@Leistungsträger, Pflaumen, Gewinnertypen, Terroristen: Wir finden Euch!

(- oder auch mal die Falschen)

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"Die Wirtschaft sucht Persönlichkeiten, die den Markt der Industrie und Dienstleistung von Morgen mit gestalten können" - so die Feststellung der Hochschule Mittweida. Wie identifiziert man Leistungsträger?

Womöglich über den Musikgeschmack? Angeblich soll ja auch die Musik Einfluß auf die Leistungsfähigkeit haben. So wird von einem Schüler berichtet, der drei Gruppen Mäuse beim Laufen durch ein Labyrinth beobachtete: Anfangs benötigten alle 72 Mäuse etwa zehn Minuten, um den Parcours zu absolvieren. Anschließend wurde ein Drittel der Tiere drei Wochen zehn Stunden täglich mit Mozart erfreut und ein Drittel mußte die Hardrock-Gruppe "Anthrax" über sich ergehen lassen. Der Rest blieb als Kontrollgruppe unbeschallt.

Nach diesem Kultur-Dauergenuß stellte der junge Forscher signifikante Unterschiede fest: Die Kontrollgruppe benötigte noch fünf Minuten, die Mozart-Mäuse 90 Sekunden.

Und die 'Hardrock-Junkies'? Nun, sie holten sich im übertragenen Sinn eine Extraportion Beulen und blaue Flecken, torkelten sie doch wie sturzbetrunken durchs Labyrinth bzw. stolperten in dessen Wände hinein. Hatten die armen Nager vor der "Anthrax-Therapie" wie alle anderen zehn Minuten für diese Aufgabe gebraucht, so lag ihre Durchschnittszeit jetzt bei sage und schreibe dreißig Minuten!

"Anthrax"-Fans oder "scoren", bis der Rechner raucht

Jetzt liegt es - bei der Beweislage! - nahe, die Anthrax-Fans auf Facebook kollektiv von der Personalabteilung auf die schwarze Liste setzen zu lassen. Womöglich läßt sich der Mäuse-Test aber gar nicht 1:1 auf den Menschen übertragen? Angesichts bekennender Hardrock-Fans wie dem früheren Verteidigungsminister Freiherr Karl Theodor zu Guttenberg oder dem russischen Staatspräsidenten Dmitri Medwedew sind Zweifel nicht von der Hand zu weisen:

Beide sind bekennende Hardrock-Fans. Und an ihrer Leistungsfähigkeit wurde bislang nicht gezweifelt.

Auch die Konsumgüterhersteller lassen "scoren", bis der Rechner raucht: Für ihre Diplomarbeit hat Sophia Hellmayr 2006 "das Potential der interpersonellen Kommunikation von Bio-Lebensmittel-Kunden" untersucht. Zur Feststellung dieses Potentials hat sie 116 Personen nach ihrer "Selbsteinschätzung" und weiterer "Netzwerkparameter" wie "Größe, Dichte, Homogenität hinsichtlich Alter und Bildung" sowie der "Stärke der Beziehungen" befragt. Dabei hat sie herausgefunden, dass mit dem Grad der "Meinungsführerschaft" der Testperson die Größe ihres Bio-Kommunikationsnetzwerks zunimmt.

"Ich mag Bio"

Allerdings: Je größer die Meinungsführerschaft der Testperson, desto geringer die Bindungen der Bekannten untereinander. Hellmayr schlussfolgert, "dass der Bekanntenkreis eine der bedeutendsten Informationsquellen in Bezug auf Biolebensmittel darstellt. Massenmedien haben im Verhältnis dazu weniger Bedeutung." Es bestünde "noch ein Defizit in der Ausnutzung dieses offensichtlichen Potentials ".

Unter "Fazit - Empfehlungen für die Praxis " riet die damalige Diplomandin, die Meinungsführer zu identifizieren und sie zu bewegen, das Interesse der Öffentlichkeit für "Bio" zu fördern - etwa durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Dafür eigneten sich beispielsweise "Tupper"-ähnliche "Parties" oder durch T-Shirts mit der Aufschrift "Ich mag Bio".

Ich mag Freunde

Im Jahr 2011 glauben wir mit der Identifikation individueller Stärken und Schwächen schon einen Schritt weiter zu sein - wobei, um das zu präzisieren: Facebook hat uns diese Segnung eingebrockt. "Du kannst die Persönlichkeit eines Menschen einfach durch Betrachten seines Facebook-Profils einschätzen", schrieb die Washington Post im Juli. Das ist toll! Hunderte Millionen Menschen rund um den Globus machen ihre Persönlichkeit öffentlich. Wie viele Studien können da jetzt durchgeführt werden, einfach nur durch Facebook-Screening in Echtzeit!

Für ihre steile Behauptung führt die Zeitung eine Studie der Universität Maryland ins Feld: Deren Wissenschaftler hatten die öffentlichen Anteile der Profile von 300 Testpersonen untersucht. Dabei wurden die Lieblingsbeschäftigungen, Fernsehsendungen, Filme, Musik, Bücher, Zitate, Mitgliedschaften in politischen Organisationen sowie die Abschnitte "Über mich" und das "Motto" unter die Lupe genommen.

