Fast antiautoritäre Neonazis

"Autonome Nationalisten" bilden die cool sein wollende und jugend-subkulturelle Speerspitze der Ewiggestrigen - und das äußerst militant und aggressiv

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Obschon es sie schon seit einigen Jahren gibt, sorgen die in den Medien oftmals unter dem Schlagwort "Tarnkappen-Nazis" beschriebenen Neonazis immer wieder für Verwirrung. Zwar sind sich Neonazis, Journalisten, Wissenschaftler und Verfassungsschützer einig darüber, dass man das Phänomen "Autonome Nationalisten" (AN) nennt, dennoch sprach Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kürzlich nur von "nationalen Autonomen". Das ZDF brachte es gar fertig, die extrem militanten AN, die angeblich "eher im Anzug, als in Springerstiefeln" auftreten, mit Rechtspopulisten und Islamhassern aus der Mitte der Gesellschaft zu verwechseln. Bücher, die sich den AN widmen, kommen indes zu dem Schluss, diese Neonazis stünden für einen "Generationswandel" in der Braunszene.

Bei rechtsextremen Aufmärschen treten AN formiert wie der linksextreme "Schwarze Block" als schwarz vermummte, martialisch wirkende und radikale Gruppe auf. AN nutzen dennoch auch bunte Transparente im Stile von Comic- und Graffiti-Kunst. Während andere Neonazis englische Begriffe teils unfreiwillig komisch eindeutschen und Anglizismen vermeiden, nutzen die AN selbstbewusst Parolen wie "Smash Capitalism!" oder "Fight the system!" AN verwenden linke Symbole, Musik und Parolen, die jedoch im neonazistischen Sinne angepasst werden. Hinzu kommt ein außerhalb des "Black Blocks" zelebrierter jugend-subkultureller Kleidungsstil, man trägt Piercings und bisweilen gar einen Irokesen-Haarschnitt.

Ungeachtet all dessen vertreten die AN, deren Ursprünge im eher linksautonom geprägten Berlin sowie dem östlichen Ruhrgebiet lagen, klar neonazistische Inhalte. Auch wenn sie etwas gegen Moscheebauten als Zeichen der "Überfremdung" in Deutschland haben, im Kampf gegen Israel alias "dem Juden" sympathisierten die AN mit den Palästinensern und Arabern sowie radikal-islamischen, bewaffneten und terroristischen Gruppen und Organisationen. Und schon 2009 wurde im Buch "Autonome Nationalisten - Die Modernisierung neofaschistischer Jugendkultur" (unrast Verlag) auf Schilderungen von Aussteigern hingewiesen, dass in mancher AN-WG "nicht nur regelrechte Schreine mit Hitler-Büsten und Hakenkreuzfahnen, sondern gleich daneben auch CD-Sammlungen mit Macho-Hiphop der Plattenfirma Aggro Berlin" standen.

Verschiedene Autoren stellten in dem dünnen Bändchen fest, dass Vertreter der "Autonome Nationalisten" teilweise Kinder aus Familien des gutbürgerlichen Mittelstandes sind, die vorgeben, für einen "Nationalen Sozialismus" kämpfen zu wollen, obschon sie sich in einer "Erlebniswelt" zwischen Gewaltgeilheit und Hedonismus bewegen. Zugleich aber wurde deutlich gemacht, dass die Übernahme von Styles und Aktionsformen des politischen Gegners auch "nur" eine modernisierte Variante des Nationalsozialismus darstellt. Dessen ungeachtet seien die AN "wandelnde Widersprüche. Es sind extrem Rechte, die das Jetzt bekämpfen wollen und es gleichzeitig freudig leben."

Unterdessen ist diese "anhaltende Modernisierung der rechtsextremen Szene", wie es das Netz gegen Nazis umschrieb, so weit vorangeschritten, dass rechte Musikprojekte eigenen HipHop, Rap und "Sprachgesang" produzieren, auch wenn die Protagonisten zugeben, dass man weder "Ghettokids oder sonstige[r] Dreck" sein wolle. Man nutze HipHop als Mittel im "Kampf um die Köpfe" vor allem unter Jugendlichen.

Zu solchen Irrungen und Wirrungen stellen die Herausgeber eines neuen Buches nun fest, jene neuen Neonazis seien ein Ausdruck "reaktionärer Modernisierung". Die AN verkörperten einen "Generationswandel" und zugleich einen "Generationskonflikt" innerhalb der Braunszene. Das Buch "Autonome Nationalisten - Neonazismus in Bewegung" (VS-Verlag) hat sehr umfassend in Berichten und wissenschaftlichen Arbeiten das Auftreten und Treiben der AN untersucht. Festgestellt wird dabei: "Aus der Linken adaptierte Stilelemente etwa tragen zwar dem Selbstverständnis als rebellische Jugendbewegung Rechnung, sind aber nur bedingt mit der nationalsozialistischen Ideologie in Einklang zu bringen."

