"Sie werden es nicht wagen, irgendwelche Verträge zu ändern"

Der Streit um Libyens Schätze: Italien hat bereits Verträge mit dem libyschen Übergangsrat unterzeichnet. Alle anderen stehen bereit, um sich ihren Anteil zu sichern

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Die libysche Bevölkerung und der Rest der Welt plagt derzeit noch die große Frage, wo der ehemalige Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi steckt. Unterdessen sind die Führer der Anti-Gaddafi-Allianz schon deutlich weiter. Hinter den Fassaden haben bereits die ersten Verhandlungen begonnen, wie jetzt die reichen Ölvorkommen aufgeteilt werden sollen.

Ölplattform Bouri DP4 des italienischen Konzerns ENI. Bild: Cipiota/CC-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported

Nicht nur zwischen den libyschen Stämmen geht dabei die Sorge um, einen zu kleinen Anteil an der Beute zu erhalten. Auch die Alliierten der Libyschen Nationalen Befreiungsarmee, Frankreich, Großbritannien und Italien wollen sich ihren Anteil an den reichlich vorhandenen Ölvorkommen sichern. Nie weit weg, wenn es was zu holen gibt, folgen China und Deutschland. Denn auch wenn sich diese beiden Staaten während der Kämpfe sehr zurückhaltend verhalten haben und sich insbesondere die Enthaltung der Deutschen im UN-Sicherheitsrat in der jetzigen Situation als äußerst kontraproduktiv erwiesen hat, wollen beiden selbstverständlich nicht leer ausgehen.

Insbesondere Italien scheint bei seinen Bemühungen um einen Zugang zu den libyschen Ölvorkommen einen deutlichen Schritt vorangekommen zu sein. So ließ der in Rom ansässige Konzern Eni am 29. August verlauten, er habe mit dem libyschen Übergangsrat eine Vereinbarung über eine "schnelle und umfassende" Wiederaufnahme der Aktivitäten des Konzerns in Libyen unterzeichnen können.

Demzufolge verpflichtet sich das Unternehmen, den Engpass bei der Versorgung des Landes mit Ölprodukten, kurzfristig mit entsprechenden Lieferungen zu lindern. Im Gegenzug dazu verpflichtet sich der Übergangsrat in Bengasi, die zwischen dem libyschen Mellitha und dem sizilianischen Gela verlaufende Greenstream-Pipeline wieder in Gang zu setzen. Damit würden Transportkapazitäten von acht Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr wieder in Betrieb gesetzt. Italien ist ganz offensichtlich bereits im Nach-Gaddafi-Libyen angekommen und kann damit nahtlos an die ehemals fruchtbare Freundschaft zwischen Gaddafi und Berlusconi anknüpfen.

Frankreich will seinen Anteil an der libyschen Kriegsbeute sichern

Auch Frankreich bringt sich in Stellung. So ließ der französische Präsident Nicolas Sarkozy verlauten, dass Frankreichs Platz an der Seite der Rebellen sei und dass die französischen Truppen ihre militärischen Aktionen fortsetzten würden, "so lange, wie unsere libyschen Freunde dies brauchen".

Neben der militärischen Unterstützung sorgt sich Paris jedoch auch um seinen Zugang zum libyschen Öl. Bereits für den 31. August hat der Präsident daher den Chef des libyschen Übergangsrates, Mahmud Dschibril, nach Paris eingeladen, um dort alle nötigen Details für einen entsprechenden Vertrag aushandeln zu können. Auf Wunsch des Präsidenten soll nach diesem Treffen baldmöglichst ein weiteres Treffen in Paris stattfinden.

Eingeladen dazu seien dann auch Vertreter der Arabischen Liga, der Afrikanischen Union, der Europäischen Union, der USA und allen anderen interessierten Ländern. Ganz offensichtlich sieht sich der französische Präsident als großer Organisator der libyschen Zukunft. Dass aufgrund dieser herausragenden Position des Präsidenten im Friedensprozess ein ebenfalls herausragender Anteil an den Ölvorkommen herausspringen soll, versteht sich von selbst.

China und Russland werden leer ausgehen

Für andere dagegen stellt sich der Ausgang des Krieges mehr und mehr als Problem dar. Nachdem sich China im UN-Sicherheitsrat gegen den Einsatz von NATO-Truppen in Libyen ausgesprochen hat, geht dort nun die Angst um, vom Rennen um das Öl und Gas ausgeschlossen zu werden. Guma El-Gamaty, ein Kontaktmann des libyschen Übergangsrates in London sagte:

Viele, viele Staaten waren sehr energisch und stark bei der Unterstützung des libyschen Volkes vom ersten Tag an. Andere dagegen waren sehr langsam - Länder, wie China oder Russland.

Yin Gang, Experte für die arabische Welt an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Peking reagierte gereizt:

Ich kann das in kurze Worte fassen: Sie werden es nicht wagen; sie werden es nicht wagen, irgendwelche Verträge zu ändern.

China bezieht derzeit etwa drei Prozent seines Öls aus dem nordafrikanischen Staat - keine besonders große Menge. Da das Land jedoch in den vergangenen Jahren einen ungeheuren Hunger nach Energie entwickelt hat, sind aber auch kleine Liefermengen durchaus von großer Bedeutung.

Aram Schegunts, Generaldirektor des Russisch-Libyschen-Wirtschaftsrates, sieht die Angelegenheit noch negativer als sein chinesischer Kollege. So sagte Schegunts gegenüber Reuters:

Wir haben Libyen komplett verloren. Unsere Unternehmen werden alles verlieren, weil die NATO sie davon abhalten wird, dort ihr Geschäft wieder aufzunehmen.

Deutschland hat trotz seiner Enthaltung im Sicherheitsrat gute Chancen

Einzig für Deutschland scheint noch eine Möglichkeit zu bestehen, wieder in das Geschäft mit dem libyschen Öl einsteigen zu können. Zwar hat sich Berlin einem militärischen Einsatz in Libyen verweigert, trotzdem ist Deutschland Mitglied der NATO und daher werden Frankreich und Großbritannien nicht umhin kommen, auch deutschen Unternehmen einen Zugang zur libyschen Wüste zu geben.

Nicht ohne Grund hat der deutsche Außenminister Guido Westerwelle daher ein Darlehen in Höhe von 100 Millionen Euro für die libyschen Rebellen angekündigt. Im Gegensatz dazu sollen deutsche Unternehmen vom Wiederaufbau profitieren. Bei der BASF-Tochter Wintershall ist diese Nachricht sicherlich auf große Freude gestoßen. Hat Wintershall in der Vergangenheit doch etwa zwei Milliarden Euro in Libyen investiert und war damit einer der größten Erdölproduzenten in dem Land während der Diktatur Gaddafis.