Stasi-Interesse am jungen Anwalt für Wirtschaftsrecht

Horst Mahlers enges Verhältnis zur Stasi - Teil 2

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Horst Mahler hatte sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert. Das interessierte die Stasi, die am 9.10.1963 seitens der HA XVIII (Abteilung für Sicherung der Volkswirtschaft der DDR) ein Gespräch mit Mahler führt, in dem es um die Rechtsvertretung bei Gerichtsprozessen in Sachen "Außen- und Innerdeutscher Handel" geht. Die Akte vermerkt: "In der Folgezeit wurde auch dem Rechtsanwaltsbüro Scheid, wo M. tätig ist, ein konkreter Auftrag der Rechtsvertretung übergeben."

Teil 1: Ein von der Stasi begleiteter Agent provocateur?

Das sieht danach aus, dass Mahler DDR-Firmen anwaltlich in der BRD vertreten sollte. Mit der Eröffnung seiner eigenen Kanzlei 1964 wird Mahler bis 1968 für Berliner Unternehmen aktiv und macht "gut Kohle", wie sich alte Mitstreiter erinnern. Danach gründet er mit den Rechtsanwälten Klaus Eschen und Hans-Christian Stroebele das sozialistische Anwaltskollektiv und seine Klientel werden strafverfolgte Studenten.

Am 20.11.1964 wird in der Diensteinheit HA XX/6 der Beschluss gefasst, die IM-Vorlaufakte einzustellen. Doch schauen wir genau in die Akten:

Mit dem Kandidaten wurde von der HA XVIII mit unserer Zustimmung ein Kontaktgespräch unter Legende geführt.(..) Im Interesse der daraufhin eingeleiteten Maßnahmen durch die HA XVIII wird von einer Werbung unsererseits Abstand genommen.

"Unsererseits" bezieht sich auf die bis dato für ihn zuständige Abteilung HA XX/6. Mahler wurde also von der Wirtschaftsabteilung kontaktiert und wegen eingeleiteter "Maßnahmen" der sich für ihn neu interessierenden Abteilung XVIII wird die Vorlaufakte bei der alten Abteilung eingestellt. "Unter Legende", das heißt, man gab sich ihm gegenüber nicht offen als Vertreter des MfS aus. Wir wissen nicht, welche Maßnahmen eingeleitet wurden. Nicht ausgeschlossen ist und es deutet darauf hin, dass damit eine IM-Werbung mit dem Ziel der IM -Verpflichtung nun von der neuen Abteilung anstand. So ein Abteilungswechsel eines bereits verpflichteten oder angehenden Stasi-Agenten war nichts Ungewöhnliches. Wer meint, zudem noch ohne selbst Kenntnis der Akten zu haben, hier könnte man ableiten, dass sich "die Sache zerschlagen" hätte (s. SZ vom 2.8.11), verdreht die Aktenlage.

Mahlers Rolle in der Studentenbewegung

Bekannt ist, dass seine Anwaltspraxis ähnlich wie die der RAF-Anwälte Siegfried Haag und Klaus Croissant, bei letzterem ist die Agentenschaft für die Stasi eindeutig erwiesen, ganz offensichtlich auch als eine Schaltzentrale von Stasi-nahen Militanten in der sich herausbildenden terroristischen Bewegung fungierte. Dank seines Amtes hatte Mahler vielfältigen Zugang zu Geheimnissen. Das machte ihn strategisch wertvoll.

Deutlich ist in seiner Karriere, dass er schon ganz früh und oft, typisch für Agent Provcateurs, radikale und auf Gewalteinsätze gerichtete Vorschläge in die Bewegung brachte. Diese sind geeignet, die Bewegung nach außen zu diskreditieren, und sie bieten dem Staatsapparat Gelegenheit, schärfer durchzugreifen. Und er war immer vorneweg, wenn Neues gegründet wurde.

Öffentlich zeigte er sich weiterhin, wenn auch nicht ganz so offensiv wie in den Anfangsjahren, als Freund der DDR, war sogar Mitglied der (West-)SED-Jugendorganisation "Freien deutschen Jugend" (FdJ). Ein Bericht des Berliner Innensenators Kurt Neubauer vom Sommer 1968 benennt ausdrücklich Horst Mahler als denjenigen, der den Einfluss der SED-Westberlin in der APO verstärkt. Der Vorsitzende der (West-)SED- Reinickendorf würde sich zudem ständig in seiner Kanzlei aufhalten.

