Die Vereinigten Staaten von Europa

Eine veraltete Idee aus dem letzten Jahrhundert

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Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa wird häufig auf Winston Churchills Rede in Zürich 1946 zurückgeführt: "Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten", verkündete er in der dortigen Universität. Tatsächlich ist die Idee allerdings noch älter. Die SPD formulierte sie bereits in ihrem Heidelberger Programm 1925 und konnte sich schon damals auf eine lange währende Diskussion stützen.

Niemand wird heute bestreiten, dass die Vereinigte Staaten von Europa dem Kontinent viel Leid und Unglück erspart hätten, wären sie im Jahr 1925 verwirklicht worden. Aber nicht alles, was damals eine gute Idee war, muss auch im Jahre 2011 noch angemessen sein. Es ist wohl kein Zufall, wenn Marcel Brost in der Zeit feststellt: "... heute ist das gemeinsame Europa ein Entwurf alter Männer. Helmut Schmidt, Jacques Delors oder Wolfgang Schäuble haben Krieg und Nachkriegszeit erlebt."

Tatsächlich sind die Vereinigten Staaten von Europa die Antwort auf eine längst überholte Problemlage. Politiker, die heute die Vereinigten Staaten von Europa propagieren, handeln wie die sprichwörtlichen Generäle, die immer die Schlachten des letzten Krieges schlagen. Denn solche Politiker haben die passende Antwort auf die Krisen von 1914 und 1939. Aber die Frage von Krieg und Frieden ist heute eine andere als im Zeitalter der Weltkriege.

Tatsächlich sind die klassischen zwischenstaatlichen Kriege heute äußerst selten, nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt. Doch damit ist nicht der Krieg an sich verschwunden. Von den 32 Kriegen bzw. kriegerischen Konflikten, die die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung 2010 weltweit registrierte, war allerdings kein einziger ein Staatenkrieg. Dominierend sind Antiregimekriege und Autonomie- bzw. Sezessionskriege. Und dies ist keine Momentaufnahme, sondern Ergebnis eines jahrzehntelangen Trends.

Manchmal mischen sich fremde Mächte und ausländische Staaten in die Bürgerkriege ein (siehe Libyen oder Afghanistan). Das ändert aber nichts daran, dass Anfang und Ende des Krieges von den lokalen Akteuren bestimmt werden.

Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität schrieb bereits 2006, der Krieg sei keineswegs verschwunden, sondern habe nur seine Gestalt geändert. Der Staatenkrieg sei zu kostspielig geworden, statt seiner haben sich neue Formen der Kriegsführung entwickelt, die billiger sind. Gemeint ist natürlich: billiger für die Kriegsherren, nicht für die Kriegsopfer.

Auf die neuen Formen des Krieges bilden nun die Vereinigten Staaten von Europa keine Antwort, ganz im Gegenteil. Ein gemeinsamer europäischer Bundesstaat würden das Kriegführen gerade wieder verbilligen, indem er aus zwischenstaatlichen Kriegen Bürgerkriege macht. Wer über die Vereinigten Staaten von Europa nachdenkt, sollte am besten eine IRA für Griechenland oder eine portugiesische ETA mitdenken.

Ja, die Vereinigten Staaten von Europa wären geradezu prädestiniert als Schauplatz für die neuen Kriegsformen. Denn in Europa fallen ethnische Grenzen häufig zusammen mit einem wirtschaftlichen und sozialen Gefälle, z. B. beträgt das Pro-Kopf-BIP des Eurostaates Slowakei gerade einmal 36 % des finnischen. Ausreichend Sprengstoff für einen "billigen" Krieg.