"Das Regime zerbricht von innen"

Gespräch mit Bahman Nirumand über seine Erfahrungen mit politischen Umstürzen und über die aktuelle Lage in Iran

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Bahman Nirumand gehörte als enger Freund von Rudi Dutschke und Autor des Buches "Persien – Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der freien Welt" zu den wichtigsten Köpfen der 68er-Bewegung; zugleich ist er Mitbegründer der studentischen iranischen Exilopposition CIS/NU. 1979 kehrte er aus dem deutschen Exil nach Iran zurück, voller Hoffnung auf eine erfolgreiche Revolution. Der Shah wurde gestürzt, doch dann kam alles anders.

Unter Ayatollah Chomeini schlitterte das Land geradewegs in die nächste Diktatur. Nirumand selbst ist einige Male nur knapp mit dem Leben davongekommen – so war auch er Ziel des Mykonos-Attentats in Berlin, bei dem 1992 mehrere Aktivisten vom iranischen Auslandsgeheimdienst ermordet wurden. Nun hat er im Rowohlt Verlag seine Autobiographie Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein müsste veröffentlicht. Er zeichnet darin ein so reflektiertes wie differenziertes Bild von über einem halben Jahrhundert deutsch-iranischer Geschichte. Im Gespräch mit Telepolis spricht er hierüber ebenso wie über die aktuelle fragile Lage in Iran unter einem Regime, dessen Machtbasis rapide bröckelt.

Herr Nirumand, sie haben viele politisch-soziale Umstürze selbst miterlebt, teils aktiv an ihnen teilgenommen – als Jugendlicher den CIA-Putsch gegen Mossadegh, dann die Bewegung der 68er in Deutschland, die Islamische Revolution 1979 in Iran und eine Dekade später den Mauerfall … was war für Sie persönlich das prägendste Ereignis, und warum?

Bahman Nirumand: Die Revolution von 1979. Erstens, weil ich jahrzehntelang darauf gehofft hatte, zweitens weil ich auch dafür gekämpft habe. Für mich war das ein Traum, der in Erfüllung ging, ohne dass ich es wirklich erwartet hätte … und dann kam die Niederlage, die Revolution entwickelte sich in eine völlig falsche Richtung. Erst war da das Glücksempfinden, einmal ganz frei durch Teheran spazieren zu können, worauf wenige Monate später wieder dieselben alten Angstgefühle folgten, die ständige Gefahr, verhaftet zu werden. Diese unmittelbare Nähe von Glück und Enttäuschung war sehr prägend und bestimmend für mein weiteres Leben.

Nirumand Bahman. Foto: Dagmar Morath

Wie konnte es letzten Endes dazu kommen, dass Chomeini eine solche Macht auf sich vereinte und sogar linke Parteien wie die Tudeh-Partei ihm bedingungslos folgten? Zu dem Zeitpunkt war sein Buch "Der islamische Staat" bereits gut zehn Jahre alt. Wer es kannte, der musste doch eigentlich wissen, was sich da zusammenbraut…

Bahman Nirumand: Kaum jemand kannte dieses Buch, man konnte die Leute, die es gelesen hatten, an den Fingern abzählen. Es ist wichtig, folgendes zu wissen: Unter dem Shah-Regime war keine einzige politische Partei zugelassen. Es gab Untergrundgruppierungen, aber keine politischen Organisationen. Die einzige funktionierende politische Organisation war der Islam. Es gab gut hunderttausend Mullahs, die überall vertreten waren, bis hinein in die kleinsten Provinzen und Dörfer. Sie wurden für die Revolution mit Chomeini an der Spitze aktiviert. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie zu Parteifunktionären, die Moscheen zu Parteizentralen. Zu den Moscheen hatten Polizei und Geheimdienste des Shah keinen Zugang, sie konnten dort nicht einfach einmarschieren. Die Millionen Gläubigen wurden zu Parteigängern. Wir Linke und Nationaldemokraten waren längst nicht in der Lage, solche Massen zu mobilisieren.

Der Volksaufstand hatte bereits 1977 begonnen. Der Mittelstand, bestehend aus Juristen, Lehrern, Studenten, Schriftstellern, Basaris, hatte protestiert, doch sie waren damals in der Minderheit. Die Voraussetzung für Demonstrationen mit Millionenbeteiligung war die Mobilisierung der Massen in den Städten und Provinzen, und das konnte nur jemandem wie Chomeini gelingen.

