"Sie haben den richtigen Kranken gefunden"

Schuld abweisen, rechtfertigen, aktiv drohen - Reaktionen aus der europäischen Rechten auf die Massenmord-Anschläge von Oslo

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Ein 32jähriger blondschopfiger Jüngling tötete am Freitag dieser Woche in der norwegischen Hauptstadt Oslo mindestens 92 Menschen: bei einem Bombenattentat auf ein Regierungsgebäude sowie einer Gewehrattacke auf ein Ferienlager der Jungsozialisten auf der Fjordinsel Utoeya, an dem 600 bis 700 junge Menschen teilnahmen.

Er hatte laut jüngsten Presseinformationen die Tat seit Jahren, mindestens seit 2009, vorbereitet. In einem zwölfminütigen Videofilm, der - mutmaßlich durch den Attentäter selbst - am selben Freitag (22. Juli 2011) auf YouTube publiziert wurde (vgl. Home grown plot), posiert Anders Behring Breivik u.a. in Kampfuniform und mit einem Sturmgewehr im Anschlag.

Der Attentäter hat inzwischen bei der norwegischen Polizei seine massenmörderischen Taten gestanden. Es wurde ferner bekannt, dass er Mitglied in einem Schießclub in Oslo war, und dass er im Mai dieses Jahres größere Mengen Düngemittel gekauft hatte, wie sie auch (bei entsprechenden Kenntnissen) als Voraussetzung zur Sprengstoffherstellung benutzt werden können.

Wie ebenfalls bekannt wurde, hatte der Massenmörder Breivik ungefähr gleichzeitig auch eine 1.500 Seiten umfassende Schrift, eine Art Manifest, unter dem Titel "A European Declaration of Independance - 2083" ins Internet gestellt. In der Brandschrift sprüht der junge Mann Gift & Galle gegen "Multikulturalismus", Moslems, Marxismus und behauptet rundheraus, der Islam sei "eine Genozid-Ideologie".

"Kommandant der nach Recht strebenden Ritter"

Er spricht sich darin ferner dafür aus, terroristische Mittel einzusetzen, "um die Massen zu erwecken", "aufwachen zu lassen". Breivik, der behauptet, seine Manifestschrift innerhalb von neun Jahren verfasst zu haben, und dieselbe auf Englisch mit "Andrew Berwick, Kommandant der nach Recht strebenden Ritter" unterzeichnete, legt darin einige seiner "Kampf"ziele dar. So schreibt er: "Bevor wir unseren Kreuzzug beginnen, müssen wir unsere Pflicht tun, indem wir den kulturellen Marxismus dezimieren."

Unter den von ihm so genannten "kulturellen Marxismus" rechnet Berwick auch die norwegische Arbeiterpartei, eine (aus bürgerlicher Sicht vollkommen harmlose) sozialdemokratische Regierungspartei. Sein Manifest enthält eine direkte Anspielung auf eine Attacke gegen deren Jugendorganisation, welche zum Opfer des Mordangriffs auf der Insel Utoeya wurde. Brisant ist übrigens noch, dass laut Informationen der finnischen Zeitung Helsingin Sanomat das Manifest am Freitag Nachmittag durch ein führendes Mitglied der Partei Wahre Finnen (Perussuomalaiset, PS), einer rechtsextremen Partei mit starken christlichen Einflüssen in Finnland, per E-Mail versandt wurde.

Enttäuschungen in der rechten Szene

Da waren aber viele enttäuscht, die sich sofort beeilt hatten, die Attentate islamistischen Urherbern in die Schuhe zu schieben. Und, wieder einmal, eine vermeintliche geradlinige Verbindung von "Moslems" (und moslemischen Einwanderern) über "Islamisten" bis hin zu "islamistischen Terroristen" zu ziehen: Alle schuldig! So hatte der moslemfeindliche und neokonservative Blog Extrême centre noch am Samstag, den 23. Juli 2011, als die Identität des Attentäters längst festzustehen schien, mit folgender Schlagzeile getitelt: "Islamische Schlächterei in Norwegen."

Folglich bedeutet es für diverse rassistische Milieus, für hauptberufliche Moslemhasser, Anhänger des "Kampfs der Kulturen" gegen den Islam (darunter solche, die tatsächlich oder vorgeblich Israels Politik und Militäraktionen unterstützen; und wiederum andere, die gegen Israel überhaupt eintreten), für Neofaschisten und neokonservative ,War on terror’-Anhänger eine Herausforderung, sich den neuen Nachrichten über die Urheberschaft des Massenmords in Norwegen zu stellen. Gehörte Breivik doch zu ihrem Spektrum.

Das Spektrum: die heterogene Rechte Europas

Er war von 1997 bis 2006 Mitglied der Jugendorganisation der großen, "rechtspopulistischen" bis rechtsextremen norwegischen Fortschrittspartei (FrP), und von 2004 bis 2006 zusätzlich auch der Partei selbst - worüber ihre Chefin Siv Jensen, nun nachträglich ihr "Bedauern" ausdrückte. Im Jahr 2009 warf Breivik dann in einer Nachricht im Internet allerdings seiner früheren Partei vor, die FrP wolle nunmehr "die multikulturellen Erwartungen und das selbstmörderische Ideal des Humanismus erfüllen", laufe also dadurch ihren Gegnern hinterher.

