Hoffnung auf Schuldenerlass

ALG II und die private Krankenversicherung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wer von der Selbständigkeit in die Arbeitslosigkeit gerät, der sitzt nach kurzer Zeit auf einem Berg Schulden durch die Beiträge zur privaten Krankenversicherung. Der Schuldenerlass, der derzeit kommuniziert wird, ist aber keine Lösung, die von allen Seiten präferiert wird.

Ab in die Schuldenfalle

Ein gern genanntes "Argument" beim Thema Arbeitslosigkeit lautet, der Arbeitssuchende könne sich ja auch selbständig machen, das sei verhältnismäßig einfach möglich und bedeute in vielen Bereichen nicht einmal, dass ein Startkapital vorhanden sein muss. Diese naive Ansicht hinsichtlich der Erfolgschancen der Selbständigkeit wurde oft auch von den Arbeitsagenturen oder Jobcentern vertreten, die bei Arbeitsangeboten den Arbeitssuchenden mit Überzeugungskraft und nicht zuletzt dem Damoklesschwert Sanktion die Selbständigkeit schmackhaft machten. Ob Callcenteragent von zuhause aus, Versicherungsmitarbeiter oder auch Tätigkeiten im IT-Bereich - die Selbständigkeit schien risikolos zu sein bzw. wurde so dargestellt, und der erleichterte Arbeitssuchende sah sich oft, da im Vorgriff nicht genug informiert worden war, mit der Tatsache konfrontiert, dass als Erstes ein Wechsel der Krankenversicherung anstand, so er keine freiwillige Mitgliedschaft bei der GKV in Betracht zog. Im Falle eines Scheiterns oder Problemen konnte zurück in die GKV gewechselt werden, was aber mit der Gesundeheitsreform 2009 untersagt wurde. So blieb nur: Einmal PKV, immer PKV (so nicht eine unselbständige Arbeit aufgenommen wird).

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Foto: Daniel Bahr MdB / Frank Ossenbrink. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Erwies sich die Selbständigkeit dann als Flop, so gab es für den ehemals Selbständigen keine Möglichkeit, in die GKV zurückzukehren. Da jedoch auch für die PKV eine Versicherungspflicht bestand, häuften sich für ihn unweigerlich Schulden an, da die Beiträge zur PKV von den Sozialleistungsträgern nur in Höhe des sogenannten Basistarifes erstattet wurden. Dieser Basistarif liegt unterhalb der tatsächlichen Beitragsleistung, weshalb der Arbeitssuchende entweder durch einen Nebenverdienst durch Kredite bei Freunden, Verwandten, Banken oder durch die Verwendung von Geldern aus dem Regelsatz, die dann an anderer Stelle fehlten, diesen Unterschiedsbetrag decken musste - oder aber innerhalb kürzester Zeit auf einem Schuldenberg saß.

Durch zunehmend prekäre Arbeitssituationen für Selbständige hat sich die Zahl derjenigen erhöht, die trotz einer Selbständigkeit ergänzende ALG II-Leistungen erhielten, erhöht. Im Februar 2011 gab es knapp 118.000 Selbständige, die zusätzliches ALG II beantragten. Etwa 85.000 erzielen ein monatliches Erwerbseinkommen von bis zu 400 Euro, 25.000 beziehen bis zu 800 Euro, die restlichen 8.000 haben ein Einkommen, das monatlich 800 Euro übersteigt. Ein Aspekt, der bereits zu der Logik führte, dass diese Selbständigen dann eben ihre Selbständigkeit aufgeben sollten - was im Widerspruch dazu steht, dass der Arbeitssuchende alle Möglichkeiten nutzen soll, seine Bedürftigkeit zu reduzieren und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Schuldenerlass mit Tücken

Derzeit heißt es, dass der Verband der Privaten Krankenversicherer (PKV) zusammen mit dem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr über einen Schuldenerlass für Betroffene verhandelt. Der Verband selbst hält sich mit Bestätigungen solcher Verhandlungen zurück, doch bereits jetzt ist die Debatte darüber eine Debatte, die hitzig geführt wird.

Die PKV, so der Vorschlag, über den vermeintlich diskutiert wird, beinhaltet einen Erlass der aufgehäuften Beitragsschulden, was positiv klingt. Doch der Erlass ist mit Bedingungen verbunden, die für die PKV letztendlich ein Gewinn wären. So würden die Beiträge (die seit Januar 2011 immerhin in voller Höhe von den Sozialleistungsträgern übernommen werden müssen) nach dem Schuldenerlass direkt an die Versicherungen gezahlt werden. Sonst, so heißt es, drohe eine Zweckentfremdung der Mittel durch die Leistungsempfänger. Ein Argument, das stets als Begründung für Direktzahlungen an wen auch immer genutzt wird, und das zwar schlüssig ist, die Autonomie der Betroffenen jedoch weiter herabsetzt. Für die PKV, die bisher anders als die GKV nicht auf die Hilfe der Ämter hoffen konnte, wenn es darum ging, Schulden einzutreiben, Ratenzahlungsanträge zu beantworten usw., würden damit endlich die Kosten entfallen, die säumige Schuldner mit sich bringen.

Auch datenschutzrechtlich wäre die Neuregelung problematisch - ALG II-Empfänger, die ihren Leistungsbezug bisher der PKV gegenüber nicht offenbart haben, hätten diese Möglichkeit nicht mehr. Eine Aufgabe des Datenschutzes in dieser Hinsicht stünde dem Recht auf Leistungsbezug gegenüber. Kritiker sehen hier bereits den Weg zur Stigmatisierung geebnet, wobei dieses Argument nicht ganz schlüssig ist, da Mitglieder der GKV, deren Beiträge von den Trägern direkt gezahlt werden, schon hier von einer Stigmatisierung sprechen könnten, was einer Bevorzugung der PKV-Mitglieder gleichkommt.

Die Frage, was mit jenen geschieht, die sich Geld von Freunden und Verwandten geliehen haben, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, bleibt bisher ebenfalls offen. Die Solidarität zwischen den einzelnen ALG II-Empfängergruppen dürfte erneut gespalten werden, wenn die, die Schuldenberge angehäuft haben, von diesen "freigesprochen" werden, während andere, die es mit vereinten Kräften schafften, keine Schulden zu machen, sich hierfür bestraft fühlen dürften. Andererseits entstehen solche Gedanken auch, wenn Menschen Privatinsolvenz anmelden usw. - die Begünstigung der einen Gruppe führt stets auch zu einer Benachteiligung einer anderen.

Doch eine Lösung wurde auch von den Kritikern bisher nicht vorgeschlagen - zwar plädiert man dafür, die GKV für ehemalige PKV-Mitglieder, die in finanzieller Notlage sind, zu öffnen, was aber mit den angefallenen Schulden, egal ob bei PKV oder Verwandten, Banken, Freunden oder wem auch immer, geschehen soll, bleibt in diesen Diskussionen offen. Selbst wenn die GKV wieder für die ehemaligen Selbständigen geöffnet wird, sind die Schulden weiterhin vorhanden und müssten abgetragen werden. Doch wovon? Während die Kritiker sich wahlweise auf die datenschutz- oder die gleichbehandlungsrechtlichen Argumente stürzen, hat niemand eine Lösung parat, die all diesen Aspekten gerecht wird.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.