Als Wegbereiter des Terrorismus von der Stasi begleitet

Horst Mahlers enges Verhältnis zur Stasi - Teil 3

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Nicht fehlen darf bei dem Vielen, was Mahler organisierend vorangetrieben hat, die Baader-Befreiung, die im Mai 1970 durch seine Initiative zustande kam. Da wurde das erste Mal geschossen und es begannen die Zeiten der Illegalität und wirklichen Militanz. Diese Aktion gilt als die Gründung der Roten Armee Fraktion. Horst Mahler ist ihr entscheidender Gründer. Nun konnte die Destabilisierung des westdeutschen Staates erst richtig beginnen.

Teil 1: Ein von der Stasi begleiteter Agent provocateur?
Teil 2: Stasi-Interesse am jungen Anwalt für Wirtschaftsrecht

Kurz danach, am 8.6.1970 setzte sich Mahler mit einem Trupp Gleichgesinnter für eine paramilitärische Ausbildung ab nach Beirut. Da hatte die Stasi wieder deutlich ihre Finger mit im Spiel. Die Reise wurde organisiert über den in Westberlin ansässigen Palästinenser Said Dudin, der laut Aktenlage engen Kontakt mit Stasi und KGB hatte. Auch gibt es deutliche Hinweise auf bevorzugte Behandlung für Mahler beim Transfer von der Grenze zum DDR-Flughafen Schönefeld.

Zu diesem Zeitpunkt lag gegen Mahler wegen der Baader-Befreiung ein Haftbefehl vor. Er musste also die Grenzkontrolle der BRD meiden, um überhaupt ausreisen zu können. Laut offizieller Anweisungen durfte niemand die Grenze in die DDR passieren, der in der BRD krimineller Delikte verdächtigt wurde, also zur Fahndung ausgeschrieben war. Wenn er seinerzeit nicht das Wohlwollen der Stasi-Oberen genoss, wäre er nicht hereingekommen und abgewiesen worden. Wenn er aber willkommen war, weil man am gleichen Strang zog, dann konnte er natürlich auch mit seinem echten Ausweis über die Friedrichstraße, also ohne eine Grenze der BRD zu überschreiten zum Flughafen Schönefeld und nach Jordanien ins Trainingslager gelangen.

Mahler kam bekanntermaßen nicht nur ungehindert in Schönefeld an. Auch bei der Rückfahrt wurde ihm eine Sonderbehandlung zuteil. In Begleitung einer in den Akten nicht näher beschriebenen "weiblichen Person" wurde Mahler - laut Akte - von einem PKW Wartburg mit einer Regierungsnummer am Flughafen Schönefeld am Abend des 23. Juli 1970 abgeholt.

Schließlich ließ man ihn - wie sich Zeitgenossen der Szene erinnern - in Schönefeld sogar mit Klarnamen über Lautsprecher ausrufen, damit er sich am Schalter melden möge. Auch dieses Detail drückt zweifelsohne Vertrautheit aus. In einer anderen Akte ist notiert, dass Meinhof und Mahler "nach Absprache zwischen Genosse Minister und Oberst Heinitz" eingereist waren. Man wusste ganz oben also bestens über die brisanten Grenzübertritte Bescheid.

War Mahler ein wirklicher Führer in Fragen der Organisation und Logistik, so zeigte er auch ideologisch Führungsqualitäten. Seine Grundlinie war, durch Aktionen der Stadtguerilla militärische Reaktionen des Staatsapparates herauszufordern und diesen darüber zu einem offeneren Faschismus voranzutreiben, um so zu destabilisieren und das Volk zu Erhebungen zu mobilisieren. Das war die verdeckte Linie der Stasi im Terrorismus, wie sie in den Akten der paramilitärischen Einheiten mit dem unscheinbaren Namen AGM/S (=Arbeitsgruppen des Minsters/Sonderaufgaben), nachzulesen sind. Die AGM/S sind mit der Gladio/Ost gleichzusetzen.

Mahler diente das ein Jahr zuvor in Berlin aufgetauchte Minihandbuch des Stadtguerilleros des Brasilianers und engem Mann Castros, Carlos Marighella, als Grundlage für seine dann im Gefängnis verfasste Schrift "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa", die grundlegend für die Strategie der RAF wurde und die er 1970 unter der Tarnung "Die neue Straßenverkehrsordnung" nach seiner Inhaftierung aus dem Gefängnis schmuggeln und veröffentlichen konnte.

