Das Steak aus In-Vitro-Fleisch

Noch ist künstliches Fleisch teuer und unattraktiv, aber Fastfood hat den Weg zur Akzeptanz bereits geebnet

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Schon länger wird daran geforscht, wie man verzehrbares Fleisch herstellen könnte, ohne Tiere aufziehen, halten und schlachten zu müssen. Künstliches Fleisch, das genau so schmeckt, wie wir das gewohnt sind, wenn es von getöteten Tieren stammt, würde vielleicht die Vegetarier und Veganer in Probleme stürzen, den Fleischessern, die nicht böse sein wollen, aber eine ethisch und vielleicht auch ökologisch vertretbare Alternative bieten, weil viel weniger Land und landwirtschaftliche Produkte für die Fleischerzeugung ge- und verbraucht würden. Statt immer riesiger werdende Massentierhaltungen oder Tierfabriken würden also Fabriken entstehen, in denen Fleisch in allen bekannten Varianten sowie von allen Tieren, Walen, Affen, Bären oder auch Menschen (?) für Kannibalen und vielleicht auch mit neuem Geschmack und weniger gesundheitsgefährdend, also mit weniger Cholesterin, Stresshormonen oder anderen schädlichen Substanzen, am Fließband produziert wird.

Die Tierschutzorganisation PETA hat einen Preis in Höhe von einer Million US-Dollar für denjenigen Wissenschaftler ausgeschrieben, der bis 30. Juni 2012 In-Vitro-Fleisch herstellen kann, das sich nicht vom Fleisch eines Hähnchens unterscheidet und in großen Mengen verkauft werden kann. Bis dahin wird dies niemand geschafft haben, ist zu vermuten. Gleichwohl werden die Menschen auf künstliches Fleisch setzen müssen, wenn sie das Raumschiff erhalten und weiter mehr und mehr Fleisch essen wollen.

Prinzipiell ließe sich Fleisch oder zumindest etwas Ähnliches im Labor am einfachsten mittels embryonalen oder adulten Stammzellen erzeugen, die Zellen für Muskelgewebe bilden, für manche Fleischarten sind auch Fett- und Bindegewebe notwendig. Zudem müsste das künstliche Fleisch durchblutet sein, während die Muskelzellen durch Reize stimuliert werden müssen, damit die Muskelzellen sich vermehren und durch Bewegung neben den Inhalten der Nährlösung vermutlich auch Geschmack und Konsistenz. Allerdings sollte künstliches Fleisch wesentlich einfacher herzustellen sein als Organe, die doch meist erheblich komplexer sind, was aber nicht ausschließen würde, dass man auch Gewebe aus Zellen von Innereien züchten könnte, um dann auch nicht auf Leber, Herz, Nieren oder Kutteln verzichten zu müssen. Die Verlockung, Muskelfleisch aus embryonalen Stammzellen wachsen zu lassen, ist, dass theoretisch eine einzige Kultur den Bedarf der gesamten Menschheit produzieren könnte, wenn es denn gelänge, dass sich 80-90 Prozent der Stammzellen auch wirklich zu Muskelzellen ausdifferenzieren. Das ist bei adulten Stammzellen einfacher, weil die auf die Erzeugung bestimmter Zelltypen vorprogrammiert sind, aber hier besteht das Problem darin, das mit embryonalen Stammzellen mögliche Wachstum zu reproduzieren.

Bei Muskelfleisch könnte nicht nur die Form, sondern die Dicke ein Problem darstellen. Das stellte sich vor zwei Jahren heraus, als niederländische Wissenschaftler um den Physiologen Mark Post von der Maastricht-Universität es erstmals geschafft haben, künstliches oder, klingt allerdings noch weniger lecker, "In-Vitro-Fleisch", also zumindest Muskelzellen und mit diesen Muskelfasern aus Myoblasten von Schweinen zu erzeugen. Myoblasten sind Vorläuferzellen von Skelettmuskelzellen. Die Muskelfasern waren gerade einmal 2,3 Zentimeter lang und 1 cm dick, man müsste sie also zusammenkleben wie das Fleisch oder die Wurst, die auch jetzt schon den Verbrauchern untergeschoben werden.

