Internetaktivist wird des Massenklaus von Wissenschaftsartikeln beschuldigt

Obgleich sich Aaron Swartz offenbar mit dem betroffenen Unternehmen geeinigt hat, greift die US-Staatsanwaltschaft den Fall auf

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Der nicht unbekannte Internetaktivist Aaron Swartz, Gründer der politischen Aktionsgruppe Demand Progress, Mitbegründer von Open Library und, wie er sagt, Reddit sowie Advokat eines möglichst freien Informationszugangs im Internet, wird beschuldigt, 4,8 Millionen Wissenschaftsartikel gestohlen zu haben.

Zwischen September 2010 und Januar 2011 soll der unglaublich aktive 24-Jährige "systematisch und schnell" die Artikel von JSTOR heruntergeladen haben, nachdem er sich durch den Einbruch in einen verschlossenen Schaltraum am MIT Zugang zu einem Switch verschafft hatte, um so in das MIT-Netzwerk eindringen zu können, wo er sich unter einem Pseudonym als Gast angemeldet hatte, was kurzzeitig möglich ist. Weil das MIT Kunde von JSTOR ist, konnte er so die Millionen von Artikeln auf sein angeblich zu eben dem Zweck erworbenes Acer-Notebook herunterladen. Dabei habe er die ganz offenbar nicht besonders wirksamen Sicherheitsmaßnahmen des MIT und von JSTOR umgangen und auch versucht, nicht entdeckt zu werden. Das habe er nicht nur wiederholt im Netz gemacht, sondern auch dann, als er etwa eine Festplatte aus dem Schaltraum holte und dabei sein Gesicht unter einem Fahrradhelm verbarg, wie es in der Anklageschrift (auch hier) heißt, die es in all den aufgeführten Details wert ist, gelesen zu werden.

JSTOR bietet einen gebührenpflichtigen Online-Zugang zu den Artikeln von mehr als 1.400 Wissenschaftszeitungen. Betont wird in der Anklageschrift, dass das Unternehmen viel Zeit und Geld in die Digitalisierung der Texte investiert habe, was auch die Universitätsbibliotheken entlaste. Eine Jahresgebühr könne schon mal mehr als 50.000 Dollar betragen. JSTOR lasse aber nicht zu, dass Artikel automatisch oder ganze Hefte oder Themenblöcke heruntergeladen werden. Man kann also nur immer einzelne Artikel bestellen, was manche Recherchen durchaus erschweren dürfte.

Zu der Zeit, als Swartz die Massenabsaugung der Wissenschaftsartikel vorgenommen haben soll, war er am Center for Ethics der Harvard University, aber eben nicht am MIT, und soll sich mit institutioneller Korruption beschäftigt haben. Er wird beschuldigt, nicht nur die Artikel unrechtmäßig erlangt, sondern auch beabsichtigt zu haben, sie auf Tauschbörsen zu verbreiten. Aus der Haft wurde der Aktivist entlassen, weil er eine Kaution von 100.000 US-Dollar in Aktien hinterlassen hat. Ihm drohen als Höchststrafe 35 Jahre Gefängnis. Er bezeichnet sich als unschuldig, erklärt aber bislang nicht nähere Einzelheiten.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Swartz ein Massenherunterladen ausgeführt hat. So hatte er letztes Jahr, wie er schreibt, zusammen mit Shireen Barday 441.170 juristische Artikel heruntergeladen und analysiert, um herauszubekommen, von wem sie finanziert worden sind. Dieses Thema habe er auch am Harvard Ethics Center Lab on Institutional Corruption bearbeitet, dessen Direktor Lawrence Lessig ist. 2009 hatte Swartz fast 20 Millionen Seiten von veröffentlichten Gerichtsdokumenten heruntergeladen, was dem Justizministerium zwar nicht passte, aber nicht illegal war. Swartz ging es darum, ein durchsuchbares Archiv zu ermöglichen.

Swartz wusste, dass die Polizei dem Vorwurf nachging und hatte sich freiwillig gestellt. David Segal, der Geschäftsführer von Demand Progress, erklärt, die Klage mache keinen Sinn. Swartz habe sich bereits mit JSTOR geeinigt, bevor die Staatsanwaltschaft den Fall aufgriff. Er wirft den Behörden vor, dass ihr Vorgehen vergleichbar damit wäre, jemanden einzusperren, weil er angeblich zu viele Bücher in einer Bibliothek angeschaut hat.

Carmen Ortiz, Staatsanwältin von Massachusetts, will den Fall verfolgen, unabhängig von allen Motivationen von Swartz. Diebstahl sei Diebstahl, sagte sie in einer Presseerklärung, "egal ob man einen Computerbefehl oder einen Dietrich verwendet oder ob man Dokumente, Daten oder Dollars stiehlt". Woher die Anklage wissen will, dass Swartz die heruntergeladenen Artikel auf Tauschbörsen verbreiten wollte, bleibt vorerst das Geheimnis der Staatsanwältin und von Swartz selbst.

JSTOR erklärt in einer Mitteilung, man habe von der Staatsanwaltschaft eine Subpoena erhalten und kooperiere mit den Behörden. Zudem heißt es, dass man das Herunterladen gestoppt und von Swartz alle Dokumente erhalten habe. Er habe auch versichert, dass der Content nicht verwendet, kopiert oder verbreitet wurde und wird. Das klingt tatsächlich so, als würde man nicht auf einer Strafverfolgung bestehen, schließlich wird noch einmal betont, dass die Ermittlung von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wurde. Man könnte mithin vermuten, dass JSTOR die Sache lieber unter den Tisch gekehrt hätte, zumal durch Swartz kein wirklicher Schaden entstanden war, dass aber die Staatsanwaltschaft mit dem Fall versuchen könnte, die Kriminalisierung von Copyright-Verletzungen und Hacking zur Abschreckung hochzuschrauben. Das verschärfte Vorgehen gegen Internetaktivisten könnte dadurch bestätigt werden, dass gerade in New York Hausdurchsuchungen bei verdächtigten Anonymyous-Aktivisten durchgeführt wurden. In anderen Bundesstaaten wurden zudem mehrere Verdächtige festgenommen. Hacktivism soll nicht mehr als Protestform geduldet, sondern kriminalisiert werden.