Deutschland Dreigeteilt? Yes, please!

Als Henry Kissinger noch frisch gebackener Sicherheitsberater war, macht er einen interessanten Vorschlag

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Wir schreiben den April 1961. In den USA hatte gerade der Demokrat John F. Kennedy die Amtsgeschäfte übernommen, und der deutsche Bundeskanzler machte sich auf den Weg, ihm einen Antrittsbesuch abzustatten. Mit seinem Vorgänger, dem Republikaner Dwight Eisenhower, war Konrad Adenauer immer gut zurecht gekommen. Er hatte sich ein Jahr zuvor bei dem Pariser Abrüstungsgipfel standhaft gezeigt und das Angebot des sowjetischen Staatschefs abgelehnt. Nikita Chrustschow hatte Wahlen in einem Gesamtdeutschland vorgeschlagen - nach erfolgter Entnazifizierung und dem Abzug aller ausländischen Truppen von deutschem Boden. Einen neutralen Staat also, bestehend aus DDR und Bundesrepublik, mit der freien Stadt Berlin.

Schon im Wahlkampf hatten die Demokraten durchblicken lassen, dass sie mit der Sowjetunion gerne verhandeln wollten. Und intern wurde der deutschen Botschaft in Washington mehrfach angedeutet, dass man den Unterhalt von West-Berlin auf die Dauer für nicht machbar und viel zu teuer erachte. Dies geht jetzt frei gegebenen Unterlagen des Auswärtigen Amtes hervor. Darunter befindet sich auch ein Geheim-Vermerk vom 13. April 1961, unterzeichnet von Legationsrat Richard Balken.

Während des Staatsbesuchs hatte der frisch gebackene Sicherheitsberater Henry Kissinger ("Sonderberater des Präsidenten für Sicherheitsfragen" ) den deutschen Legationsrat zu sich gebeten. Es ging um die "Europäische Sicherheit". Im Weißen Haus, verriet Kissinger, denke man gerade neu über die Rolle der USA in Europa nach. Er habe da einen "Gedanken", der aber "völlig privat sei".

Es handle sich darum, ob man eine Zone zu beiden Seiten der Demarkationslinie bilden könne, die auf der Ostseite die Stadt Berlin einschließe und im Westen ein Gebiet gleicher Tiefe. Er frage sich, ob man den Russen anbieten könne, die sowjetischen bzw. amerikanischen Truppen aus einer solchen Zone zurückzuziehen, um dafür eine befriedigende Berlin-Lösung einzuhandeln.

Die konkrete Ausdehnung dieser neuen Zone eines "neutralen Deutschlands" wird in dem Vermerk nicht genannt, aber vermutlich würde dieses neutrale "Zonendeutschland" Gesamtberlin - als Hauptstadt - umfassen - und praktisch die gesamte DDR - bis auf einen schmalen Korredor am Ufer der Oder, von Greifswald, über Frankfurt bis hinunter nach Görlitz. Das wäre sozusagen die Rest-DDR gewesen, in der sich auch die Rote Armee hätte tummeln dürfen. Dem "neutralen Zonen-Deutschland" wäre dann auf westlicher Seite vermutlich Niedersachsen und Schleswigholstein zugeschlagen worden, Westfalen und Nordhessen.

So hätte vielleicht eine Teilung Deutschlands aus amerikanischer Sicht aussehen können ...

Bayern wäre sicher verschont geblieben, da saß ja Franz-Josef Strauss. Und Baden-Württemberg sowieso, nicht nur aufgrund seiner geographischen Lage sondern auch wegen Daimler-Benz. Frankfurt wäre sicher auch Teil der Rest-BRD geblieben, allein schon wegen der Deutsche Bank. Und in Bonn war Adenauer, und die Eifel und Rheinland-Pfalz brauchten die Amerikaner für ihre Raketenstützpunkte.

Ob dieses "neutrale Zonendeutschland" eine eigene Regierung gehabt- oder vielleicht den Vereinten Nationen unterstanden hätte, dazu hatte sich Kissinger noch keine Gedanken gemacht, auch keine "privaten Gedanken". Aber der neue Sicherheitsberater brauchte einen Kompromiss-Vorschlag für Chroustschow.

Legationsrat Balken war entsetzt. Er notierte für den Minister, mit vier Kopien:

Ich sagte ihm, daß dieser Gedanke für mich völlig neu sei und ich es für außerordentisch gefährlich halte, eine derartige militärische Sonderregelung anzubieten und dafür eine separate Berlin-Lösung einzuhandeln, was auf eine Dreiteilung Deutschlands hinauslaufe.

Irgendwie schade, dass das Auswärtige Amt nicht auch die Vorteile der Dreiteilung durchspielen wollte: Dann wäre uns viel erspart geblieben. Erstens hätte der schmale Schlauch, nämlich die Rest-DDR, dann gar nicht mehr die Berliner Mauer bauen müssen. Und zweitens hätte die Rest-BRD 1989 nicht viel Geld für die Wiedervereinigung ausgeben müssen, und auch die Altnazis hätten dort eine ruhige Heimstatt gehabt.

Der Vorschlag eines "neutralen Zonendeutschlands" wirft ein bezeichnendes Licht auf das angebliche "staatsmännische Talent" eines Henry Kissingers - offenbar hatte er nicht den geringsten Schimmer davon, was in den Bonner (Holz-)Köpfen vorging. Es wirft auch ein Licht auf die Adenauer-Regierung, die sämtliche Vorschläge einer Neuordnung Mitteleuropas von vorneherein ablehnte und mit dieser unflexiblen Haltung die Zweiteilung Deutschland und in Folge davon den Bau der Berliner Mauer in Kauf nahm.

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