Manifest für einen erbarmungslosen "Kreuzzug" gegen den Multikulturalismus

Der norwegische Massenmörder ist ein beunruhigendes Symptom für das in Europa und den USA umgehende postmoderne ideologische Amalgam aus Nationalismus, Islamhass, Ablehnung von offener Gesellschaft, "politischer Korrektheit" und linker Orientierung

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Viel ist noch immer nicht bekannt über das Leben von Anders Behring Breivik, der nun vermutlich die Bühne nutzen wird, die er sich durch sein grausam und kaltblütig inszeniertes blutiges Spektakel geschaffen. Dafür hat der Abiturient, der versucht hat, verschiedene Firmen zu gründen, zuletzt einen landwirtschaftlichen Betrieb, mit seinem "Manifest" ein Drehbuch geschrieben, in dem er festhält, dass die Festnahme nach einer spektakulären Tat eine große Chance ist, um seine Weltanschauung zu verbreiten und neue Anhänger zu rekrutieren, die den Kampf gegen die "Verräter" weitertragen und neue Zellen des Widerstands bilden. Die Propaganda oder das Marketing waren dem Unternehmer, der sagt, das Manifest habe ihn 300.000 Euro gekostet, ganz wichtig - vom persönlichen Auftreten bis zur Planung eines Anschlags.

Der adrette, gut gekleidete Massenmörder, der Europa vor dem Islam retten will

Das Manifest ist seine Bibel, natürlich angelehnt an das Kommunistische Manifest oder das Manifest des Unabombers, an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, vielleicht auch an Hitlers Mein Kampf. Die Unterschiede sind wahrscheinlich im Kopf von Breivik nicht sonderlich wichtig, ihm ging es vor allem um die Propaganda der Tat, um die Schaffung einer revolutionären Bewegung, die mit allen vorhandenen Mitteln und selbst mit Rückgriff auf die Methoden des islamistischen Terrorismus, im Norden der Welt, vor allem im Norden Europas ein Gegenmodell zum Kalifat von al-Qaida schafft. Dazu wollte er ein Fanal setzen, das weltweite Aufmerksamkeit erzeugt und dazu dient, sein Manifest über das Internet weltweit zu verbreiten. Das ist ihm bereits gelungen.

Der 32-jährige Breivik dürfte wohl ein Kind des 11.9. sein, der in der von der Bush-Regierung und al-Qaida inszenierten Welt des Endkampfs zwischen Gut und Böse seine "Lösung" gefunden hat. Ihn daher nur als wirr und einzelgängerisch abzutun, wäre vermutlich falsch, weil er ein Symptom für die politischen Suchbewegungen im konservativen und rechten Milieus ist, die ein noch vages, aber potenziell eben auch explosives Amalgam aus Nationalismus, Islamhass, Abwehr von Multikulturalismus, Globalisierung und offener Gesellschaft, Ablehnung von politischer Korrektheit und von linker Orientierung bilden und derzeit in vielen europäischen Staaten und auch in den USA in der Tea Party-Bewegung florieren. Die Weltfremdheit in diesen Bewegungen zeigt sich vor allem daran, dass sie an wirtschaftliche Zusammenhänge keine großen Gedanken verschwenden. Auch bei Breivik spielt Ökonomie keine Rolle - und er hat sich jahrelang in der Fortschrittspartei engagiert.

Bei Breivik kommen noch die seltsamen Verbindungen zu den Freimaurern und die Faszination an den Templerorden hinzu, was den Glauben an einen kommenden Bürgerkrieg in Europa und den Krieg zwischen dem christlichem Europa und den islamischen Staaten wie in der Zeit der Kreuzzüge nur verstärkt. Breivik braut eine höchst verquere "multikulturalistische Allianz von Globalisierern, Marxisten und Islamisten" zusammen, die alle an einem Strang ziehen sollen und irgendwie auch noch das "Monster" der europäisch-sowjetischen und amerikanisch-sowjetischen Hegemonie (EUSSR/USASSR) bilden, gegen die die nordischen Patrioten kämpfen müssen. Das erinnert schon an ein Wahnsystem, an Szenarien, wie sie gerne von religiösen Fundamentalisten, aber auch in Filmen, Computerspielen oder Büchern wie Der Herr der Ringe, letztlich auch in Harry Potter ausgebreitet werden und offenbar die Menschen beeindrucken. Warum ausgerechnet die "multikulturalistische Regime" bis spätestens 2083 fallen sollen, bleibt Breiviks Geheimnis, er meint wohl, dass bis dahin Muslime die Hälfte der Bevölkerung sein würden, was irgendwie einen Umschlag mit sich bringen würde.

