen vorgenommen werden.

Kombiniert mit CAGE können bei lebenden Bakterien zusätzlich zu dem Codon auch neue genetischen Bausteine eingesetzt werden, um neue, erwünschte Funktionen zu generieren. Damit wäre ein erster Schritt gemacht, tatsächlich ein Genom zu programmieren, es also gezielt umzubauen oder den genetischen Code zu erweitern. Mit dem Verfahren, so die Wissenschaftler werde das Chromosom erstmals zu einer "editierbaren und veränderbaren Vorlage". Und sie sind überzeugt, damit auch tatsächlich "vollständig neue Funktionalität" in das Genom einbauen zu können. Das könnte natürlich dann auch dazu dienen, besser aus Bakterien biologische Waffen herstellen zu können.

Ob Genome auf diese Art editiert werden können, muss aber erst noch demonstriert werden. Zunächst einmal wollen die Wissenschaftler auf dem Weg dahin Bakterien herstellen, die keine TAG-Codons mehr besitzen und darauf nicht mehr angewiesen sind. Dann wollen sie das Gen ausschalten, das das TAG-Codon erkennt und die Bildung einer Proteinkette stoppt. Sofern dies gelingt, könnte das nun neutralisierte TAG-Codon wieder zusammen mit einer neuen, künstlichen Aminosäure eingefügt werden.

Damit hätte man dann das erste Lebewesen hergestellt, das nicht 20, sondern 21 Aminosäuren enthält, was auch schon Wissenschaftler vom SCRIPPS-Institut für sich in Anspruch nahmen (Der weltweit erste "unnatürliche Organismus"). Im Prinzip könnten weitere Codons auf diese Weise umgebaut werden, so dass die derart hergestellten Bakterien völlig andere Proteine herstellen und tatsächlich neue biologische Maschinen darstellen (Leben 2.0 oder die Herstellung von "Einzellerfabriken").