Im Grunde war es auch ein Zufall der Geschichte, der Chomeini geholfen hat. Lange Jahre hatte er ein eher stilles und unscheinbares Leben in Nadschaf (Irak) geführt, bevor er nach Paris übersiedelte. Dort hatte er plötzlich die Aufmerksamkeit der westlichen Medien, für die er ein charismatischer Exot war. Man wollte wissen, was dieser Mann zu sagen hat, und was er verkündete, unterschied sich kaum von den Äußerungen liberaler Politiker. Er sprach von Gleichberechtigung zwischen Mann und von Frau, er versprach, die Geheimdienste aufzulösen, es sollte in Iran keine Folter, keine Hinrichtungen und keine politischen Gefangenen mehr geben. Dieser Gottesmann hat damals viel gelogen.

Er war damals der einzige namhafte Politiker, der ohne Abstriche den Sturz des Shah verlangte. Historisch betrachtet wäre eigentlich die Nationale Front, die Nachfolgeorganisation Mossadeghs, an der Reihe gewesen, aber im Gegensatz zu Chomeini versuchte sie, Kompromisse einzugehen und dem Shah Zugeständnisse zu machen. Chomeini hingegen konnte Eindruck schinden, seine Haltung hat sehr zur Radikalisierung der Bewegung beigetragen.

Im ganzen Land wurden Tonbänder mit seinen Botschaften verteilt. Dadurch konnte er auch die Menschen in der Provinz und die Slumbewohner mobilisieren, die viel weniger skeptisch gegenüber Führerfiguren und bereit waren, jedes Opfer zu bringen. Sie sahen in ihm einen gottgesandten Heiligen. Nur so konnten sich die Islamisten an die Spitze der Revolution setzen. Auch Teile der Linken unterstützten Chomeini, nicht zuletzt weil die Sowjetunion hinter ihm stand.

Die Begriffe "links" und "68er" werden heute gerne von der konservativen Fraktion als Totschlagargumente benutzt. Warum war 68 aus Ihrer Sicht notwendig, inwiefern hat sich Deutschland dadurch verändert?

Bahman Nirumand: Ich glaube, dass die 68er-Bewegung eine Notwendigkeit der Geschichte war. Ohne sie hätte Deutschland den Sprung vom 19. ins 20. Jahrhundert nicht schaffen können. Als ich 1951 zum ersten Mal nach Deutschland kam, fand ich ein völlig konservatives Land vor, in dem die Mentalität von vor dem Zweiten Weltkrieg noch deutlich spürbar war. Die autoritären Verhältnisse waren intakt, viele Personen, die während der Nazizeit an den Schalthebeln der Macht gesessen hatten, waren wieder ganz oben. Ohne 68 hätte Deutschland nicht zu einem modernen, offenen und demokratischen Land werden können.

Allerdings muss man unterscheiden zwischen der Kernzeit der Bewegung von 1966 bis zum Attentat auf Rudi Dutschke und den terroristischen Abwegen, die danach kamen.

Nicht alle, aber viele Forderungen der 68er sind heute realisiert. Dazu gehören die Gleichberechtigung der Geschlechter, der Abbau staatlicher Autorität und der Autorität im Erziehungssystem, die Solidarität der Gesellschaft und die Solidarität mit anderen Ländern. All das ging aus der 68er-Bewegung hervor. Die heutige Kritik kommt entweder von Leuten, die nicht an dem historischen Ereignis beteiligt waren und das heute bereuen, oder auch von Leuten, die zwar aktiv dabei waren, sich danach aber in den Schoß der damals verschmähten Kapitalbourgeoisie begaben und sich nun reinwaschen, sich salonfähig machen wollen. Ihre Kritik ist daher noch schärfer als die der Konservativen, die schon immer dagegen gewesen sind.

Die Vermischung von Ideologie und Staat ist tödlich

Auch Sie selbst haben im Laufe der Zeit eine distanziertere Haltung gewonnen und sehen Ideologien kritisch. Die Verbrüderung der Linken mit Mao und Stalin haben Sie im Nachhinein als Fehler erkannt, wie Sie schreiben. Trotzdem gibt es heute eine breite linke Fraktion, die sich gemein macht mit Despoten wie Ahmadinedschad, frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes (Amerika, Israel) ist mein Freund … Fehlt es da an Reflektionsvermögen?

Bahman Nirumand: Ich denke, diese Gefahr besteht immer, wenn man einer bestimmten Ideologie unterliegt, also nicht das eigene Denken bemüht, sondern alles nach den Maßgaben der Ideologie zu erklären versucht – ganz egal ob nun Faschismus, Kommunismus, Islamismus und so weiter. Ideologien verhindern das freie Denken und Reflektieren und den direkten Bezug zur Realität.