Ideologisch ist Breivik kein Rechtsextremer, der von der Rückkehr zum Dritten Reich träumt oder gar antisemitisch ausgerichtet ist. Er ist ein postmoderner junger Mann, der nach Orientierung in der postideologischen Welt gesucht hat und dabei eine Verbindung von radikalem Nationalismus, Antiislamismus, Rassismus und Weltrettung sowie einer Ablehnung der westlichen Demokratie und allem, was nach linksliberaler Offenheit und Toleranz riecht, für sich zusammen gestrickt hat, wie sie auch im Umkreis der so genannten rechtspopulistischen Bewegungen zu finden sind.

Was Breivik gemacht hat, ist, dass er versucht hat, eine Art Handbuch für den patriotischen Terrorismus zusammenstellen, der kühl und ohne jeden Skrupel die Tötung von Menschen plant, eine neue Art der Endlösung also, exekutiert im bürokratischen Stil, wie einst die Konzentrationslager betrieben und die Juden und andere Minderheiten vernichtet wurden. Im Vordergrund stand dabei nicht der Ausbau einer politischen Theorie, sondern ein unbedingter Wille zur Aktion, die zwar legitimiert werden muss, die aber vor allem ein Handlungsziel setzt - und das ist der bewaffnete Kampf mit allen Mitteln und in allen Formen von Anschlägen und Sabotageaktionen bis hin zum Einsatz von biologischen, nuklearen und chemischen Massenvernichtungswaffen.

Revolution im Zeichen des Kreuzzugs

Alles wird wie bei den islamistischen Terroristen im Umkreis von al-Qaida durch den notwendigen Kampf gerechtfertigt, deswegen kann man die Feinde - genannt Verräter - kaltblütig umbringen, wie dies Breivik auch selbst demonstriert hat. Für ihn gibt es drei Kategorien von Verrätern, die getötet oder durch eine Art "Nürnberger Prozesse" nach der Machtergreifung der patriotischen Regierung exekutiert werden müssen. In der Kategorie A befinden sich politische Führer (inklusive Leiter von NGOs), Chefredakteure oder wichtige Personen in der Kultur und der Industrie. Zur Kategorie B gehören die übrigen Politiker, vor allem die EU-Abgeordneten, aber auch Journalisten, Lehrer, Professoren, Literaten und Künstler. Auch die müssen getötet werden, die übrigen Unterstützer und Sympathisanten der Multikulturalisten müssen bestraft werden. Länder, die mehr oder weniger schon verloren sind und daher Hauptangriffsziele darstellen sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Belgien, Holland, Luxemburg, die Schweiz oder Österreich. Hier würden die Muslime nämlich bald die Macht übernehmen. Hauptanschlagsziele sollten Parteitage, Journalistentreffs, Literaturfestivals oder überhaupt Gelegenheiten sein, an denen sich Intellektuelle gehäuft treffen und vernichten lassen. Sehr ausführlich schildert der patriotische Märtyrer auch die Möglichkeiten, Atomkraftwerke anzugreifen, um Tschernobyl-ähnliche Katastrophen zu bewirken.

Dabei wird selbst an eine Allianz von Dschihadisten gedacht, aber das könnte ideologisch nicht so produktiv sein, überlegt Breivik, der aber festhält, dass die europäischen Patrioten und die Islamisten "ein gemeinsames Ziel" haben:

Sie wollen die Macht über ihre Länder im Mittleren Osten haben und wir über unsere in Westeuropa. Eine künftige konservative europäische Macht wird alle Muslime aus Europa deportieren und die muslimische Welt isolieren. In der Folge werden die Islamisten den notwendigen Antrieb erhalten, die Macht in verschiedenen Ländern zu übernehmen: Ägypten, Saudi-Arabien, Türkei, Jordanien, Syrien, Jemen, Oman, Algerien, Marokko und einigen anderen Ländern. Die Dschihadisten wissen das. Ein islamisches Kalifat ist ein nützlicher Feind für alle Europäer, da es die europäische Einheit unter einer christlich und kulturell konservativen Führung garantiert.

Und auch in der Organisation ist - mitsamt dem Konzept vom "Open Source Warfare" - al-Qaida Vorbild:

As a Justiciar Knight, you are a part of an indestructible network of cells, spread all around Europe that functions without a central command. No dormant cell can remain inactive waiting for orders from above. Your obligation as a Justiciar Knight/a cell commander is to act on your own initiative. Any single patriot who wants to establish a cell and begin action can do so, and thus becomes a part of the organisation.

Breivik beschreibt sich nicht als Einzeltäter. Es haben 2002, also nach dem 11.9., in Großbritannien ein Treffen der Tempelritter Europas stattgefunden, bei dem es um die Schaffun eines "neuen Nationalismus" gegangen sei. Alle Teilnehmer hätten Pseudonyme benutzte, er sei der jüngste gewesen und habe den Namen Sigurd der Kreuzfahrer gehabt.

