"Der Emissionshandel hat versagt"

Jonas Rest über das Scheitern der von Lobbyarbeit und staatlichen Interessen bestimmten markbasierten Klimapolitik

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Wie passt das eigentlich zusammen? Seit 2008 haben die westlichen Staaten ihre Forschungsförderung für erneuerbare Energie deutlich erhöht. Selbst Ölkonzerne wie Shell oder BP bemühen sich, auf diesem Zukunftsmarkt vertreten zu sein. Überall ist die Rede von Energieeffizienz und Politiker aller Länder betonen, der Klimawandel sei eine ökonomische Chance für Wachstum und Beschäftigung. Gleichzeitig scheitern ausnahmslos und überall alle Bemühungen Ausstoß von Kohlendioxid zu begrenzen. Jonas Rest hat in seinem gerade erschienenen Buch "Grüner Kapitalismus?" nachgezeichnet, welche Interessen und Strukturen einem Umsteuern entgegen stehen. "Die Verhinderung der Energiewende" heißt es im Untertitel. Wie sind die Aussichten für einen "Green New Deal"? Welche Rolle spielt Deutschland im internationalen Tauziehen um Emissionsrechte und die Vorherrschaft im Feld "kohlenstoffarmer Technologien"?

Im November wird im südafrikanischen Durban die nächste Konferenz der Vereinten Nationen zum Klimawandel stattfinden. Sie sind einer der Kritiker, für die die internationale Klimapolitik bisher fast nichts erreicht hat.

Jonas Rest: Die bisherige Klimapolitik hat versagt. Im letzten Jahrzehnt sind alle Ziele verfehlt worden, die Emission von Kohlendioxid zu verringern. Unter dem Kyoto-Protokoll sind sie zwischen 1990 und 2008 um 38 Prozent angestiegen – und zwar nach der Jahrtausendewende schneller als zuvor. Kohlendioxid-Ausstoß und Wirtschaftswachstum werden nicht vor einander entkoppelt, sondern der CO2-Ausstoß steigt sogar schneller als das Wirtschaftswachstum, auch in Deutschland. Die Staatschefs haben sich zwar beim letzten Klimagipfel in Cancun zum ersten Mal darauf geeinigt, die Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzen zu wollen. Aber dass das gelingt, ist mittlerweile äußerst unwahrscheinlich. Die Internationale Energieagentur nennt das 2-Grad-Ziel nur noch "eine nette Utopie". Und selbst wenn dieses Ziel doch noch erreicht werden sollte, wird es mehr extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen und Stürme geben. Hunderte Millionen von Menschen werden unter Wasserknappheit leiden. Das "2-Grad-Ziel" ist keine Garantie, auf der sicheren Seite zu sein. Im Gegenteil: Neuere Studien lassen befürchten, dass selbst bei einer Erwärmung von nur zwei Grad ein Punkt erreicht werden könnte, bei dem sich der Klimawandel unkontrollierbar verstärken könnte.

Die zwischenstaatliche Klimapolitik scheitert offensichtlich. Warum?

Jonas Rest: Zunächst liegt das daran, dass sich die Staaten unzureichende Reduktionsziele setzten, um ihre emissionsintensiven Industrien in der globalen Standortkonkurrenz zu schützen. Dazu kommt, dass der internationale Klimaschutz als Markt gestaltet wurde: Staaten und Unternehmen handeln mit CO2-Zertifikaten, um die kurzfristig kostengünstigsten Reduktionsmöglichkeiten zu nutzen.

Die Logik des Emissionshandels lautet: "Weniger Emission, egal wie!"

Jonas Rest: Genau. Das ist die denkbar ineffektivste Möglichkeit, die notwendige technologische Umwälzung zu erreichen, weil die kostengünstigsten Änderungen fast immer marginale Änderungen am Produktionsprozess sind; es werden fast ausschließlich sogenannte End-of-Pipe-Technologien angewandt. Notwendig wäre die Entwicklung neuer Technologien und Produkte. Es ist zweifelhaft, ob die Schaffung der CO2-Märkte überhaupt zu irgendwelchen positiven Veränderungen geführt hat. Im Europäischen Emissionshandel wurden Unternehmen immer so großzügig mit Verschmutzungsrechten ausgestattet, dass der CO2-Preis verschwindend gering geblieben ist. Auf Unternehmensentscheidungen hatte er nahezu keinen Einfluss. Das war natürlich kein Zufall, sondern das Ergebnis der Lobbyarbeit der Industrie und der staatlichen Interessen, ihre heimischen Industrien zu schützen. Die Zertifikate müssten zum Zehnfachen ihres jetzigen Preises gehandelt werden, um überhaupt einen Steuerungseffekt zu entfachen. Und selbst dann ist es unklar, ob dies klimafreundlichere Investitionen bewirken würde, da der CO2-Preis immer nur ein Preisanreiz von vielen bleibt. Wenn beispielsweise die Gaspreise steigen, werden Energiekonzerne trotzdem nicht in emissionsärmere Gaskraftwerke investieren, sondern weiter auf Kohlekraft setzen.

