"Der Wunsch, etwas Neues zu schaffen"

Stephanie Pauli über Jugendslang, Checker und Assis und die verbalen Abgrenzungsversuche der Jugendlichen von der Erwachsenenwelt

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Die Germaniststudentin Stephanie Pauli widmete sich für ihren Bachelor-Abschluss dem Phänomen Jugendsprache und hat ihre Erkenntnisse dazu im Buch Ey Alter, du bist voll der Wort-Checker! verarbeitet. Telepolis sprach mit der 24-Jährigen über den Wandel des Teenager-Slangs und seinen sozialen Charakter.

Frau Pauli, wie viele Jugendliche verwenden überhaupt die Wendung "Ey Alter" und was sagt dies über ihre kulturelle und soziale Orientierung aus?

Stephanie Pauli: Meine Studie hat ergeben, dass die Wendung "Ey Alter" unter allen Jugendlichen wohlbekannt ist, aber nicht von jedem verwendet wird. Viele Jugendliche sagen deutlich, dass nur "manche" darauf zurückgreifen. Generell nutzen Heranwachsende jedes Bildungsstandes diese Floskel, wenngleich sich die Befragten höherer Schulen von einem allzu starken Gebrauch distanzieren: Sie meinen, es sei typisch für "Checker" und "Assis" in dieser Art zu sprechen. Man kann es jedoch nicht verallgemeinern, denn nicht jeder dieser besagten Gruppe benutzt auch diesen Slang. Dennoch fällt es häufiger bei Jugendlichen auf, die ein niedrigeres Bildungsniveau aufweisen.

Ein Deutsch- und Lateinlehrer hat sich bei Ihrer Befragung zum Jugendsprachkünstler Dieter Bohlen wie folgt geäußert: "Dass solche Personen wie Dieter Bohlen, die wohl weitgehend von der Bildzeitung hochgepusht wurden und werden, überhaupt Beachtung findet, dokumentiert in deprimierender Weise den Zustand eines erheblichen Teils unserer Medienlandschaft, das geistige Niveau von dessen Rezipienten sowie die Verfehltheit der neoliberalen Medienpolitik seit den 80er Jahren!" Wenn Sie die Veränderungen im Jugendslang der letzten 20 Jahre ansehen, auf welche gesellschaftlichen Veränderungen können Sie schließen? Sind zum Beispiel Begriffe und Metaphern aus dem Wirtschaftsleben in die Jugendsprache eingeflossen?

Stephanie Pauli: Anhand der Jugendsprache lässt sich ablesen, welche Themen die Gesellschaft bewegen - seien es Wortschöpfungen, die mit bestimmten Sportarten oder Musikstilen zu tun haben, seien es Begriffe aus dem Bereich Computer oder bestimmte Fernsehformate. Natürlich gibt es auch zum Themenbereich Sexualität schier unendlich viele Wortschöpfungen - was in den 1950er Jahren beispielsweise noch nicht so war. Jugendliche sprechen eher über locker-flockige Themen und münzen ihren Wortschatz darauf. Das harte Wirtschaftsleben ist hier im Allgemeinen noch nicht vertreten.

Wenn Sie den aktuellen Jugendslang mit den Jugendsprachen anderer Epochen vergleichen, auf welche Unterschiede und Übereinstimmungen kommen Sie?

Stephanie Pauli: Dadurch, dass sich die Gesellschaft verändert hat und es viele Neuerungen z. B. auf dem Gebiet der Technik und der Medienlandschaft gibt, hat sich die Jugendsprache natürlich auch dementsprechend verändert. Sie ist zum Teil auch härter, derber und vulgärer geworden. In den Jugendsprachen anderer Epochen sind noch nicht so viele aggressive Beschimpfungen zu finden wie heute. Was alle Jugendsprachen jedoch gemeinsam haben, ist der Wunsch, etwas Neues zu schaffen und Wörter für Bereiche zu erfinden, die von der Standardsprache Ihrer Meinung nach nicht genügend abgedeckt sind. Außerdem wollten die Jugendlichen schon immer was Eigenes schaffen und kreativ mit der Sprache umgehen, um sich von der "strengen" Norm und der Erwachsenenwelt abzugrenzen.

Welche Rolle spielen die Medien bei der Entstehung des Jugendslangs? Haben sie mitunter ein Feld kommerzieller Ausbeutbarkeit entdeckt? Und generell: Welche Auswirkung hat die Jugendsprache als Vermarktungsphänomen auf die Jugendsprache selber?