Massaker als Bühne für den Helden der patriotischen Bewegung

Eitel ist Breivik, der den Sinn seines Lebens im Kreuzzug gefunden hat, ohne Zweifel. Er sieht sich selbst als Urheber eines Aufstands, einer "europäischen Widerstandsbewegung", die 2020 die Regierungen, die "multikulturalistischen Diktaturen" zur Kapitulation aufrufen wird und danach, wenn der Forderung nicht Folge geleistet wird, mit allen Mitteln, einschließlich Atombomben, für einen Sieg kämpfen wird. Wichtig aber sei, im Internet professionell aufzutreten, Grafiker einzusetzen, Bilder zu bearbeiten und alle Personen möglichst gut und attraktiv darzustellen ("eine Person, der wie ein Höhlenbewohner aussieht, siehe Osama, wird wenig Anziehungskraft haben"). Er selbst hat auch seinem Manifest einige Bilder von sich selbst angehängt, u.a. in Uniformen, wozu er ebenso wie zu hierarchischen Organisationen eine besondere Neigung zu haben scheint. Vermutlich sollen die Aufnahmen zeigen, wie man sich gut darstellt.

Breivik hat sich ohne Widerstand sofort nach Ankunft des Sonderkommandos auf der Insel, wo er mit Dum-Dum-Geschossen auf die tödliche Jagd auf sozialdemokratische "Verräter" gegangen ist, festnehmen lassen. Das deutet an, dass er seinem Drehbuch folgen wird. Gewarnt hat er u.a. davor, dass man die führenden "Ritter" (Justiciar Knights) als wirre Einzeltäter abstempeln wird. Der aber handelt eigentlich im Namen von Millionen von Patrioten, die sich nicht an die "islamische Sklaverei" verkaufen lassen wollen, und müsse das auch deutlich machen, wozu Festnahme und Prozess gute Möglichkeiten seien.

Der "Große Tag", an dem der Anschlag durchgeführt wurde, habe zwar manchmal Jahre der Vorbereitung benötigt, aber er schenke nun auch die Belohnung, denn damit werde man unsterblich. Wird man festgenommen, dann sei dies der "Beginn der Propagandaphase". Der Prozess schaffe die Möglichkeit, eine Weltbühne zu sein, was man ausnutzen müsse. Für die Bewegung sei man nun ein "lebender Märtyrer", der eine genügend einflussreiche Position erreicht habe, um eine nationale oder paneuropäische Dachorganisation oder zumindest eine "nationale Gefangenenbewegung" zu schaffen. Und selbst wenn der "Ritter" getötet würde, kämpfe er noch vom Jenseits und werde Jahrhunderte lang erinnert. Seine Geschichte werden wesentlich "zur Moral der entstehenden konservativen Widerstandbewegung in Westeuropa beitragen". Man werde als Märtyrer zum Helden, der aufgestanden ist und gezeigt hat, dass es jetzt genug sei. Und so werde der Märtyrer auch zum Vorbild für weitere Märtyrer, die als furcht- und selbstlose "Zerstörer des Marxismus" und der Tyrannen gefeiert werden.

Breivik hat in seinem Manifest auch beschrieben, welche Erklärung man zu Beginn eines Prozesses abgeben solle, um diesen zur Propaganda zu nutzen, selbst wenn manche Formulierungen und Forderungen erst einmal lächerlich gemacht würden. Man darf gespannt sein, ob der junge Mann, der seine Gegner wie Ungeziefer ausrotten will, seinem Drehbuch folgen wird. Bislang macht dies ganz den Anschein.

Er hat sich schon ausgemalt, wie es sein wird, wenn er nach seiner "Operation" gefangen genommen wird. Weil er doch ein tapferer Ritter ist, stellte er sich vor, verwundet im Krankenhaus zu einem Albtraum aufzuwachen. Gegen Bewaffnete zu kämpfen, hat er sich aber doch gescheut und sich lieber schnell ergeben. Man werde ihn als Faschisten, Rassisten, Wahnsinnigen, Homosexuellen oder Monster darstellen, weiß er. Aber er ist sich auch sicher, was er wirklich ist, nämlich der Größte, ein Held, der perfekte Ritter und der Retter Europas:

Regardless of the above cultural Marxist propaganda; I will always know that I am perhaps the biggest champion of cultural conservatism, Europe has ever witnessed since 1950. I am one of many destroyers of cultural Marxism and as such; a hero of Europe, a savior of our people and of European Christendom - by default. A perfect example which should be copied, applauded and celebrated. The Perfect Knight I have always strived to be. A Justiciar Knight is a destroyer of multiculturalism, and as such; a destroyer of evil and a bringer of light. I will know that I did everything I could to stop and reverse the European cultural and demographical genocide and end and reverse the Islamisation of Europe.