Die sechs Kardinalfehler von uns Kritikern

Eine Selbstanklage - für Hans Leyendecker und Klaus Ott

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Wir Kritiker wissen sehr gut, was schief läuft und wer daran schuld ist. Damit betreiben wir vordergründig ehrwürdige Aufklärung. Die von uns favorisierte, wegen unserer eigenen Teilnahme darum gerne "offen" genannte Gesellschaft, sieht uns als Reinigungstruppe. Wie Putzerfische am Hai führen wir eine parasitäre Existenz. Ohne die kleinen und großen Skandale in Politik und Wirtschaft wären wir bei der Sujetsuche auf unsere Phantasie angewiesen. So aber stehen Murdoch und Ecclestone, Zumwinkel und Middelhoff, Guttenberg und Koch-Mehrin bei Fuß, wenn zum medialen Halali geblasen wird.

Wir vollziehen an ihnen eine symbolische Strafe des Kollektivs, die nur in seltenen Fällen auch strafrechtlich begründet ist. In der Regel besteht die Strafe in einer moralischen Verurteilung und endet mit dem allgemeinen und öffentlichen Gelöbnis der Besserung. Wir Kritiker sind also auch meist äußerst unchristliche Moralapostel. Wir und unsere Auftraggeber, die Verlage, ruhen nicht, bis wir die Beichte, das Geständnis, gehört haben.

Unser Erfolg wird zwar auch daran gemessen, wie tief wir in die Abgründe des Verschweigens und Verschleierns, der Korruption und Verabredung zur fies-egoistischen Vorteilsnahme vordringen, aber öffentliche Beichten unserer Opfer erhöhen unseren Marktwert beträchtlich.

Wenn dann ein großer Politiker oder Wirtschaftführer in den goldenen oder weniger goldenen Abschied entfleucht, schlägt für uns die Stunde des Lobes.

Was aber sind unsere größten Fehler? Hier eine erste Auflistung:

  1. Wir statuieren ein Exempel Korruption und Betrug sind in Politik und Wirtschaft keine Ausnahme, sondern die Regel. Deshalb ist die Auswahl eines Einzelnen willkürlich, da dieser ja in einer Gruppe agiert und sich deren Sitten anpaßt. Wir bestrafen ihn für etwas, das für ihn selbst nur ein konformes, artgerechtes Verhalten war.
  2. Wir fördern die Öffentlichkeitsscheu Durch unsere Berichte stehen Reporter meist vor verschlossenen Türen: "Kein Kommentar". Die Profi-Verberger achten zunehmend darauf, dass es auch im Internet keine Spuren mehr gibt (Das plötzliche Verschwinden der Initiative Finanzstandort Deutschland). Das Interview als Präventivmaßnahme wird immer seltener und stirbt aus. Der Betroffene erfährt seine Anklage im Medium.
  3. Wir fördern die Doppelmoral Jeder Sonntagsredner beschwört die großen ethischen Prinzipien von sich, seinem Unternehmen und seiner Organisation. Aber keiner lebt und befolgt sie. Wir Kritiker geben den Sonntagsrednern immer neue Anlässe zur aktiven Doppelmoral.
  4. Wir verstärken das Misstrauen Durch unsere Berichte bekommen die Leser das Gefühl, an jeder Ecke von Betrug und Korruption, Verschwörung und Tricks umgeben zu sein. So steigt das Misstrauen und gefährdet den zum Sozialleben nötigen Vertrauensvorschuss.
  5. Wir treffen die Falschen Klaus Ott von der Süddeutschen recherchierte den Fall des mit 44 Millionen Dollar bestochenen BayernLB Finanzvorstandes Gerhard Gribkowsky. Der sitzt seit 6 Monaten in U-Haft, während Bernie Ecclestone frei herum läuft und seine Formel I in allen Medien – auch in der SZ - weiter als “Sport” weiterläuft. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Kaum ein Medium wagt es, gegen den Hinterzimmer-Hasardeur Ecclestone zu schreiben.
  6. Wir verschweigen das Gute Es gibt keine tiefen Recherchen zu wirklich gelungenen Taten, Dingen und Menschen. Das Gute ist keine Headline, keinen Artikel, keine Reportage wert. "Wir machen uns nicht mit Aktionen gemein", schrieb mir einmal ein STERN-Redakteur in seiner Ablehnung eines Berichtes über eine soziale Aktion. Wir stehen aber leider noch mehr über dem Guten, als über dem Schlechten, das unsere Geschäftsbasis ist.

Die Auflistung weiterer Kardinalfehler möchten wir den geneigten Lesern anheimstellen.