Indien ist die Apotheke des armen Mannes...

...solange die Pharmalobby dies zulässt: Das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und Indien gefährdet den Zugang zu billigen Medikamenten

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Durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien geraten indische Generikaproduzenten in Konflikt mit der westlichen Pharmalobby. Viele Hilfsorganisationen befürchten, dass die Versorgung der Ärmsten mit billigen Aids-Medikamenten immer schwieriger werden könnte.

Indien ist die Apotheke des armen Mannes. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Land immer mehr zu einem der wichtigsten Produzenten für günstige Medikamente entwickelt. Die indischen Generikaproduzenten haben sich dabei zu einem der wichtigsten Player in diesem milliardenschweren Markt gemausert. Gerade die Produktion von AIDS-Medikamenten ist für das Land von besonderer Bedeutung. Hat Indien doch eine der höchsten Zuwachsraten bei HIV-Neuinfektionen.

Ein Problem, dem die Regierung in Delhi einzig mit günstigen Generika begegnen kann. Denn trotz aller Unkenrufe in der deutschen Presse über die aus konservativer Sicht viel zu schnell wachsenden Mittelschicht auf dem Subkontinent, lebt der größte Teil der indischen Bevölkerung immer noch mit etwa zwei Dollar am Tag und ist damit vielen Krankheiten hilflos ausgeliefert.

Für Europa alles kein Problem

Für die Europäische Union scheint dieser Umstand allerdings in erster Linie ein indisches Problem zu sein. Denn bei den Verhandlungen zwischen der EU und Indien versuchte Brüssel deutlich schärfere Patentrechte für Medikamente durchzusetzen als dies beispielsweise von der Welthandelsorganisation (WTO) gefordert wird, wie Gespräche mit Personen ergaben, die mit den Verhandlungen vertraut sind.

So ist beispielsweise im Abkommen für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) klar geregelt, dass die Schutzdauer für Patente 20 Jahre umfassen soll. Die EU allerdings wollte eine Schutzdauer von bis zu 40 Jahren durchsetzen.

Für Generikaproduzenten hätte dies bedeutet, dass sie erst nach Ablauf dieser Frist mit der Produktion wirkungsgleicher, jedoch deutlich billigerer Medikamente, beginnen könnten. Und für die auf billige Medikamente angewiesene Bevölkerung hätte dies bedeutet, sie müsste entweder deutlich tiefer in die Tasche greifen oder eben auf eine medizinische Versorgung verzichten.

Neben diesen Forderungen versuchte die EU jedoch noch deutlich weiter zu gehen. Denn darüber hinaus wollte sie auch die Datengrundlage für die Zulassung neuer Medikamente schützen. Bei jeder Neuentwicklung von Medikamenten müssen zunächst einmal ausgiebige Test an Probanden durchgeführt werden. Auf der Grundlage der dabei ermittelten Wirksamkeit des neuen Medikamentes, werden dann entsprechende Zulassungen durch die Behörden ausgesprochen.

Die EU forderte dafür eine sogenannte Datenexklusivität mit einer Schutzdauer von 10 Jahren. Das hätte bedeutet, dass die Entwickler von Generika sich nicht auf diese Daten berufen können und damit eigene Tests durchführen müssten. Neben den hohen Kosten für diese aufwendige Entwicklungsarbeit, würde darüber hinaus die Produktion von günstigen Generikas weiter verzögert.

Hilfsorganisationen mobilisieren gegen das Abkommen

Der Leiter der Medikamentenkampagne der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Tido von Schoen-Angerer sagt ihm Gespräch mit Telepolis:

Von Anfang an drohte das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten zu behindern - und noch immer enthält es gefährliche Bestimmungen.

Nur durch eine enorme Mobilisierung von Aktivisten, die sich entschieden gegen die Bedrohung ihres Lebens wehrten, konnten Bestimmungen wie die Datenexklusivität abgewendet werden. Es ist unfassbar, wie lange Regelungen, die offensichtlich die globale Gesundheit bedrohen, Gegenstand von Verhandlungen sind.

Massive Einflussnahme von Lobbyorganisationen

Derzeit scheinen beide Forderungen der EU vom Tisch zu sein. Da die Verhandlungen jedoch in erster Linie hinter verschlossenen Türen stattfinden, ist nicht klar, welche Ergebnisse letztendlich herauskommen werden.

So meldete die Initiative LobbyControl bereits 2007, dass der Dachverband BusinessEurope bei den EU-Kommissaren offene Türen einrannte. Eine Studie von 2010 von der mit LobbyControl zusammenarbeitenden Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) legt den Schluss nahe, dass die Verhandlungen mehr von den Lobbyisten geführt werden, als von den Kommissaren selbst.

Erwähnt wird ein interner Brief, in dem die Zusammenarbeit zwischen den Kommissaren und dem europäischen Industrieverband BusinessEurope als durchaus erfreulich beschrieben wird. Ein Mitarbeiter von BusinessEurope sagte, so der Bericht: "Wir können die Kommission als unser Sprachrohr in der FTA benutzen." Momentan kann der Bericht im Internet nicht heruntergeladen werden, da die Seite gehackt wurde und daher offline gestellt ist.

Währenddessen werden immer noch die letzten Details für das Abkommen verhjandelt. Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament hat bereits Widerstand angekündigt. So gebe es ernsthafte Bedenken gegenüber dem geplanten Abkommen. Ob sich dieser parlamentarische Widerstand jedoch gegen die Interessen der Lobbyverbände durchsetzten kann, wird sich in den kommenden Wochen noch zeigen müssen.