Eine große Schwäche hatte das erste künstliche Fleisch: es war aufgrund fehlender Durchblutung relativ dünn, für einen Braten reichte es bei weitem nicht, zudem hatte es eine wenig attraktive gräuliche Farbe und wuchs auch noch in einer Nährlösung aus dem Blut von Föten, wodurch natürlich weiterhin Leben verbraucht wurde. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung von Rinder- oder Pferdeserum. Davon abgesehen war das Fleisch wässrig und labbrig, also keineswegs das, was man sich als Schnitzel, Lende, Steak oder Kotelett so vorstellt - und nicht nur vorstellt, denn echtes Fleisch von einst lebendigen Tieren ist auch beim Beißen an seiner Konsistenz und Struktur zu erkennen (wenn auch oft nicht mehr wirklich, weil es zu wenig abgehangen und von schlechter Qualität ist). Probiert hatten die Wissenschaftler das von ihnen erzeugte Fleisch allerdings noch nicht. Und eigentlich noch niemand, denn es ist verboten, Gewebe zu essen, das in einem Labor mit einer Nährlösung aus tierischen Produkten erzeugt wurde. Es könnte also alles in allem eine Phantomdiskussion sein, weil niemand weiß, wie das künstliche, wenn auch aus "echten" tierischen Zellen gewonnene Fleisch wirklich schmeckt.

Bei Fastfood kommt man freilich wahrscheinlich dem künstlichen Fleisch, wie es zunächst sein wird, schon sehr nahe. Burger aus Hackfleisch etwa haben kaum noch etwas mit dem "natürlichen" Geschmack und der Konsistenz von Muskelfleisch zu tun. Der Geschmack selbst ist wohl mit der Flut an Fastfood und schlechtem Fleisch sowieso kein Problem mehr, hier kann man jetzt schon viel künstlich machen. Auch der Ekel vor künstlichem Fleisch dürfte sich in Maßen halten, wenn der Geschmack stimmt und das Vertrauen in die Hersteller vorhanden ist. Es könnte schließlich auch zu einem ethischen und Feinschmeckertrend werden, künstliches Fleisch zu verzehren, dessen Herstellung die Natur nicht belastet und neue Geschmacksvarianten bietet. Kein Wunder ist jedenfalls, dass die ersten In-Vitro-Fleischprodukte Produkte wie Burger oder Würste sein werden, also weder Form noch Konsistenz voraussetzen, sondern auf einem schon existierenden Fleischäquivalent für Plastik aufbauen. Mittlerweile haben die niederländischen Wissenschaftler Möglichkeiten gefunden, eine Nährlösung für das künstliche Muskelfleisch aus genveränderten Pflanzen zu gewinnen, die tierische Proteine produzieren. Auch mit Algen ließe sich das machen, doch die Verfahren sind noch sehr aufwändig und vor allem teuer.

Post sagt, es bestehe nun die Aussicht, eine Wurst aus künstlichen Fleisch, gewonnen aus Stammzellen von Schweinen, innerhalb eines halben Jahrs zu produzieren, einen Burger aus künstlichem Rinderfleisch könne man in einem Jahr herstellen. Selbst wenn die Produkte genießbar wären und einigermaßen schmecken sollten, so wäre man noch weit entfernt davon, In-Vitro-Fleisch in den erforderlichen Massen auf den Markt zu bringen. Ein im Labor produzierter Burger würde nach Schätzungen von Post 250.000 Euro kosten. Natürlich würde eine Massenzucht die Preise schnell drücken. Aber wenn man keine Möglichkeit findet, die Durchblutung durch ein künstliches System zu ersetzen, durch das Nährstoffe zu den Zellen transportiert und Abfall abtransportiert wird, wird nicht nur die Größe ein Problem sein. Noch ist das Fleisch auch grau oder weiß, es fehlt Myoglobin, das Protein, das dem Fleisch seine Farbe gibt.