Alt-68er erinnern sich, dass man eigentlich mehr oder weniger um Mahlers DDR-Nähe gewusst habe. Doch die gehörte eben zum befreundeten Linkslager, zu dem allenfalls "Fehler" im realen Sozialismus zu kritisieren waren. Argwohn über eine Nähe zum DDR-Geheimdienst von Mahler oder den vielen anderen Linksradikalen und späteren Terroristen kam nie auf. In Sachen geheimdienstlicher Untergrundarbeit in den eigenen Reihen war die Studentenbewegung erstaunlich unbesorgt.

.. und als Organisator der Außerparlamentarischen Opposition APO

Horst Mahlers unermüdliches Engagement ging noch weiter. Er und seine DDR-freundlichen Genossen setzten sich organisatorisch vom SDS ab, als dort die vorrückende DDR-kritische "Neue Linke" , die mit der von Mahler gegründeten Anfang der 60er Jahre nichts mehr zu tun hatte, um Rudi Dutschke und Bernd Rabehl 1966 in die Leitung gewählt wurde.

Die Mehrheiten verschoben sich. Sie bauten in West- Berlin, vorneweg durch Mahler, ein neues APO-Sammelbecken auf, die "November-Gesellschaft" und bald darauf den "Republikanischen Club" als Zentrum für alle Fraktionen der APO. Schon 1966 hatten Mahler und sein - nach 1989 aufgedeckter - Freund, IM-Walter Barthel einen Plan entworfen, um "der APO ein publizistisches Forum zu geben".

Ein gemeinsamer Versuch für ein APO-Organ zusammen mit - man höre und staune - Stefan Aust, von 1994 bis 2008 Chefredakteur des deutschen Nachrichtenmagazins der "Spiegel", kam zunächst nicht zustande. Dann aber realisierte sich das "publizistische Forum der APO" mit dem "Berliner Extradienst" doch noch, ohne Aust, aber mit Mahler und Stasi-IM Barthel. Das Blatt mit Horst Mahler als Geschäftsführer wurde nachweislich von der DDR mit Artikeln beliefert und aus der ideologischen Nähe wurde kein Hehl gemacht.

Ihre Existenz verdankten "Republikanischer Club" und "Berliner Extradienst" verdeckt agierender Stasi-Agenten wie Walter Barthel, Dietrich Staritz und Carl Guggomoos und verdeckt eingeflossener Gelder des FDP-Mannes und IM William Borm. Als in den 90ern die Agententätigkeit dieser Stasi-Aktivisten und auch des Molekular-Biologen und Professors Ernst-Randolf Lochmann (IM "Zeitz", späterer Mitbegründer der Grünen) aufflog, erinnerten sich Alt-68er, dass Mahler gerade mit diesen immer "zusammenhing".

Mit Lochmann machte er - laut Stasi-Akten - schon zu Zeiten der "Vereinigung unabhängiger Sozialisten"(VUS)Ende 1963 gemeinsame Sache. Zu seinem engen Kreis gehörte auch Klaus Feske, der ihm vom Chef der Berliner SEW als Assistent in seiner Kanzlei zur Seite gestellt wurde und der Berliner Staatsanwaltschaft als IM bekannt ist.

Die auch in Westdeutschland schnell gegründeten "Republikanischen Clubs" hatte man nicht nur ein neues Auffangbecken der enttäuschten linken Sozialdemokraten, denen der SDS zu radikal war. Sondern auch ein Instrument, um die stärker gewordenen DDR-kritischen Antiautoritären/Neue Linke zu gegebener Zeit zu isolieren.

Mahler war mit seinen vielen Ämtern auch organisatorisch der wichtigste Mann in der APO geworden. Und, wen wundert es eigentlich noch, nach dem Schuss des Polizisten Karl-Heinz Kurras auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 war auch er es wieder, der die Gegenermittlungen des Untersuchungsausschusses der Studentenausschüsse aller Westberliner Universitäten zur Aufklärung des Anschlages in die Hand nahm und koordinierte. Doch Aufklärung erfährt dieser Fall erst in allerjüngster Zeit Der "Berliner Extradienst" lobte Mahlers unermüdliche Aufklärungsarbeit:

Er nahm sofort umfangreiche Zeugenvernehmungen und Indiziensicherungen vor. Er drängte Polizei und Senat, Schritt um Schritt der Wahrheit näher zu treten.