Anschließend wurden die dazu gehörigen Menschen auf verschiedene Parameter untersucht: Experimentierfreude, Pflichtbewußtsein, Extraversion, Freundlichkeit und emotionale Stabilität ("neuroticism").

Ergebnis: Die Extrovertierten haben tendenziell mehr "Freunde" bei Facebook, die sich aber untereinander weniger gut kennen. Die emotional Instabilen haben weniger "Freunde", die aber sind untereinander enger vernetzt. Die Instabilen benutzen auf Facebook häufiger Begriffe wie "ängstlich", "besorgt" oder "nervös".

Angsthasen haben weniger soziale Kontakte

Dem scheint ein Aufsatz zu widersprechen, der in Nature veröffentlicht wurde. Die Neurologen und Biomediziner wollen einen Beleg für eine Korrelation zwischen der Größe der "Amygdala" im menschlichen Gehirn und der Größe ihrer sozialen Netze gefunden haben.

Die Amygdala ist laut Wikipedia "wesentlich an der Entstehung der Angst beteiligt und spielt allgemein eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren". Eine Zerstörung bei der Amygdalae führe "zum Verlust von Furcht- und Aggressionsempfinden und so zum Zusammenbruch der mitunter lebenswichtigen Warn- und Abwehrreaktionen. Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2004 deuten darauf hin, dass die Amygdala an der Wahrnehmung jeglicher Form von Erregung, also affekt- oder lustbetonter Empfindungen, einschließlich des Sexualtriebes beteiligt sein könnte."

Das heißt: Während Computerwissenschaftlerin Golbeck meint, die Angsthasen hätten weniger soziale Kontakte, zählen die Mediziner mehr soziale Bindungen bei diesem Personenkreis. Das ist ein Problem - etwa für die Telefonfirmen: Die würden doch gar zu gern die Meinungsführer mit attraktiven Preisen ködern, damit diese anschließend in ihrer Umgebung gut über den Diensteanbieter reden. Wie nun, wenn der Meinungsführer gar nicht führt, sondern tatsächlich nur mit der Masse mitdackelt? Ein Alptraum für jeden Marketier!

Hinzu kommt, dass mancher von der ihm hinterher rennenden Meute eher genervt zu sein scheint: Tim erzählte 2009, dass er angekündigt habe, sich 75 Prozent seiner 357 "Freunde" zu entledigen. Er würde sie weder kennen, geschweige denn sich um sie kümmern.

Der "Terror Score"

Schließlich ist der "Terror Score" seit langem in der Kritik: Der Präsident des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke will nicht nur Verbrechen bekämpfen, sondern mithilfe eines "vorausschauenden Ansatzes [...] vor die Lage kommen". Dazu sollen Informationen aus zahlreichen Quellen maschinengestützt ausgewertet werden - etwa Webseiten, Verhörprotokolle, Zeugenvernehmungen, Observationsberichte, Audio-Mitschnitte der Telefonüberwachung, Faxe, Videos, E-Mails, Bewegungsprofile, Handy-Ortungsdaten, automatisiert gescannte Fahrzeugkennzeichen und georeferenzierte Daten.

Vor diesem Hintergrund ist das regelmäßige Fordern Zierckes nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung und "Kinder-Pornosperren" verständlich - aus seiner Sicht steigt die Sicherheit mit der Zunahme personenbezogener Daten. Die Jungle World fürchtet dagegen, dass so die Verbrechen nicht nur prophylaktisch bekämpft, sondern auch das Verhalten der Bürger normiert werden könnte.

Wie fix das schief gehen kann... Gottwald Thiersch berichtete im Heise-Forum anschaulich, wie er auf dem Schulweg früher immer an einem Umschlagplatz der Münchner Drogenszene vorbei musste. Wohl zu oft für die Polizei: Die filzte ihn genau.

Jahre später wurde er wegen Fahrerflucht angeklagt: Auf einem Parkplatz soll er ein anderes Fahrzeug gerammt haben. Bei der Verhandlung verlangte Thiersch nach einem Sachverständigen, um zu klären, ob die Beschädigung denn überhaupt von seinem Fahrzeug stammen konnte. Anstatt auf die Forderung einzugehen, habe der Staatsanwalt losgepoltert, dass er sich nicht zu erdreisten hätte, Forderungen zu stellen - schließlich sei er schon mit 16 in der Drogenszene unterwegs gewesen und noch dazu reise er regelmäßig nach Amsterdam und in die Schweiz.

Thierschs' Erklärung: Sein Patenonkel wohnt in Amsterdam, seine Eltern in der Schweiz. Und das andere Auto konnte er nicht gerammt haben, weil die Stoßstange seines VW Busses höher als die des gerammten BMW war.

Wer und wozu auch immer in Zukunft sämtliche Neuronen und Synapsen Einzelner erfassen oder gar "Gedanken lesen" will - ich hoffe, die akquirierten Daten und die darauf aufbauenden Interpretationen sind jederzeit korrekt. Sonst könnte der Schaden den Nutzen überwiegen.

Zu den Gefahren der Informationstechnik für die Demokratie gibts demnächst an der FH Kaiserslautern eine Podiumsdiskussion. Dazu hat der Landesverband des Mehr Demokratie e.V.. Vertreter von CDU, SPD, Grünen, FDP, Die Linke und die Piratenpartei eingeladen. Wir sind gespannt, was die Parteien zu sagen haben.