Ich glaube deshalb, dass man jede Ideologie bekämpfen muss, wenn man Freiheit erlangen will. Die Vermischung von Ideologie und Staat ist tödlich. Viele Linke haben das leider bis heute nicht begriffen, sie verharren sozusagen in ihrer geschlossenen Gesellschaft, eingezwängt in ihr Denkschema. Sie können nicht unterscheiden zwischen einer populistischen Kritik an beispielsweise den USA oder Israel, wie sie Ahmadinejad übt, und einer Kritik, die berechtigt und angebracht ist. Es kommt darauf an, woran man Aussagen misst. Man darf sie nicht an Ideologien messen.

Als in Iran der Shah gestürzt wurde und Chomeini kam, wurde er von vielen Linken unterstützt mit dem Argument, er sei gegen die USA und den Westen und deshalb Antiimperialist. Also sei er gut für den Sozialismus und die Sowjetunion. Das war verheerend für sie selbst und das Land, und nach wenigen Jahren wurden auch sie von den Mullahs verfolgt und hingerichtet.

Für mich persönlich sind die Menschenrechte der einzige Gradmesser. Wenn viele Linke heute nicht sehen, welche Verbrechen Ahmadinedschad und das Regime tagtäglich begehen, sind sie blind für die Realität. Es sind dieselben Fehlschlüsse wie damals bei Chomeini. Man muss sehen, wie dieses Regime das Land zugrunde richtet. "Links" bedeutet für mich den unbegrenzten Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit. Beides gibt es in Iran heute nicht. Folglich kann man dieses Regime nicht unterstützen, egal wie hart es gegen die USA oder Israel Stellung bezieht.

Sie schreiben von der schmerzhaften Erfahrung, vor der Diktatur in Iran fliehen zu müssen, um dann im deutschen Exil mit Ausländerfeindlichkeit konfrontiert zu sein. Nun, zwanzig Jahre später, erreichen Ressentiments vor allem gegenüber Menschen aus dem islamischen Kulturkreis dank Populisten wie Sarrazin einen neuen Höhepunkt. Hat der Mensch einen Drang zum Feinbild?

Bahman Nirumand: Offensichtlich besteht in allen Gesellschaften die Neigung dazu, und Populisten nutzen das aus. Ob es nun Muslime oder Juden sind, Feindbilder gibt es in jedem Land. Jede Regierung, je undemokratischer desto mehr, nutzt das, und ich glaube es hat auch viel damit zu tun, wie es einem Land geht. Wenn Ausländerfeindlichkeit und Vorurteile hier zunehmen, hängt das auch mit der sozialen Lage zusammen. Noch nie zuvor hat es in Deutschland so viele Menschen gegeben, die unter Armut leiden. Solche Feindbilder dienen den Mächtigen auch dazu, von den wahren Problemen abzulenken.

Die Ideologie ist weg

Momentan sieht es so aus, als wolle Chamenei Ahmadinedschad abservieren und einen ihm genehmen Nachfolger in Stellung bringen; Parlamentspräsident Ali Laridschani hat sich bereits selbst ins Gespräch gebracht. Wie sehr wird die Hardliner-Fraktion durch die internen Grabenkämpfe geschwächt?

Bahman Nirumand: Es gibt große Probleme, die innerhalb des islamischen Lagers zu unüberbrückbaren Differenzen geführt haben. Das erste große Problem besteht schon seit 1979 in dem Begriff der "Islamischen Republik". Der Islam untersteht dem Willen Gottes, die Republik dem des Volkes, das ist ein Widerspruch. Das widerspiegelt sich auch in der Verfassung. Auf der einen Seite gibt es Gremien und Institutionen wie beispielsweise das Parlament und den Staatspräsident, die zumindest formal vom Volk gewählt werden müssen. Andererseits gibt es Gremien, die ernannt werden – und über allem steht der Revolutionsführer, der über nahezu unbegrenzte Macht verfügt.

Das zweite Problem ist, dass die führenden Geistlichen ihre aus der Religion bezogene Legitimation verloren haben, und zwar aufgrund der ungeheuren Verbrechen, die sie begangen haben. Viele Gläubige können nicht nachvollziehen, dass im Namen des Islam Menschen brutal gefoltert, nach Schauprozessen ohne gerichtliche Grundlage hingerichtet, Menschen auf der Straße zusammengeschlagen werden.