Aber die Vereinigten Staaten, Europa und besonders China bemühen sich doch darum, die erneuerbaren Energien auszubauen und geben dafür eine Menge Geld aus.

Jonas Rest: Ja, und die Bedeutung der Erneuerbaren wird zunehmen. Aber dabei geht es den Staaten vor allem darum, im Zeitalter knapper werdender fossiler Brennstoffe die Abhängigkeit von Energieimporten zu senken und die nationale Versorgung zu sichern. Der Klimaschutz ist zweitrangig – was man unter anderem daran erkennen kann, dass alle drei Mächte weiterhin Kohle als vergleichsweise billige Energiequelle fördern. Kohle ist in China und den USA in großen Mengen vorhanden. Andererseits gibt es im Bereich der Erneuerbaren und kohlenstoffarmen Technologien natürlich große Marktchancen. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium hat eine Exportinitiative Erneuerbare Energien gestartet. China versucht, entsprechende Technik nach Afrika zu verkaufen. Aber gleichzeitig werden die emissionsintensiven Branchen weiter gefördert. Das globale Rennen um die Marktführerschaft im Bereich Greentech führt nicht dazu, dass die Ökonomien umgestaltet werden: Man versucht lediglich, einen neuen Bereich zu erobern, ohne die alten emissionsintensiven Märkte aufzugeben.

Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands unter der "Klimakanzlerin" Merkel als Vorkämpferin gegen die Klimawandel?

Jonas Rest: Das hat mit der Realität nichts zu tun. Auch die deutsche Regierung setzt sich für den Klimaschutz nur so lange ein, wie es die eigene Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet. Weil gerade emissionsintensive Industrien für den deutschen Export von Bedeutung sind, hat sich Deutschland immer wieder als Klimaschutz-Bremser hervorgetan. Es war die Merkel-Regierung, die in der EU durchgesetzt hat, dass die energieintensiven Industrien auch bis 2020 in großem Umfang mit kostenfreien Emissionszertifikaten ausgestattet werden. 2007 verteidigte die Bundesregierung die deutsche Automobilindustrie erfolgreich gegen härtere europäische Umweltauflagen. Von solchen strikteren Regelungen hätten nämlich andere Staaten wie Frankreich profitiert, deren Automobilhersteller nicht auf besonders CO2-intensive Luxusmodelle spezialisiert sind.

"Ohne eine Revolution der Energieerzeugung haben wir keine Chance"

Welche Maßnahmen wären denn nötig?

Jonas Rest: Die bisherigen Instrumente taugen jedenfalls nicht dazu, eine Klimakatastrophe zu verhindern. Nötig wären eine Abkehr von der marktbasierten Klimapolitik, hin zu staatlichen Vorgaben und Planung. Entscheidend ist die Energieerzeugung, weil fossile Energieträger für 84 Prozent des Kohlenstoff–Ausstoßes verantwortlich sind. Ohne eine Revolution der Energieerzeugung haben wir keine Chance! Das bedeutet: eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien möglichst schnell. Technisch wäre das längst möglich. Die Kohlenstoffspeicherung (Carbon Dioxide Capture and Storage CCS) nutzt dagegen nicht viel: Selbst Befürworter von CCS geben zu, dass die Anlagen frühestens 2020 in Betrieb gehen können – wenn überhaupt. Das Bundesumweltministerium weist selbst darauf hin, dass CCS für den deutschen Klimaschutz zu spät kommt.