Man will "jung", "rebellisch" und "revolutionär" sein

Weil die ersten AN überwiegend sehr jung waren, wird deren Auftreten zudem in dem Reader mit einem fast (prä-)pubertären Sich-Austoben-Wollen verglichen. In bestimmten Regionen jedoch nutzten Neonazis je nach Anlass zwar weiter AN-Styles und -Aktionsformen; zugleich orientiere man sich andererseits je nach Situation wieder deutlich klarer am historischen Nationalsozialismus, stellen die Autoren in dem Buch fest. Zu beobachten war dieses Unfertige und - zumindest optisch - die Rückentwicklung zum historischen Vorbild etwa auch bei einem Netzwerk, welches den "Autonomen Nationalisten" zugehörig ist und als "Aktionsgruppe Rheinland" (AGR) firmiert.

Im August 2007 publizierte die AGR etwa auf ihrer Homepage eine Mischung aus Gründungserklärung und Werbetext: "Revolution statt Reform! Kein Frieden mit den Feinden Deutschlands! Heute, über 60 Jahre nach dem Sturz der letzten rechtmäßigen Regierung und der damit verbundenen Niederschlagung des deutschen Reiches, beginnen sich wieder Jugendliche zusammenzuschließen und gemeinsam für ein Deutschland zu kämpfen, welches an die besseren Zeiten anknüpft [...]. Unterstütze auch Du den nationalistischen und sozialistischen Freiheitskampf!"

Surfer wurden auf der Homepage der Gruppe mit den Schlagworten "jung", "rebellisch" und "revolutionär" begrüßt. Die Losung wurde ergänzt durch ein Bild der Trickfilmfigur des Homer Simpson. Offenbar dachten sich die 2007 noch sehr jungen Neonazis, derlei wirke cool auf Altersgenossen. Zweitrangig schien es da zu sein, dass Homer Simpson nicht nur ein Produkt der unter Neonazis als kulturlos geltenden USA ist, sondern ein totaler Verlierertyp und Trottel, aber sicher kein Herrenmensch. Vier Jahre später empfing man die Besucher auf der AGR-Homepage dann über Wochen mit der fast piefigen Losung, man sei die "deutsche Freiheitsbewegung im Rheinland". Statt Homer Simpson begrüßten nun der NS-Märtyrer Albert Leo Schlageter und Friedrich Ludwig Jahn ("Turnvater Jahn") die Surfer.

Das (prä-)pubertären Sichaustobenwollen der AN hatte 2007 auch zu aggressiven Debatten zwischen Neonazis und NPD geführt ((Vermummte) Nazis raus!). Vieles in diesem Streit wirkte tatsächlich wie ein Generationskonflikt, die Widerborstigkeit der jungen Wilden gegen die alte Obrigkeit. Doch wer sich als Jugendlicher von dem pop- beziehungsweise subkulturellen Auftreten der neuen Nazis angezogen fühlte und glaubte, so in seiner Pubertät den Regeln des Elternhauses entkommen zu sein, der merkte bald, dass es bei aller praktizierten oder vermeintlichen Lebenslust auch sehr hierarchisch zuging. So berichtete ein Aussteiger 2008: "In der Realität gibt es aber ganz klar Hierarchien, Strukturen und Führungskader."

Derselbe Aussteiger umschrieb ebenso, was die AN für junge Leute teilweise auch attraktiv macht:

Die Neonazis bei den Autonomen Nationalisten sind sehr Erlebnis orientiert, das heißt, sie sind richtig heiß darauf, dass es zu Ausschreitungen und Auseinandersetzungen kommt. Gewalt ist hier bei der Mehrzahl der Leute ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, aber auch ein wichtiger Teil in der Erlebniswelt. Eine Minderheit ist allerdings überwiegend wegen der Straßenschlachten dabei, die wollen den "Kick", genau wie Hooligans im Umfeld von Fußballspielen.

Schon Anfang 2008 hatte der Berliner Landesverfassungsschutz mitgeteilt, Angriffe von rechten Schlägern auf politische Gegner häuften sich. Neonazigegner würden inzwischen häufiger Opfer von rechten Übergriffen als Migranten. Einerseits würden bekannte Linke gezielt angegriffen, andererseits auch nur alternativ oder links aussehende Menschen bei zufälligem Aufeinandertreffen von Neonazis attackiert. Hintergrund dafür sei das Erstarken der AN, so der Berliner Landesverfassungsschutz.

Bis heute dürfte diese Analyse an Richtigkeit nichts eingebüßt haben, Angriffe durch AN auf Demonstrationen von Antifaschisten in Aachen (März 2008), bei einem Aufmarsch auf Journalisten, Gegendemonstranten und Polizisten in Hamburg (1. Mai 2008) und auf eine DGB-Demo in Dortmund (1. Mai 2009) folgten noch. Hinzu kamen zahlreiche kleinere Sprühaktionen und Überfälle gegen Nazigegner und Demokraten, aktuell etwa zahlreiche Straftaten im Vorfeld eines AN-Aufmarsches in Dortmund.

Folgerichtig stellen die Autoren der genannten Bücher denn auch übereinstimmend fest, dass die AN in großen Teilen schlicht Nazis sind, die bei ihrem historischen Vorbild die Welt des Straßenkampfes der SA sowie die propagandistische Umnutzung kommunistischer und sozialistischer Aktionsformen durch die NSDAP abgeschaut haben. Diese Art von Neonazis wirken heute eben nur viel moderner.

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