Chomeini war angetreten mit dem Anspruch, Gerechtigkeit walten zu lassen, aber das ist nicht geschehen. Es gibt Widersprüche zwischen den Akteuren, den Institutionen, den Strömungen des Regimes, und es toben heftige Machtkämpfe. Das Land ist, zumindest in westlicher Richtung, isoliert, und die Außenpolitik ist höchst gefährlich.

Glauben Sie, dass sich das Regime noch lange halten kann?

Bahman Nirumand: Das Regime zerbricht von innen. Die Unruhen der Zivilgesellschaft seit 2009 haben dazu geführt, dass sich das Regime nur noch durch Gewalt und Brutalität an der Macht halten kann. Lange Zeit wurde das islamische Lager von der Ideologie zusammengehalten, doch die Ideologie ist weg. Die Islamische Republik ist von drei Seiten gefährdet. Erstens: Von außen. Ich halte es noch immer nicht für ausgeschlossen, dass eine militärische Intervention stattfinden kann. Zweitens: Von der Bevölkerung. Die Menschen ertragen ihre Situation nicht mehr, die politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit wird immer größer. Drittens: Vom inneren Machtkampf.

Ich sehe für dieses Regime keine Zukunft. Ahmadinedschads Versuche, Zugeständnisse zu machen bezüglich der Frauenrechte oder der Kleiderordnung, oder auch sein Rückgriff auf die vorislamische persische Kultur, um scheinbar die nationalistische Linie zu unterstützen, sind scheinheilig. Er will Hoffnungen wecken, doch dafür ist es längst zu spät.

Wir waren überrascht von der Macht des Islam

Auch im Exil in Deutschland, Frankreich, den USA und weiteren Ländern, gibt es eine starke Opposition. Vor wenigen Tagen sagte der Chef des iranischen Informationsministeriums, man haben ausländische Gruppen erfolgreich infiltriert. Ist das bloß ein Versuch, Misstrauen zu säen?

Bahman Nirumand: Der Geheimdienst des Regimes ist in den Ländern, in denen es eine starke Exilopposition gibt, also auch in Deutschland, sehr aktiv. Das belegt auch der letzte Verfassungsschutzbericht. Es wird viel Geld investiert, um diese Aktivitäten auszuweiten, um in oppositionelle Gruppen einzudringen, Personen und Veranstaltungen zu überwachen.

Der Exilopposition wird oft vorgeworfen, zu weit von der Lebensrealität des heutigen Iran entfernt zu sein, um wirklich etwas bewirken zu können…

Bahman Nirumand: Die Vorwürfe gegen die Exilopposition sind nicht unbegründet. Die wenigsten beschäftigen sich intensiv mit der Lage in Iran. Viele Meinungen, die geäußert werden, sind getragen vom verständlichen Hass auf das Regime. Aber damit sich die Fehler der Revolution von 1979 nicht wiederholen, muss man das Land genau beobachten. Ich kenne das aus meinen Erfahrungen von damals, als ich 1979 aus dem Exil nach Iran zurückkehrte: Vieles war uns unbekannt, wir waren überrascht von der Macht des Islam, und selbst als Chomeini die Macht übernahm, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass die Islamisten fähig wären, das Land zu regieren.

Wir müssen die Realitäten sehen. Wir dürfen nicht nur auf die Mittelschicht blicken, sondern auch auf die Millionen in der Provinz, von denen viele sogar dieses Regime noch als gottgegeben betrachten, so bitter das für uns auch sein mag. Ohne diese Einsichten kommen wir nicht weiter. Zu meinem Bedauern zeugen die Argumente einiger meiner Landsleute von großer Unkenntnis im Zuge der langen Zeit im Exil. Es gibt sogar einige, die den amerikanischen Weg befürworten, die sagen, schlimmer kann es nicht werden, also sind alle Mittel recht, auch ein Militärschlag. Aber all das schadet nur. Iran muss die Veränderung von sich aus schaffen. Wir haben genügend Beispiele dafür, wie verheerend Eingriffe von außen sein können.

Ein zentrales Thema Ihrer Autobiografie ist die Hoffnung. Haben Sie die Hoffnung, dass die Diktatur in Iran in absehbarer Zeit ein Ende findet?

Bahman Nirumand: Die iranische Zivilgesellschaft ist reif für die Demokratie, aus dieser Kraft müssen wir schöpfen und darauf aufbauen. Ich bin davon überzeugt, dass nur der zivile Widerstand uns Iraner zum lang ersehnten Ziel, zu Freiheit und Demokratie führen kann, und ich bin recht zuversichtlich, dass uns dies in nicht allzu ferner Zukunft gelingen wird.