Je schärfer die ökologische und ökonomische Krise wird, desto mehr ist die Rede von einem Green New Deal. Durch die Umstellung auf "Nachhaltigkeit" sollen Wirtschaftswachstum und neue Stellen möglich werden. Dass das prinzipiell möglich wäre, bezweifeln Sie nicht – Sie glauben nur nicht, dass es Anzeichen dafür gibt, dass das passieren wird.

Jonas Rest: Natürlich entsteht auch Wachstum in den sogenannten grünen Branchen. Aber ein grüner Kapitalismus würde zugleich bedeuten, dass die CO2-intensiven Industrien absterben – und zwar in einem relativ kurzen Zeitraum. Danach sieht es bislang überhaupt nicht aus. Die fossilen Industrien werden einer grünen Umwälzung des Kapitalismus auch künftig entgegenstehen. Damit bezeichne ich alle Branchen, die fossile Brennstoffe produzieren oder deren Produkte große Mengen fossiler Energie benötigen – also Öl, Erdgas, die Automobilindustrie, Luftfahrt inklusive Rüstung. Zusammengenommen machen diese fossilen Industrien fast ein Drittel der gesamten Börsenkapitalisierung weltweit aus. Für diese Industrien bedeutet der Wandel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft eine Bedrohung ihres Geschäftsmodells, da er ihre technologischen Kernkompetenzen in Frage stellt. BP ist etwa ein Marktführer in der Tiefsee-Ölförderung, aber nicht in der Produktion von Solarzellen – und es gibt keinen Grund, wieso BP in dem Bereich der Erneuerbaren jemals Technologieführer werden sollte.

Aber ist diese Einschätzung noch aktuell? Heute bieten alle Autohersteller Wagen mit Elektroantrieb oder einem Benzinverbrauch an, der vor wenigen Jahren noch als unmöglich galt. Banken und Energieunternehmen propagieren mit DESERTEC eine gigantische Solarstrom-Infrastruktur zwischen Afrika und Europa. Sogar BP nennt sich seit einiger Zeit "Beyond Petrol" statt British Petroleum". Sind das denn keine Anzeichen für einen "Grünen Kapitalismus"?

Jonas Rest: BP hat sich zwar umbenannt, ist aber im Marktsegment der Erneuerbaren nahezu komplett gescheitert. Inzwischen konzentriert sich der Konzern wieder fast ausschließlich auf sein fossiles Kerngeschäft. Ähnlich sieht es fast überall aus. Die deutschen Autohersteller beispielsweise sind seit langer Zeit Meister darin, in Studien Autos mit extrem niedrigem Verbrauch zu bauen und ansonsten ihre schweren Spritfresser weiter zu verkaufen. Während sie bei diesen Luxusmodellen Marktführer bleiben, sind ihnen asiatische Hersteller in der Elektromobilität weit voraus. Das Problem ist, dass es sich bei den grünen Initiativen der fossilen Konzerne fast immer um einzelne Projekte handelt, während das alte Geschäftsmodell ohne Rücksicht auf den Klimaschutz weiterbetrieben wird.

Was ist mit der sogenannten grünen Industrie? Wird diese Kapitalfraktion nicht immer durchsetzungsfähiger?

Jonas Rest: Es gibt natürlich Unternehmen, die vom Klimaschutz profitieren können, aber ihnen fehlt es an Einfluss. Die grünen Industrien sind bislang vor allem mittelständisch geprägt und zersplittert, während die fossile Industrie eine hohe Marktkonzentration aufweist. Es sind wenige starke Unternehmen, was es ihnen erleichtert, sich politisch durchzusetzen. Hinzu kommt, dass sogenannte grüne Produkte auch von Mischkonzernen hergestellt werden, die zugleich daran interessiert sind, ihre fossilen Absatzmärkte beizubehalten. Sie haben dementsprechend kein Interesse an strikterem Klimaschutz.

Angesichts der bisherigen klimapolitischen Entwicklung stimmen einen die Zukunftsaussichten eher pessimistisch – geht das Ihnen eigentlich auch so?

Jonas Rest: Schon. Andererseits zeigen Beispiele wie der Ausstieg aus der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke, dass gesellschaftlicher Druck Veränderungen erreichen kann, die vorher nicht möglich schienen. Um auf den Klimawandel angemessen zu reagieren, wäre allerdings eine viel größere Mobilisierung und Organisierung nötig! Umso fataler ist es, dass sich auch die meisten Nichtregierungsorganisationen inzwischen mit der marktbasierten Klimapolitik arrangiert haben.

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