Vom Schulden-Showdown in die Rezession

Update: Demokraten und Republikaner haben sich im Schuldenstreit geeinigt, das dürfte allerdings eine Vertiefung der wirtschaftlichen Misere der Vereinigten Staaten nach sich ziehen

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Der zusehends polarisierte US-Kongress ist noch einmal über seinen Schatten gesprungen und hat in letzter Minute doch noch einen Kompromis bei der Anhebung der amerikanischen Schuldengrenze finden können. Am späten Samstagabend Washingtoner Ortszeit sickerten erste Details eines Gesetzesentwurfs zur Anhebung des US-Verschuldungslimits von derzeit 14,3 Billionen US-Dollar durch, auf die sich Kongressführer der Republikaner und Demokraten in zähen nächtlichen Verhandlungen einigen konnten. Demnach würde die Verschuldungsgrenze der USA in zwei Schritten noch in diesem Jahr um insgesamt drei Billionen US-Dollar angehoben. Die erste Erhöhung um rund eine Billion US-Dollar würde umgehend stattfinden, die zweite Anhebung noch in diesem Jahr folgen.

Das Weiße Haus hat sich zumindest bei der konkreten Terminplanung der Anhebung der Schuldengrenze durchgesetzt. Die Republikaner bestanden ursprünglich auf einer geringen Anhebung des Limits im Umfang von nur einer Billion, um das Thema 2012 im Präsidentschaftswahlkampf instrumentalisieren zu können. Immerhin gelang es somit Obama, die Realisierung dieser - aus eindeutig wahltaktischen Erwägungen heraus aufgestellten - Forderung der Republikaner zu verhindern, die das politische Überleben des Präsidenten in 2012 ungemein erschwert hätte.

Dennoch fällt es unter Berücksichtigung der weiteren Regelungen des Gesetzesentwurfs schwer, von einem Kompromiss zu sprechen, da die Republikaner nahezu alle ihre radikalen haushaltspolitischen Postulate durchsetzen konnten. Die mit der Erhöhung der Verschuldungsgrenze einhergehenden Haushaltskürzungen, die vor allem die löchrigen Sozialsysteme Amerikas weiter demontieren dürften, werden voraussichtlich "etwas höher" ausfallen als die anvisierte Anhebung des Schuldenlimits um drei Billionen US-Dollar. Amerikas rasch wachsende Unterschicht wird somit bluten müssen. Zudem ist eine Beteiligung der amerikanischen Oberschicht an den Krisenkosten vom Tisch, die von den Demokraten durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern intendiert war. Die Republikaner konnten durchsetzen, dass die Superreichen der USA - deren Steuervergünstigungen aus der Bush-Ära jüngst verlängert wurden - keinen einzigen Dollar an Mehrbelastungen zu tragen haben. Eine Forderung des rechtsextremistischen republikanischen Parteiflügels der sogenannten Tea Party aufgreifend, soll der Kongress zudem über die Einführung eines Verfassungszusatzes abstimmen, der die Politik zu einem "ausgeglichenen Haushalt" verpflichten soll.

Rechtsruck und zunehmende Polarisierung

Selbst wenn die politische Klasse in Washington eine partielle Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten im letzten Augenblick noch verhindern sollte, wird dieser erbittert geführte Schuldenstreit tiefe Spuren innerhalb des politischen Klimas der größten Volkswirtschaft der Welt hinterlassen. Die ideologischen Prämissen des rechten Flügels der Republikaner - der einen massiven Staatsabbau jenseits von Polizei und Militär propagiert - konnten sich im Laufe der Debatte weitgehend durchsetzen, während die liberalen und linken Positionen der Basis der Demokraten sich zusehends marginalisiert fanden. Das Ausmaß des Sieges der "konservativsten" Kongressmitglieder bei der Ausformung der Gesetzgebung zur Anhebung der Verschuldungsgrenze könne "gar nicht übertrieben werden", schlussfolgerte die New York Times. Im weitesten Sinne haben es die frisch gewählten Tea-Party-Anhänger im Kongress verstanden, den nationalen Diskurs auf eine nahezu monothematische "Diskussion über Schulden" zu verengen und einen öffentlichen Konsens zu formen, dem zufolge "Amerika mehr machen muss, um im Rahmen seiner Möglichkeiten zu leben".

Der auf einer Welle rechtspopulistischer Ressentiments bei den letzten Midterm-Wahlen in den Kongress gespülte extremistische Teil der Republikaner treibt somit die in den USA weitverbreitete konservative Ideologie einer umfassenden Beschränkung der Staatsausgaben ins extrem - und dies ohne Rücksicht auf Verluste. Die extreme Rechte der Republikaner praktiziert somit de facto einen "Extremismus der Mitte", der krisenbedingt in nahezu allen Industrieländern auf dem Vormarsch ist - und bei dem die im öffentlichen Mainstream der gegebenen Gesellschaft verbreiteten Ideologeme ins weltanschauliche Extrem zugespitzt werden. In den USA ist es der besagte öffentliche Konsens, die Rolle des Staates in der Wirtschaft auf ein Minimum zu begrenzen, der als ein ideologischer Resonanzboden dient, aus dem die extremistischen weltanschaulichen Wahnideen der Tea-Party-Bewegung sprießen.

