Herunter von den Bäumen!

Der Jurist Till Kreutzer fordert grundlegende Änderungen im Immaterialgüterrecht

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Doktorarbeiten erfuhren seit den Skandalen um Karl-Theodor von und zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin, Margarita Mathiopoulos, Georgios Chatzimarkakis, Peter Althusmann und anderen Politikern eine gewisse Rufschädigung. Dabei spielen nicht nur Plagiatsvorwürfe eine Rolle, sondern auch die Entdeckung, dass viele Arbeiten nur mäßig originelle Thesen vertreten und ihr Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt - vorsichtig formuliert - durchaus begrenzt ist. Doch es gibt auch ganz andere Dissertationen, die Denkbahnen aufbrechen, Gewohntes infrage stellen und neue Grundlagen für fachliche wie gesellschaftliche Diskussionen schaffen. Eine davon stammt vom Juristen Till Kreutzer. Er konstatiert darin, dass das bestehende Immaterialgüterrecht den heutigen technischen und ökonomischen Realitäten immer weniger gerecht wird und schlägt deshalb vor, das System in einen echten Urheberrechts- und einen Werkschutz aufzuteilen.

Herr Kreutzer - was sollte ihrer Vorstellung nach sinnvollerweise mit Urheberrechtsschutz und was mit einem neuen Investitionsschutz reguliert werden?

Till Kreutzer: Dahinter steht die Idee, die beiden Elemente des Urheberrechts deutlicher zu trennen als bislang. Das Urheberrecht schützt einerseits die persönlichen Interessen des Urhebers (durch das sogenannte Urheberpersönlichkeitsrecht) und andererseits die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers und der Rechteinhaber (durch die Verwertungsrechte). Beide Elemente sind nach dem deutschen Urheberrechtsansatz untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen einander somit.

Das bedeutet zum Beispiel, dass die Schutzdauer sowohl für die Urheberpersönlichkeitsrechte als auch die Verwertungsrechte erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers enden. Meines Erachtens sollte ein solch zwingender Gleichlauf beider Regelungselemente vermieden werden, da Persönlichkeits- und Verwertungsrechte unterschiedlichen Zwecken dienen und sich auf die betroffenen Interessen (z.B. der Nutzer und der Allgemeinheit) sehr unterschiedlich auswirken.

Dem dient der von mir entwickelte Regelungsansatz, in dem zwischen einem Urheberschutz (dem Schutz der persönlichen Interessen) und einem Werkschutz (dem Schutz des "Produkts" und den an diesem bestehenden wirtschaftlichen Interessen) differenziert wird.

Till Kreutzer. Foto: Dirk Haeger / re:publica 2011. Lizenz: CC BY 2.0.

Wie würde sich der Werkschutz vom Urheberrechtsschutz unterscheiden?

Till Kreutzer: Der Werkschutz wäre mehr eine Art Investitionsschutz als das bislang bei den vermögensrechtlichen Elementen des Urheberrechts der Fall wäre. Dahinter steht zunächst die Überlegung, dass das Urheberrecht grundsätzlich ein zweckgerichtetes Instrument sein sollte. Es sollte gleichermaßen die Entfaltung von Kreativität und die Investition in die Produktion kreativer Güter fördern.

Anders als diese utilitaristische Sicht, folgt das heutige Urheberrecht vorrangig naturrechtlichen Gedanken, die zumeist aus der Romantik und Aufklärung stammen. Ein modernes, utilitaristisches Urheberrecht sollte dagegen gerade bei den vermögensrechtlichen Aspekten ökonomische Erkenntnisse zur Grundlage haben. Der Regelungszweck liegt einerseits darin, dass es dem Urheber oder Verwerter Einnahmen aus der Nutzung des Werkes zugesteht. Andererseits muss auch das Verwertungsrecht so ausgestaltet werden, dass ein Ausgleich der hierdurch betroffenen Interessen gewährleistet wird (das ergibt sich aus der "Sozialbindung des Eigentums", die in Art. 14 Absatz 2 des Grundgesetzes geregelt ist).

Das geltende Urheberrecht ist jedoch meines Erachtens schon aufgrund seiner Grundannahmen nicht geeignet, einen solchen gerechten Ausgleich herzustellen. Ausgehend von der sog. Theorie des Geistigen Eigentums liegt der ganz wesentliche Fokus darin, dem Urheber (oder Verwerter) ein möglichst weit gehendes Recht zu verschaffen. Den einem solchen Schutz häufig entgegenstehenden Interessen der Nutzer und der Allgemeinheit wird nur durch die sog. Schrankenbestimmungen Ausdruck verliehen. Die Schrankenbestimmungen sind aber keine "Nutzerrechte" wie häufig irrtümlich angenommen wird (das geltende Urheberrecht enthält zum Beispiel kein "Recht auf Privatkopie"), sondern nur Ausnahmen von der Regel, dass der Urheber möglichst uneingeschränkt über sein Werk verfügen darf.

Die derzeitige Lage stellt sich wie folgt dar: Bei den Verwertungsrechten geht es zwar um ökonomische Interessen, sie sind jedoch nicht nach ökonomischen, sondern eher naturrechtlichen Erwägungen ausgestaltet. Würde man das Urheberrecht auf der Basis eines utilitaristischen Ansatzes unter Zugrundelegung ökonomischer Erwägungen ausgestalten, hätte dies ganz andere Ergebnisse zur Folge, als sich derzeit im Urheberrecht finden.