Dabei zählt der Attentäter nicht zu der (relativ kleinen) Fraktion der europäischen extremen Rechten, die beispielweise offen Adolf Hitler verehrt. Vielmehr zählt er zu dem Teil des rechten Spektrums, das besonders gegen "den" Islam hetzt, (vordergründig oder auch inbrünstig) Israel unterstützt und sich auf "westliche Werte" beruft. Kurz, zu der Strömung, die ihre Ideologie nicht aus dem Nationalsozialismus schöpft, sondern eher an die fanatischen Teile der ,Tea Party’ in den USA, die Siedlerbewegung in Israel und ähnliche Phänomene anknüpft - die u.a. durch Geert Wilders in den Niederlanden oder die Webseite Politically Incorrect (PI) in Deutschland repräsentiert wird. (PI rief im Jahr 2009 indirekt, aber deutlich zur Wahl der rechtsextremen deutschen Partei Die Republikaner auf).

Beide Strömungen ko-existieren nebeneinander in der heterogenen, extremen Rechten Europas. Breivik selbst bezeichnete sich u.a. als "pro-Israel", "antieuropäisch", "gegen die UN" und "für Freihandel"; Nazismus, Kommunismus und Muslime seien als Negativphänomene und Feinde alle auf eine Stufe zu stellen.

Wie aus der Seele gesprochen

Am Freitag wurde (durch eine unbekannte Quelle) auch eine Zusammenstellung von früher durch Breivik im Internet publizierten Texten und Mitteilungen im Netz veröffentlicht, darunter auf der - derzeit nicht zugänglichen - Webseite "Document.no", bei der er in den Jahren 2009/10 als Mitglied eingeschrieben war. Dort schrieb er unter anderem:

Die Leute müssen wissen, was die herrlichen multikulturelle Lehren Europa angetan haben: die systematische Zerstörung der europäischen Christenheit, der Traditionen, der Kultur, der nationalen Identität und der Souveränität. Diese politischen Mechanismen konnten nur zur Islamisierung Europas führen.

Dafür wiederum seien "der 68er Geist" sowie der, laut Breivik anscheinend allgegenwärtige, "Marxismus" - den er bei Sowjetkommunisten ebenso wie bei kreuzbiederen Sozialdemokraten verortet - verantwortlich. Breivik, der den historischen Nationalsozialismus ebenfalls ablehnt, schreibt dazu ferner:

Wenn Westeuropa und die USA nach dem Zweiten Weltkrieg alle Marxisten ins Gefängnis gesteckt und die marxistische Ideologie als genau so hassenswert wie den Nazismus betrachtet hätten, wären wir nicht an dem Punkt angelangt, wo wir sind.

Die Polizei beschreibt Breivik, nach ihren Ermittlungen über dessen geistiges Umfeld, als "christlichen Fundamentalisten". Er selbst schrieb jedenfalls über sich, er sei "Protestant" - wozu er sich im Alter von 15 Jahren "aktiv entschieden" habe, doch "seine Kirche" sei ebenfalls durch das Multikultitum zersetzt:

Heute ist der Protestantismus ein grober Witz. Man sieht Gläubige in Jeanshosen, die für die Palästinenser demonstrieren, und die Kirchen wirken mehr und mehr wie kleine Einkaufszentren. (...) Das Einzige, was die protestantische Kirche retten könnte, wäre eine Rückkehr zu ihren traditionellen Werten.

Das klingt nun natürlich manchen Rechten wie aus der Seele gesprochen. Entsprechend groß ist die Herausforderung für sie, nun mit den Ergebnissen irgendwie umzugehen. Die deutschsprachige Webseite Politically Incorret berichtete denn auch am Samstag, den 23. Juli 2011, unter dem Titel Fall Anders B., eine konservative Katastrophe über den Fall. In ihrer inhaltlichen Bewertung halten sich die PI-Macher, die irgendwo im Feld zwischen dem rechten CDU- und FDP-Flügel und rechtsextremen Parteien wie den ,Republikanern’ angesiedelt sind, noch zurück. So heißt es dort am Samstag:

Dieser Beitrag soll darum auch eine sachliche Analyse und kein Reinwaschen von Eigenverantwortung sein. All die Zerstörungswut ist nach gegenwärtigen Erkenntnissen das Werk eines einzigen Mannes, eines konservativen Norwegers, der auf der der größten islamkritischen Website Norwegens document.no als Kommentator bekannt war. PI hat versucht, mehr über diesen Mann herauszufinden.

Und weiter:

Was er schreibt sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten. (…) Ob Breivik an einer psychischen Krankheit leidet, die seither (Anm. : seit seinem letzten Blog-Eintrag von Ende Oktober 2010) schlimmer geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.

Die Webseite fügt ferner, aufrichtig kleinlaut, noch hinzu:

Dennoch ist es wichtig zu bemerken, dass die ,Bösen’ nicht immer nur andere sind. Wir dürfen uns vor lauter Auf-andere-mit-dem Finger-Zeigen nicht unserer Eigenverantwortung entziehen. Wir stehen in der Verantwortung für unser Handeln und Denken. Und in dieser schweren Stunde ist es unsere Pflicht, die Schuld nicht zuerst bei anderen zu suchen, sondern den Angehörigen unser Beileid auszusprechen.

Am Sonntag früh, den 24. Juli 11, liest man bei PI neu, es geht um die Entdeckung des 1.500seitigen Manifests des Attentäters Breivik:

Der 1500-seitige Text liegt uns vor, konnte aber heute morgen noch nicht gelesen werden. Auch Henryk M. Broder sei erwähnt. Außerdem enthalte der Text Anleitungen zum Bombenbau, weshalb hier keine weiteren Verweise folgen. Wie gesagt, 100-prozentig sicher, ob der Text vom Attentäter stammt, ist die Presse noch nicht.