Das erste Opfer der ideologischen Blockadehaltung der Tea-Party stellt der zentristische, wissenschaftsorientierte Flügel der Republikaner dar, der vor allem auf eine weitestgehende Durchsetzung der Interessen des Unternehmertums und der Wohlhabenden in den USA hinarbeitet. Niemand symbolisiert die Niederlage dieser zentristischen Strömung der Republikaner besser als der demontierte Sprecher der Repräsentantenhauses, John Boehner. Der formell drittmächtigste Politiker der USA wurde während des zugespitzten Machtkampfes mit dem Weißen Haus von der Tea-Party-Fraktion im Regen stehen gelassen, die sich standhaft weigerte, Boehners Gesetzentwurf im Repräsentantenhaus zu unterstützen.

Erst nach abermaliger Verschärfung der Regelungen zur Haushaltskonsolidierung konnte der Repräsentantenhaussprecher eine knappe Mehrheit für seinen vom Senat ohnehin abgelehnten Gesetzentwurf mobilisieren - bei 22 Republikanern, die sich dem Vorhaben verweigerten. Der Preis, den Boehner für diesen Pyrrhussieg zu zahlen hatte, war enorm, bemerkte hierzu das Portal Politico, da der Sprecher der Repräsentantenhauses "wie eine Geisel" einer 87 Mitglieder umfassenden, von der Tea-Party inspirierten Fraktion neu gewählter Abgeordneter wirkte:

Die hässliche Realität sah so aus, dass der Sprecher des Repräsentantenhauses sich bemühen musste, Dutzende von Abgeordneten zu Unterstützung seines Pakets überhaupt zu bewegen. Diese Republikaner waren bereit, die Vereinigten Staaten bankrott gehen zu lassen, selbst wenn es sie ihre Sitze kosten würde oder die Republikaner im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit oder Boehner seinen Posten als Sprecher.

Politico

Unterstützt werden diese rechten Abgeordneten von einem weit verzweigen Netzwerk einflussreicher Politiker, Milliardäre, Lobbyisten und Think-Tanks, die um eine Verbreitung ihres Einflusses innerhalb der Republikanischen Partei bemüht sind, wie die gemäßigt konservative Kolumnistin Kathleen Parker in der Washington Post bemerkte:

Schreibt ihre Namen auf. Vergesst sie nicht. Das Verhalten bestimmter Republikaner, die sich Tea-Party-Konservative nennen, macht aus ihnen die destruktivste Posse eines irregeleiteten "Patrioten", die wir in letzter Zeit sehen konnten.

Kathleen Parker

Neben der inzwischen sattsam bekannten Finanzierung der Tea-Party durch die erzkonservativen Milliardäre David und Charles Koch spielten bei dem Aufstieg der populistischen Rechten auch Organisationen wie FreedomWorks, Heritage Action, Club for Growth, National Taxpayers Union oder Americans for Prosperity eine wichtige Rolle. Diese Lobbyvereinigungen konzentrieren sich zumeist auf bestimmte konservative Themen (bei der National Taxpayers Union sind es etwa massive Steuersenkungen), um im Zusammenspiel des gesamten Netzwerkes eine umfassende Rechtsverschiebung der amerikanischen Gesellschaft zu befördern. Das Fußvolk dieser Bewegung bilden schließlich zumeist vom Abstieg bedrohte Mitglieder der weißen Mittelschicht.

USA vor dem Double-Dip?

Bei ihrem - voraussichtlich größtenteils erfolgreichen - ideologischen Kreuzzug gegen staatliche Defizitbildung bringen diese gut vernetzten und finanzierten rechtsextremen Eiferer die ohnehin schwindsüchtige amerikanische Konjunktur weiter in Bedrängnis. Das zweite "Opfer" des ideologischen und politischen Siegeszuges der amerikanischen extremen Rechten wird somit die US-Ökonomie bilden, die aufgrund der durchgesetzten Haushaltskürzungen bald auf Tauchfahrt gehen wird. Dies fällt sogar gestandenen Wirtschaftsblättern wie dem Economist auf, der sich darüberereifert, dass die Republikaner mit einer "Pistole auf die amerikanische Ökonomie zielten" und damit drohten abzudrücken, falls sie nicht die Ausgabenkürzungen erhalten, die sie forderten.:

Sicher, Amerika muss seine expandierenden Sozialprogramme beschneiden. Aber nicht jetzt, wenn Ausgabenkürzungen eine lasche Erholung verschlimmern werden, und vor allem nicht in dieser Art, indem eine [parlamentarische] Routine gekapert und das Land an den Abgrund einer Bonitätssenkung oder eines Bankrotts getrieben wird.