Mahlers Äußeres war in den ersten APO-Jahren immer auffallend bürgerlich-konservativ, mit Hut, Anzug und Regenschirm. Das änderte sich radikal, als er 1970 aus dem palästinensischen Camp zurück kam und bereit war, sich offen zur Militanz zu bekennen. Da ähnelte er dann mit grünem Kampfanzug und grüner Militärmütze eher Fidel Castro. Die Wochen der Guerilla-Ausbildung bewirken bei der eben gegründeten Roten Armee Fraktion eine Straffung der Organisation.

Zurück aus dem Palästina-Camp bereitet sich dieser nun ausgebildete Kern - immer unter Führung Mahlers - mit dem Ausbau einer sicheren Logistik auf die Illegalität vor. Deckwohnungen und Autos werden beschafft, Banken überfallen. Das war alles erstaunlich vorausschauend professionell und ganz so, wie es Carlos Marighella in seinem Handbuch für den Stadtguerillero empfahl.

Am 29. September 1970 werden gleichzeitig um 9.45 h von neunzehn beteiligten Militanten drei Berliner Banken überfallen und 217.000 DM erbeutet. In den bundesweit zu den Banküberfällen durchgeführten Fahndungen versuchen sich Beteiligte erstmals durch den Einsatz von Schusswaffen ihrer Festnahme zu entziehen, schließlich hatte man im palästinensischen Lager deren Benutzung gerade trainiert. Dabei werden Polizisten und Terroristen tödlich verletzt.

Die Verhaftung: der erste Ausstieg aus dem Terrorismus

Mahler lebt nun im Untergrund. Dem Ausstieg aus der bürgerlichen Existenz folgt am 23. September 1970 das Berufsverbot. Sein kurzer aktiver Kampf als Stadtguerillero geht mit seiner Verhaftung am 8. Oktober 1970 zu Ende. Am 26.2.1973 folgt das endgültige Aus: wegen schwerem Bankraub und Gründung einer kriminellen Vereinigung wird er zu 12 Jahren Haft verurteilt. In den Stasi-Akten findet sich noch eine Kerblochkartei aus dem Jahr 1971, in der Mahlers Decknamen verzeichnet sind, gleich drei: "Rudi", "Lindau", "James".

Mahlers Gefängniszeit ist auch eine Lücke in den Stasi-Akten zu ihm. Erst im Jahr 1975 gibt es ein registrierwürdiges Ereignis. Er lehnt ab, sich mit anderen RAF-Inhaftierten gegen den entführten CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz austauschen zu lassen und erklärt, dass er Entführung als "Strategie des individuellen Terrors" ablehnt. Das ist der zweite Ausstieg aus dem Terrorismus. Aus der Haftanstalt Tegel kontaktiert er 1973 die KPD/AO-nahe Roten Hilfe und kandidiert bei den Parlamentswahlen von 1975 für die kleine maoistische KPD. Für diese Jahre finden sich in den Stasi-Akten nur Artikel aus bundesdeutschen Zeitungen oder dpa-Pressemitteilungen zu ihm.

Horst Mahler 2001 in Leipzig. Bild: Herder3. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Im August 1979 wird er Freigänger, 1980 kommt er vorzeitig aus der Haft, die Reststrafe wird auf Bewährung ausgesetzt. 1979 findet man ihn interessanterweise für die Abteilung XXII, die so genannte Terrorabwehr, neu "erfasst" auf einer Kerblochkartei ("KK-erfasst seit 6.4.79"). Mit dem neuen Decknamen "Samir". Diese KK weist ihn aus als wohnhaft in der Meierottostraße, geschieden und nacheinander: Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe, der RAF und der KPD.

Laut Karte hat er immer noch seine Verbindungen nach Leipzig, genauer: nach Engelshof/Leipzig. Eine Stasi-Akte vom 28.4.1981 verzeichnet einen Antrag auf einen Besuch Mahlers in Leipzig. Auch danach bleibt er im MFS erfasst. Ab 1987 darf er wieder als Anwalt tätig sein. Ende der 90er Jahre wird er bekennender Neonazi, tritt in die NPD ein, tritt wieder aus. Im Februar 2009 wird der 73-Jährige wegen Volksverhetzung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Es gibt noch einiges in dieser Biographie abzuklären.

Regine Igel ist Koautorin eines Dokumentarfilms zur RAF-Stasi-Connection, der diesen Herbst im ZDF gesendet wird.