"Was ist heute noch Wirklichkeit, wenn Geheimdienste versuchen, das Paradies zu simulieren?"

Der Architekt Friedrich von Borries über seinen Roman "1WTC"

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Der Berliner Architekt Friedrich von Borries, der neben seinem Beruf als Architekt auch als Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für bildende Künste Hamburg tätig ist, verarbeitet nach seinen Angaben die realen Erlebnisse eines ehemaligen Klassenkameraden zu einem packenden Roman. In dem im Suhrkamp-Verlag erschienenen Roman 1WTC verstricken sich die Protagonisten in einer Geschichte, in der sich Polit-Aktivismus, berufliche Interessen und ein Geheimdienstprojekt Stück für Stück verbinden - ein dramatischer Verlauf folgt.

Auf unterschiedlichen Erzählebenen vermischen sich geschickt Realität und Fiktion. Erzählstark überwindet Borries gattungstypische Grenzen, bricht sie auf, verwebt sie neu und führt den Leser so in das New York der Gegenwart, eine Stadt, in der die Fragen von Freiheit, Sicherheit, im weiteren Sinne: von Demokratie und Machtmissbrauch einer fragwürdigen Dynamik zu unterliegen scheinen. Mit seinem ersten Roman gelingt Borries, der bisher mehrere Sachbuecher veroffentlich hat, ein Thriller, mit einer klaren politischen Dimension.

Herr Borries, Sie haben einen Roman mit dem Titel 1WTC geschrieben. Worum geht es?

Friedrich von Borries: Wie in jedem Roman - und im echten Leben - gibt es verschiedene Handlungsstränge. Mikael, ein Berliner Künstler, ist mit einem Stipendium in New York. Er will dort die Mechanismen der Überwachung untersuchen, die seit 9/11 massiv intensiviert wurden. Durch Zufall entdeckt er ein Verhörzentrum, das der amerikanische Geheimdienst im neuen World Trade Center, dem One World Trade Center, plant.

In ihrem Roman sprechen Sie von einem "Geheimprojekt".

Friedrich von Borries: Ja. Dieses Verhörzentrum ist natürlich geheim, weshalb es bislang auch in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Es wendet völlig neue Verhörmethoden an, die alles, was wir bisher über Guantanamo und die Black Sites wissen, auf den Kopf stellt.

Können Sie das konkretisieren?

Friedrich von Borries: Dieses neue Verhörzentrum droht nicht mehr mit dem möglichen Tod, sondern geht einen Schritt darüber hinaus. Dem Gefolterten werden keine neuen Leiden mehr angedroht, sondern er soll denken, bereits tot zu sein. Er soll denken, dass er sich bereits im Paradies befindet, und deshalb soll er bereitwillig von seinen irdischen (Helden-)taten berichten. Das ist zumindest die Idee des amerikanischen Geheimdienstes.

Wie kommt man auf so eine Geschichte?

Friedrich von Borries: Nun ja, ich bin da ja nicht selber drauf gekommen, sondern Mikael, der das Ganze entdeckt hat, hat es mir erzählt. Ich habe nun lediglich versucht, dies möglichst genau zu schildern.

Moment, Sie wollen sagen, die Geschichte in ihrem Roman ist eigentlich wahr?

Friedrich von Borries: Ja, das war für mich ja auch eine der großen Herausforderungen bei diesem Buch. Bisher habe ich vor allem Sachbücher geschrieben. Gerade weil das Verhörzentrum in World Trade Center ein Geheimprojekt ist, ist die Quellenlage - aus wissenschaftlicher Perspektive - etwas dürftig. Deshalb habe ich mich entschieden, Mikaels Bericht als Roman zu schreiben,

Genauer: Was ist in Ihrem Roman Realität, was Fiktion?

Friedrich von Borries: Wenn man eine solche Geschichte aufschreibt, muss man seine Informanten schützen. Namen werden verändert, Orte auch. Man versucht also, Spuren zu verschleiern, um niemanden zu gefährden. Schließlich hat dieses Verhörzentrum schon genug Menschen ums Leben gebracht.

Am Ende Ihres Romans, soviel sei verraten, stehen drei Tote. Sind diese Tote das Produkt Ihrer schriftstellerischen Freiheit oder gab es die Tote tatsächlich.

Friedrich von Borries: Na ja, ich glaube diese Frage habe ich eben ja schon beantwortet.

Die erste Zeile im Ihrem Roman lautet: "Fiktion ist beste Tarnung der Realität." Verstehe ich Sie richtig: Ist diese Aussage der Zugang zu ihrem Werk?

Friedrich von Borries: Ich denke, dass dies vor allem eine Haltung gegenüber der Wirklichkeit beschreibt. Wir leben in einer sehr merkwürdigen Zeit. Vieles, was Realität ist, verdrängen wir, während wir so manche Narration für bare Münze nehmen - insbesondere, wenn es Politik betrifft. Man kann diesen Anfangssatz mehrdeutig lesen: als Kritik an unserer Weltauffassung und als Schlüssel, wie man mein Buch und die darin beschriebene Geschichte verstehen kann.

Woher wissen Sie, dass die Geschichte, die Ihnen ihr ehemaliger Schulkamerad erzählt hat, der Wahrheit entspricht? Haben Sie ihm einfach geglaubt oder haben Sie seine Geschichte durch Recherchen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft?

Friedrich von Borries: In einer Welt, die von sozialen Netzwerken bestimmt wird, ist Vertrauen eine wichtige Währung. Aber natürlich habe ich die Geschichte soweit gegengecheckt, dass ich sie guten Gewissens veröffentlichen kann.

Haben Sie eine Erwartung an den Leser? Wie soll der Leser mit Ihrem Werk umgehen?

Friedrich von Borries: Das ist eine sehr schwierige Frage. So ein Buch entfaltet im Idealfall ja ein Eigenleben, steckt den Leser zu eigenen, unterwarteten Gedanken an. Mir war wichtig, das, was Mikael mir erzählt hat, an die Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb hat er mir ja davon berichtet. Dazu habe ich das Ganze in eine unterhaltsame Form gebracht, ein spannendes Buch, das hoffentlich möglichst viele Leute gerne lesen. Aber es geht natürlich nicht nur um Unterhaltung, sondern auch um ganz fundamentale Fragen. Was ist Freiheit? Beginnen wir, unsere Freiheit zu verlieren, weil wir sie zu sehr verteidigen? Und was ist heute noch Wirklichkeit, wenn Geheimdienste versuchen, das Paradies zu simulieren? Natürlich habe ich den Anspruch, dass der Leser über solche Fragen nachdenkt. Aber damit er das tut, soll er auch Spaß am Lesen haben. Das ist der Spagat, die Balance, die man immer wieder neu finden muss.

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