Twitter der Arbeitswelt

Wie sich Arbeitsplätze verändern: Coworking Spaces

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Wer in Hamburg durch die szenige Sternschanze läuft, sieht sie überall sitzen. Einzeln, in Zweier- oder Dreiergruppen, vor sich aufgeklappte Laptops, der Marke Apple. Ihr Style, seit einiger Zeit wieder 1980er. Die Brillen wieder aus Horn und so dick, wie seit langem nicht mehr. Zwischen einem portugiesischenn Galao und dem kleinen Snack beim Imbiss De-Lux verbringt die digitale Bohème ihre Zeit und nennt es, zur Verwirrung aller, auch noch Arbeit.

Die Sternschanze in Hamburg war immer ein Ort, an dem Revolten auf die Polizei und Modernisierungsschübe auf die Anwohner trafen. Nachdem in den frühen Novembertagen 1989 das ehemalige Floratheater am Schulterblatt, dem Zentrum der Sternschanze, besetzt wurde, hat der Stadtteil in der Presse vor allem durch immer wiederkehrende Straßenschlachten zwischen dem Schwarzen Block und der Polizei der Hansestadt auf sich aufmerksam gemacht. Während das Floratheater nur noch die "Rote Flora" genannt wurde, entwickelte sich in ihrem Schatten eine quirlige Hausbesetzer- und Punkszene. Für die Polizei und den Hamburger Senat damit ein Ort des fortgesetzten Ärgers.

Anfang des neuen Jahrtausends dann reichte es der Stadt und sie begann, einen Gentrifizierungsprozess am Schulterblatt einzuleiten, der bis heute in erster Linie durch die neue digitale Boheme getragen wird. Zwischen Punks und Autonomen haben sich nun bekannte Werbeagenturen und schicke kleine Boutiquen Platz geschaffen. In den netten und szenigen Cafés vertreiben sich die Freelancer mit gemütlichen Schwätzchen über alles, was irgendwie wichtig oder interessant sein könnte, ihre Zeit.

Und während die alten Bewohner zweimal im Jahr während ritualisierter Straßenkämpfe die Bank an der Ecke mit Steinen bewerfen, heben die Neuen im Stadtteil noch schnell etwas Geld ab, um bei der sich ankündigenden Straßenparty nicht auf dem Trocken sitzen bleiben zu müssen. Wer cool ist an der Sternschanze, muss auch ein bisschen punky sein, sonst passt er nicht in den Stadtteil.

Vor allem jedoch, muss er ganz besonders individuell sein. Denn die Individualisierung, so der philosophische Vordenker der kreativen Freelancer, Sascha Lobo, sei der wichtigste gesellschaftliche Trend des 20. Jahrhunderts und könne erst im 21. Jahrhundert seine eigentliche Qualität offenbaren: Indem Individuen ihre Individualität nicht mehr nur über den Konsum, sondern auch darüber entfalten, was, wann und wie sie arbeiten. "Etwas Besseres als die Festanstellung findet sich allemal", lautet daher auch ein viel zitierter Satz Lobos.

Der wirtschaftliche Zwang

In all der Ungebundenheit dieser digitalen Arbeitsnomaden zeigt sich jedoch auch deutlich, dass die Freizeit, die sie Arbeit nennen, doch in erster Linie Arbeit ist und entsprechend organisiert werden will. Denn ohne pünktliche Abgabe des Projektes beim Auftraggeber erscheinen ganz schnell die finanziellen Schatten am Horizont dieser schönen neuen Arbeitswelt.

Wolfgang Wopperer sagt: "Wir nennen es Arbeit, hat eine Kehrseite". Der Unternehmer, der ein kleines Softwarehaus in Hamburg aufgebaut hat, ist Mitgründer des Betahauses an der Sternschanze. In diesem "Coworking"-Space können Freelancer einen Platz finden, der verdächtig nach einem Büro mit Kollegen aussieht, nur eben ein bisschen cooler. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass sich jeder jederzeit einmieten kann, so lange er das möchte.

Für kleines Geld kann auf diese Weise eine Büroatmosphäre gekauft werden, die von einer Telefonzentrale, über eine aussagekräftigen Postadresse, bis hin zu Meetingräumen reicht. Was auf den ersten Blick wie der sehnsüchtige Rückgriff nach einer überkommenen Arbeitsorganisation wirkt, ist auf den zweiten durchaus sinnvoll. Denn für viele Freelancer stellt sich bereits morgens die Frage: "Wie lenke ich mich heute von der Arbeit ab", so Wopperer. Das Betahaus biete die Möglichkeit sich in einer entsprechenden Arbeitsatmosphäre auf das Nötigte zu konzentrieren - die Arbeit.

Denn genau das falle vielen Freelancern häufig schwer. Im Homeoffice gebe es immer auch die Möglichkeit, das Geschirr zu spülen oder einfach aufzuräumen. Im Betahaus könne man sich in einer lockeren Umgebung auf das Relevante konzentrieren. Gerade das sei für viele Freelancer besonders wichtig. Denn die Schattenseite sei nicht nur, dass man sich ständig selbst motivieren müsse. "Manch Freelancer steht permanent zwei Schritte vor Hartz-IV". Ungenügende Selbstmotivation erzeuge ungenügende Arbeitsergebnisse.

