Die Zähmung der "wilden Unterschicht"

Der britische Justizminister propagiert hartes Vorgehen gegen die Unruhestifter und eine Bekämpfung des "sozialen Defizits"

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Die britische Regierung hat auf die Unruhen mit der Androhung von Härte reagiert. Regierungschef Cameron führte die Plünderungen und Gewalt auf "egoistische Menschen ohne Moral und ohne Verantwortung" zurück, es fehle diesen Kriminellen an Selbstbeherrschung, weswegen er harte Strafen und strenge Erziehung der Kinder als Lösung hat (Moral, Strafe und Disziplin nur für die Gangs da unten). Konservative haben schon einmal ein Schulprojekt vorgeschlagen, an dem nur Ex-Soldaten als Lehrer beschäftigt sein sollen, um so als Vorbild für Null-Toleranz-Disziplin zu dienen und den Drill durchzusetzen (Soldaten sollen als Lehrer an die urbane Heimatfront). Justizminister Kenneth Clarke, ebenso von der Conservative Party, legt nun noch einmal drauf und gibt die Losung aus, dass die "wilde Unterschicht" gezähmt werden müsse.

Nach den jüngsten Zahlen des Justizministeriums mussten mehr als 1500 Personen wegen der Unruhen vor Gericht erscheinen. Anklagepunkte waren vor allem Raub, Diebstahl, Hehlerei, Gewalt und "violent disorder". 22 Prozent waren Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren, 91 Prozent waren männlich. Zweidrittel blieben nach dem Gerichtstermin in Haft, 443 wurden nur auf Kaution freigelassen. Die Strafen fielen deutlich höher aus als normalerweise, es wurden sehr viel mehr als gewöhnlich zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Justizminister Clarke machte nun in einem Beitrag für den Guardian klar, dass die Bestrafung der "wilden Unruhestifter" Vorrang hat, auch wenn in Großbritannien die Gefängnisse bereits überbelegt sind. Er sei schockiert gewesen, dass der harte Kern aus der "wilden Unterklasse" gekommen sei. Diese unterscheide sich von den übrigen Gesellschaftsschichten in allem, abgesehen von ihrem "Materialismus". Erschreckend fand der Minister aber auch das "instinktive kriminelle Verhalten von offensichtlich zufällig Anwesenden". Dreiviertel der wegen der Unruhen angeklagten Erwachsenen seien bereits vorbestraft gewesen, was auf ein mangelhaftes Rechtssystem hinweist. Im Rechtssystem seien daher dringend Reformen nötig, um erneute Straftaten von Wiederholungstätern zu verhindern. Besonders einfallsreich zeigt sich Clarke auch hier nicht. Die Gefängnisse müssten zu Orten werden, an denen "produktive harte Arbeit" stattfindet. Zunächst aber müssen auf Störungen der öffentlichen Ordnung "hart, schnell und anhaltend" reagiert werden.

Harte Strafen alleine aber würden nicht reichen. Die Unruhen, so der Minister, müsse man teilweise als "Ausbruch eines empörenden Verhaltens der kriminellen Klassen verstehen - von Individuen und Familien, die mit dem Rechtssystem vertraut sind, aber durch vorhergehende Strafen nicht verändert wurden". Die Resozialisierung habe also nicht funktioniert. Neben harter Arbeit sollen die Verbreitung von Drogen in Gefängnissen bekämpft und Strafen mit Sozialarbeit in den Kommunen verschärft werden, "so dass sie öffentliche Anerkennung erzwingen". Am wichtigsten sei aber, die Bewährungshelfer nach ihren Erfolgen, nicht einfach nach der Zahl der Fälle zu bezahlen.

Der Justizminister weiß auch, was ein "ein produktives Mitglied unserer Gesellschaft" ausmacht: "ein Job, eine strenge Familie, eine gute Ausbildung und über allem eine Haltung, die die Werte der Mainstream-Gesellschaft teilt". Eine wachsende Minderheit, die der Konservative natürlich nur in der Unterschicht sieht, nicht bei Wirtschaftskriminellen oder Spekulanten, habe all dies nicht. Diese Minderheit habe anstatt einem "Engagement zur harten Arbeit" eine gewaltige Erwartungshaltung, wolle also gewissermaßen einen anstrengungslosen Wohlstand. Neben harten Strafen und der Bekämpfung des "sozialen Defizits" müsse auch das Staatsdefizit gesenkt und Sozialreformen sowie Arbeitsprogramme angeschoben werden. Irgendwie müsse das Problem der 120.000 problematischsten Familien angegangen werden (Das Leben von 120.000 Problemfamilien umkrempeln), während die Liberalisierung des Schulsystems mehr Studenten mit besserer Qualität und Disziplin hervorbringen soll. So also sieht das Weltbild eines britischen Konservativen mit liberaler Ideologie aus. Weitere Unruhen sind zu erwarten.