Economist

Dabei kann kaum noch von einer "laschen Erholung" in den USA gesprochen werden, wie die jüngst vom amerikanischen Statistischen Amt publizierte Revision der Wirtschaftsdaten für dieses Jahr offenbarte. Demnach erreichte das US-Wirtschaftswachstum auf das Jahr hochgerechnet im zweiten Quartal 2011 ein Wirtschaftswachstum von gerade mal 1,3 Prozent, wobei die USA ähnlich anderen Industriegesellschaften ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von circa drei Prozent bräuchten (Von Schulden und Jobs), um die knapp unter zehn Prozent liegende offizielle Arbeitslosenrate signifikant zu senken. Zudem mussten die amerikanischen Statistiker die vorläufigen Angaben zum Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2011 kräftig von 1,9 Prozent auf 0,4 Prozent nach unten korrigieren. Für den gesamten Krisenzeitraum musste das Statistische Amt die Wachstumszahlen absenken, wodurch sich zeigte, dass zwischen 2007 und 2010 das BIP nicht um jährlich 0,3 Prozent wuchs, sondern um 0,1 Prozent schrumpfte.

Die Vereinigten Staaten befinden sich somit 2011 in einer wirtschaftlichen Stagnation, die schon bei geringen negativen Effekten in eine Rezession umschlagen kann. Das Szenario eines konjunkturellen Double-Dip ist bei ausbleibenden weiteren Konjunkturmaßnahmen sehr wahrscheinlich; die angestrebten Haushaltskürzungen dürften eine Rezession mit nahezu mathematischer Zwangsläufigkeit herbeiführen. In den USA fand eine "erholungslose Erholung" der Wirtschaft statt, konstatierte der Washington-Post-Kolumnist Erza Klein, die auf eine Verringerung der Ausgaben ökonomischer Akteure wie der Privathaushalte, Unternehmen und des Staates zurückzuführen sei:

Die Republikaner im Kongress drohen, eine ökonomische Krise zu fabrizieren, wenn es ihnen nicht erlaubt wird, die Ausgaben zu kürzen. Währenddessen sind wir in einer ökonomischen Krise, deren größtes Problem zu geringe Ausgaben sind. Somit stehen wir vor der Wahl, eine bestehende Krise zu verschlimmern oder eine neue auszulösen.

Ezra Klein

Tatsächlich ist die einsetzenden Stagnation in den USA größtenteils auf den Rückgang der staatlichen Ausgaben im Rahmen des gigantischen amerikanischen Konjunkturpakets zurückzuführen, das einem Umfang von rund 787 Milliarden US-Dollar hatte und das durch Beschäftigungsprogramme und Investitionen in die Infrastruktur für eine wirtschaftliche Belebung sorgte. Die Mehrzahl dieser durch ausufernde Verschuldung finanzierten Konjunkturprogramme wurde bis zum Sommer 2010 aufgelegt, so dass ihre stimulierende Wirkung bereits erlahmt ist. Ohne diese kreditfinanzierten staatlichen Ausgaben steigen seit 2011 die Arbeitslosenzahlen, während das Wirtschaftswachstum zurückgeht.

Vielleicht speist sich der ökonomische Amoklauf der Tea-Party-Bewegung innerhalb der Republikanischen Partei nicht nur aus ideologischer Verblendung, sondern auch aus der Hoffnung auf einen Wirtschaftseinbruch, der dem Präsidenten im Wahljahr angekreidet werden könnte. Die extremistische Rechte der USA kann sich eigentlich nur bei fortgesetzter ökonomischer Talfahrt des Landes durchsetzen - insofern ist dieser republikanische Obstruktionskurs durchaus zielführend.

Dabei erfasst die rechtsextreme Steuersenkungsideologie auch ein Körnchen Wahrheit, da Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung in den USA - aus historischer Perspektive betrachtet - tatsächlich explodieren und auf mittlere Sicht nicht aufrecht erhalten werden können, ohne schwerste ökonomische Verwerfungen auszulösen.

Dennoch wird der ideologisch motivierte Versuch, diesen gigantischen Schuldenberg abzutragen, in einer Depression münden. Die kapitalistische Krisenpolitik befindet sich in einer Aporie, bei der sie systemimmanent nur zwischen weiterer Verschuldung bis zu Staatsbanktrott mitsamt Hyperinflation oder Sparprogrammen mitsamt einsetzender Deflationsspirale wählen kann. Genau diese Zwickmühle bildet den Kern der politischen Auseinandersetzungen um die Fiskalpolitik - nicht nur in den USA.

Beide Seiten - die Haushaltssanierer wie die Verfechter von Konjunkturprogrammen - haben letztendlich teilweise Recht, wenn sie vor den katastrophalen Konsequenzen der Politik der Gegenseite warnen. Hieraus resultiert die politische Polarisierung, wie auch die Verbissenheit und Brutalität, mit der diese Auseinandersetzung in den USA geführt wurde. Beide Seiten befinden sich aber auch auf dem Holzweg, wenn sie davon ausgehen, dass ihre Politikkonzepte die fundamentale Krise des warenproduzierenden Weltsystems lösen könnten, die seit 2007 nur durch ausufernde staatliche Verschuldung prolongiert werden konnte.