Stephanie Pauli: Die Medien spielen eine große Rolle! Jugendliche bedienen sich Worten und Ausdrücken, die sie im Fernsehen in Shows, Serien oder Filmen aufschnappen und ändern sie auch gerne um. Andersherum nutzen auch die Medien Floskeln, die sie von Jugendlichen übernehmen. Insofern beeinflussen sich beide Parteien gegenseitig. Wenn man jetzt vom Bereich TV zu Printmedien übergeht, dann stellt man fest, dass Jugendsprache auch für letztere interessant ist. Regelmäßig erscheinen Wörterbücher zur Jugendsprache, sogar große Klassiker wie die Grimmschen Märchen oder die Nibelungensage wurde ins "Jugendliche" übersetzt. Solche Publikationen finden eine interessierte Leserschaft und stellen sicherlich eine lohnende Geldeinnahmequelle dar.

Was unterscheidet den Jugendslang von der Erwachsenensprache?

Stephanie Pauli: Zuerst einmal muss man sagen, dass es weder die Jugendsprache noch die Erwachsenensprache gibt. Es ist keine Sprache, die von Grammatik oder Wortschatz her eigenständig ist so wie z. B. Englisch oder Französisch. Außerdem verhält sich nicht jeder Jugendliche gleich und nutzt das gleiche Vokabular, soll heißen: Nicht jeder Jugendliche spricht im gleichen Maße "jugendsprachlich". Genauso verhält es sich mit der sogenannten "Erwachsenensprache".

Aber zurück zum Thema: Trotz allem gibt es Unterschiede in der Sprechweise. Jugendliche sprechen generell wesentlich flapsiger als Erwachsene, sie nutzen "kreativere" Wörter, die sie teilweise umdeuten oder neu zusammensetzen. Gerne missachten sie auch grammatikalische Regeln und verzichten auf Präpositionen (klassisches Beispiel: "Ich geh Kino"). Jugendliche versuchen sich auch durch einen vermehrten Gebrauch vulgärer oder aggressiver, beleidigender oder herabsetzender Ausdrücke von der Erwachsenenwelt sprachlich abzusetzen. Ab einem gewissen Alter kehren die dann jungen Erwachsenen zu einem normierteren Sprachgebrauch zurück, der diese "Extreme" weglässt und sich eher an der Standardsprache orientiert.

Unterscheiden sich männlicher und weiblicher Jugendslang?

Stephanie Pauli: Männer und Frauen sprechen ganz generell unterschiedlich. Frauen lassen sich mehr von Emotionen leiten, während Männer häufig neutraler sprechen. In der Jugendsprache zeigt sich, dass Jungs wohl eine Art sprachliches Imponiergehabe innehaben und versuchen, sich durch einen stärkeren Gebrauch vulgärer und aggressiver Begriffe zu profilieren. Mädchen hingegen sprechen meist etwas gedämpfter.

Was sagt die Verwendung von Jugendslang über den soziokulturellen Status aus?

Stephanie Pauli: Jugendliche, die sich verstärkt diesem flapsigen Sprechstil bedienen, werden häufig stigmatisiert und einer unteren Schicht zugeordnet. Dabei gibt es keine Regel - man kann es nicht verallgemeinern. Jedoch gibt es eine gebildetere und eine vulgärere Jugendsprache, anhand derer man abschätzen kann, welchen soziokulturellen Status der Sprecher hat.

Sind Sie bei Ihren Untersuchungen mit Jugendlichen auch auf das politischhochkorrekte Binnen-I gestoßen?

Stephanie Pauli: Nein, das hat in meiner Studie keine Rolle gespielt.

Sie schreiben in Ihrem Buch vom "Mythos der Jugendsprache" und konstantieren, dass es sich bei der Jugendsprache genauso wie beim Begriff "Jugend", um ein Konstrukt handelt. Könnte man aber aus der Lektüre Ihrer Forschungsergebnisse nicht auch den Schluss wagen, dass, wenn man alle Merkmale der verschiedenen Jugendslangs zusammenfasst und diese mit den charakteristischen Aussagen der Erwachsenensprache vergleicht (die ja als monolithischer sprachlichen Block gleichfalls nicht existiert), es doch eine Jugendsprache gibt?

Stephanie Pauli: Sicherlich existiert eine kreative, flapsige, vielleicht manchmal unüberlegte Sprechweise, die Jugendlichen eigen ist. Der jugendliche Sprachgebrauch hat bestimmte Merkmale, die der Erwachsenensprache fehlen. Nur kann man sie nicht zu einer eigenen Sprache mit festen Regeln machen, die alle Vertreter dieser Altersstufe sprechen.

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