Aber der damalige Studentenführer Bernd Rabehl erinnert das ganz anders. Auf dem Weg in das SDS-Zentrum, war der kurz vor dem Schuss an einem Westberliner Polizisten vorbeigegangen, den er später als Kurras identifizieren konnte, der ohne von "aufmüpfigen Studenten" - wie es die spätere Legende von Kurras' besagt - bedrängt zu sein, schon mit gezückter Pistole in der Hand da stand. Als Rabehl danach Mahler seine Beobachtung als Zeuge mitteilte, blockierte dieser mit dem Argument ab: Jetzt wolle die Polizei doch nur Rädelsführer ausmachen, er solle das mal für sich behalten.

Für Rabehl ist das eine noch heute bedenkenswert merkwürdige Logik. Dass Kurras von Studenten keineswegs bedrängt wurde, brachte im Prozess auch der Generalstaatsanwalt zum Ausdruck. Auch nach dessen Meinung lag "keine Veranlassung" für die Abgabe eines Schusses vor. Ironie der Geschichte, dass Kurras und Mahler sich heute von demselben Anwalt vertreten lassen.

Horst Mahler war zu Hochzeiten der Studentenbewegung eine so zentrale Figur in der APO, dass man für ihn sogar die "Schlacht am Tegeler Weg" am 4. November 1968 schlug, ein Paradestück zugespitzter Gewalttätigkeit. Organisiert war das von einem anderen Militanten, Christian Semler. Mahler hatte sich vor dem am Tegeler Weg gelegenen Gericht einem Ehrengerichtsverfahren mit dem Ziel des Berufsverbotes als Rechtsanwalt zu stellen, habe er doch die Anwendung von Gewalt propagiert.

Nach Erinnerung von Zeitgenossen verband Mahler ein inniges Verhältnis mit Klempner Peter Urbach, der eifrige APO-Lieferant für Sprengstoff und Waffen war damit an der zunehmenden Gewalttätigkeit der Bewegung nicht unwesentlich beteiligt. Auch Drogen, deren strategischer Stellenwert für geheime Zersetzungsarbeit nicht unbedeutend ist, bot er feil. Obwohl Urbach ab einem bestimmten Zeitpunkt als Mann des Berliner Verfassungsschutzes in der Szene enttarnt war und Warnungen vor ihm kursierten, war es gerade Mahler, der unbeirrt an ihm festhielt. Der Verdacht, dass Urbach auch für die Stasi arbeitete, ist stark und nicht aus der Welt (s. Telepolis Eine kleine Recherche in der Stasi-Unterlagen-Behörde).

Gern wird vergessen, dass er Bürger der DDR und SED-Mitglied war. "S-Bahn-Peter" hieß er, weil er als Angestellter bei der S-Bahn für Ostberlin arbeitete. In den wenige Seiten umfassenden, auch ausgedünnten Urbach-Stasi-Akten stößt man sogar auf einen ihm erteilten Decknamen. Auch Zeitzeuge Bommi Baumann sieht in Urbach einen möglichen "Diener zweier Herren", der Befehle auch noch von woanders bekam. Hatte ihm selbst doch in den 2000er Jahren Wolfgang Kotsch von der damaligen politischen Polizei Westberlins erzählt, das Urbach einmal ins Landesamt für Verfassungsschutz kam mit der Aufforderung, ein Bündel Waffen auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfen zu lassen. Das wäre schlecht möglich gewesen, wenn die Waffen vom Berliner Verfassungsschutz selbst geliefert worden wären.

Doppelagenten waren im Terrorismus keine Seltenheit. Das letzte Zeichen des gleich nach dem Mahler-Prozess vom Erdboden verschwundenen Urbach erhielt Zeitzeuge Rainer Langhans vor einigen Jahren über Telefon: "Rainer, wenn du wüsstest…" Es ticken noch einige Zeitbomben.

Teil 1: Ein von der Stasi begleiteter Agent provocateur?
Teil 3: Als Wegbereiter des Terrorismus von der Stasi begleitet