Die neue Autonomie

"Wie lässt sich das Leben organisieren mit dem Internet?", fragt Wopperer. Das sei die große Unklarheit für diese Generation. Von der Erfindung des Buchdrucks bis zur Entwicklung der Seitenzahlen "hat es 40 Jahre gedauert". Das Internet sei nun gerade einmal 20 Jahre alt und damit sei es auch völlig klar, dass es noch etwas Zeit brauche, bis völlig verstanden wurde, welchen Einfluss und welche Möglichkeiten das Netz für das Leben und die Arbeit böten.

Festgehalten werden kann eines: die Arbeit im Internet sorgt für eine stärker werdende Fragmentierung der Gesellschaft. Vorbei scheint die Zeit der großen Organisationen. Kirchen, Parteien und Gewerkschaften, alle leiden unter dem gleichen Mitgliederschwund. Für die neue Generation der Internetarbeiter scheinen solche Organisationsformen keine Alternative mehr zu sein. Die oft gehörte Postdemokratie erzeugt offensichtlich auch eine Post-Arbeitswelt, in der es keinerlei Zugehörigkeit mehr zu geben scheint.

In dieser Post -Arbeitswelt, in der sich Freizeit und Arbeit stärker vermischen, finden sich schnell Kooperationen, die sich jedoch ebenso schnell wieder auflösen. Die Möglichkeit, sich an jedem Ort, zu jeder Zeit im Netz zusammenzufinden, machte es möglich, dass die vorhandenen Organisationsformen, wie ein festes Büro an einem festen Ort, einfach nicht mehr nötig waren. Die Generation der Digitalen Bohème hat sich in dieser neuen Arbeitswelt eingerichtet hat, versucht nun sich zu organisieren.

Dabei stellt sie jedoch fest, nicht alles Althergebrachte ist veraltet. Gerade die Globalisierung der Arbeit zeige, so Wopperer, dass es auch eine Rückbesinnung auf die Regionalisierung brauche. Das Betahaus bezeichnet er als eine solch "reregionalisierte Arbeitsstätte". Immer noch im Internet und immer noch frei von den Zwängen der Festanstellung, mit ihrer Aufgabenverteilung durch den Chef und der regelmäßig kontrollierten Anwesenheitspflicht. Das Betahaus ist beides. Büro mit Kollegen und Freelancertum. Man kann kommen und gehen, wie es einem passt. Und natürlich, wie es die Auftragssituation des Freelancers erlaubt.

Gelegentlich muss auch der digitale Arbeitsnomade zusammenkommen, um weiter zu kommen

Denn genau da entstehen die Zwänge zum Zusammenkommen. Marco Wollak sagt, er mache "irgend etwas mit Internet". Der Stuttgarter ist für ein Projekt eigens nach Hamburg gekommen. Denn: Es habe sich gezeigt, dass man immer wieder auch zusammentreffen müsse. Mit einem Kollegen habe er sich im Betahaus für ein halbes Jahr eingemietet. Jetzt kämen sie jeden Tag zusammen und könnten auf diese Weise gemeinsam an einem Ort das Projekt weiterentwickeln. Es müsse nichts mehr per Mail verschickt werden. Man könne sich die neuesten Ergebnisse direkt, aber vor allem gemeinsam am Bildschirm ansehen. So gibt es einen Rückgriff zu Arbeitsweisen, von denen man in allzu hochschwingender Abstraktion dachte, dass sie nicht mehr zeitgemäß sind und auch nicht mehr zu den Anforderungen der globalisierten Arbeitswelt passen.

Dazu kommt: Was früher Verheißung der Arbeitserleichterung war, wird manchmal auch anstrengend: Homeoffice, Arbeiten, während die Kinder zuhause spielen. Auch das Nomadenmodell der digitalen Bohème stößt an seine Grenzen. "Es ist keine Arbeitsform für die Allgemeinheit", sagt Wopperer. Denn nicht jede Arbeit kann so erledigt werden. Aber vor allem, nicht jeder kann so arbeiten.

Nicht für jeden scheint es erstrebenswert zu sein, frei und ungebunden, immer auf der Suche nach neuen Aufträgen, durch die Welt, respektive das Netz zu ziehen. Das Betahaus stellt dabei eine alternative Mischung dar. Steht es doch in erster Linie für Kollegen, die zwar nicht voneinander abhängig sind, trotzdem aber Anregungen bieten und die gelegentlich auch Kooperationen eingehen.

Der Software-Unternehmer Wopperer hofft dabei auf Synergie-Effekte durch solche Zusammenschlüsse vor Ort. Und Wopperer, dessen bevorzugtes Thema "Zurück zur Region" heißt, wird dabei ganz global: So würden Ideen entstehen wie in Silicon Valley. Wenn die Kreativen zusammenkämen, um an einem Ort gemeinsam oder doch zumindest in Sichtnähe zueinander ihre Ideen entwickeln, erst dann würden neue Entwicklungen angeschoben. Nicht ohne Grund sei das Silicon Valley so ein Zentrum, so Wopperer. Es genüge nicht, nur per Mail Kontakt mit dem Silicon Valley zu halten. Man müsse vor Ort sein, um alles mitzubekommen.

Die Grenzenlosigkeit des Internets brauche als Gegenstück, um funktionieren zu können, die physische Verkörperung in der gelegentlichen Zusammenkunft der Internetarbeiter. Diese könne jedoch zwangsläufig nur regional funktionieren. Die Globalisierung der Arbeit selbst stoße damit an ihre Grenze, so der Betahaus-Betreiber, der sein Arbeitsplatzhaus mit einem sozialen Netzwerk vergleicht. Es sei das "Twitter der Arbeitswelt". Man folgt, so lange man möchte.