Monopolrechte, wie das Urheberrecht, die zum Teil mehr als 120 Jahre oder länger dauern (70 Jahre plus die verbleibende Lebenszeit des Urhebers), sind aus ökonomischer Sicht viel zu lang. Da das wirtschaftliche Auswertungsinteresse (nicht aber das kulturelle Interesse) an 99,9% aller Werke lange vorher erlischt, behindern derart lange Schutzfristen den Wettbewerb, neue Investitionen und Innovationen. Sie behindern zudem den kulturellen Austausch und erzeugen (als eines von vielen Beispielen) das Problem der "verwaisten Werke".

Stark vereinfacht ausgedrückt würde man bei einer wirtschaftlichen Betrachtung hinsichtlich der Schutzdauer für die Ausschließlichkeitsrechte insbesondere einbeziehen, wie lange es dauert, bis sich Investitionen amortisiert haben beziehungsweise wie lange überhaupt ein wirtschaftlicher Nutzen von Werken auf bestimmten Märkten besteht. Nach Ende der beispielsweise durchschnittlichen Amortisationsdauer und eines gegebenenfalls zu gewährenden "Innovatorenzuschlags" wandelt sich der ökonomische Vorteil in einen Nachteil um, weil das Produkt keinem Wettbewerb unterliegt und der Anreiz für den Produzenten/Kreativen, neue Investitionen (in wirtschaftlicher und kreativer Hinsicht) zu tätigen, schwindet.

Zu diesem Zeitpunkt sollten daher die monopolartigen Ausschließlichkeitsrechte enden und an deren Stelle sollten für eine gewisse Zeit wirtschaftliche Beteiligungsrechte an der kommerziellen Nutzung der Werke treten. Solche Beteiligungen hindern die Nachnutzung durch Dritte deutlich weniger als die Ausschließlichkeitsrechte, da hier die Notwendigkeit entfällt, mit großem Aufwand Lizenzen einzuholen (was gerade für die - in der Regel internationale - Nutzung über das Internet eine erhebliche Vereinfachung für die Konzeption und Umsetzung neuer Angebote bedeuten würde). Zudem können sie das Alimentationsinteresse der Urheber befriedigen und einen weiteren Anreiz bieten, die Erstinvestition zu tätigen.

Dies sollte zeigen, warum ich die Bezeichnung "Werkschutzrecht" für die vermögensrechtlichen Positionen des Urheberrechts in meinem Ansatz bevorzugt habe. Bei deren Ausgestaltung sollte vorrangig auf die vielfältigen Interessen am Produkt, am Werk, fokussiert werden, statt einseitig auf die Interessen des Urhebers oder Verwerters. Es sollte zudem deutlich geworden sein, dass das von mir skizzierte Werkschutzrecht mehr ist als nur ein Investitionsschutzrecht. Denn es geht in verschiedener Hinsicht deutlich über einen reinen Investitionsschutz hinaus und verbindet insoweit Elemente von Investitionsschutzrechten mit solchen des traditionellen Urheberrechts (z.B. durch den Schutz der Alimentationsinteressen des Urhebers als sozialem Element).

Gibt es Stimmen aus der Medienindustrie, die sich für Ihr Modell aussprechen?

Till Kreutzer: Nicht dass ich wüsste. Das Problem ist, dass über solche Dinge von wirtschaftlicher Seite bislang nur in den ausgetretenen Pfaden diskutiert und nachgedacht wird. Dass ein solcher Ansatz auch große Vorteile und erhebliches Potenzial für die Unterhaltungs-, Musik-, Verlags- und IT-Wirtschaft haben kann, wird bislang nicht erkannt. Vielmehr herrscht weithin die Befürchtung vor, jede Modifikation des Urheberrechts, die nicht in einer Erweiterung der bisher gewährleisteten Rechtspositionen und einer Verbesserung von deren Durchsetzbarkeit einhergeht, würde die Position der Urheber und Rechteinhaber schwächen und/oder "Piraterie" fördern. Das ist ebenso falsch wie die Annahme, das Konzept sollte derartiges bewirken. Es ist vielmehr ein Denkansatz, der auch in Zukunft den Erhalt eines effizienten Regelungssystems für Kreativgüter gewährleisten soll.

Gibt es Reaktionen aus den politischen Parteien?

Till Kreutzer: Bei der Vorstellung des Abschlussberichts des Think Tanks Internet & Gesellschaft Collaboratory, der sich in seiner dritten Initiative mit der Frage eines Urheberrecht für die Informationsgesellschaft beschäftigt hat, waren auch Vertreter einiger Parteien zugegen. In diesem Abschlussbericht (PDF) wurden einige dieser Gedanken als "Leitlinien für ein Urheberrecht für die digitale Welt in Form eines Regelungssystems für kreative informationelle Güter" vorgestellt. Die Reaktionen der anwesenden Politiker waren durchweg positiv.

Müsste für solch eine Regelung die Berner Übereinkunft geändert werden? Und betrifft sie andere Internationale Verträge oder EU-Richtlinien?

Till Kreutzer: Ja, für diese Umwälzungen müssten sowohl internationale als auch europäische Regelungen zum Urheberrecht geändert werden. Das zieht natürlich stets die Frage der politischen Durchsetzbarkeit nach sich. Ich bin da keineswegs realitätsfern, mir ist völlig klar, dass das sehr schwierig ist. Allerdings sollten solche Hinderungsgründe weder aus wissenschaftlicher noch aus rechtspolitischer Sicht ein Hinderungsgrund dafür sein, über solche Dinge nachzudenken und hierüber zu forschen. Hätten die Menschen sich niemals getraut, visionäre und zum jeweiligen Zeitpunkt schwer umzusetzende Ideen zu entwickeln und zu äußern, würden wir heute noch denken, die Erde wäre eine Scheibe. Noch wahrscheinlicher ist, dass wir noch immer als Jäger und Sammler auf Bäumen leben würden.

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