Lehren aus Fukushima

Arbeiten an Reaktor 3 am 12. September. Bild: Tepco

Führt das Desaster von Fukushima zu mehr Sicherheit bei Atomanlagen? Forscher sind skeptisch - und schlagen Verbesserungen in sechs Gebieten vor

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So ganz unrecht haben die Beschwichtigungsversuche der Atomindustrie ja nicht: Es ist unwahrscheinlich, dass sich das Kraftwerksunglück von Fukushima I in dieser Form wiederholt. Ein überaus starkes Erdbeben, gefolgt von einer Tsunami-Welle, die sämtliche Sicherheitsvorrichtungen überrollt, diese Kombination ist für die wenigsten Kraftwerksbetreiber eine reale Gefahr. Doch schon jetzt lassen sich aus dem Unglück durchaus ein paar Lektionen lernen.

Da wäre etwa das Problem der fortgesetzten Kühlung nicht nur der Reaktoren, sondern auch der Brennelement-Lager, wenn die primäre Energieversorgung über längere Zeit ausfällt. Wasserstoff-Explosionen, die die Integrität der Außenhülle angreifen und die Freisetzung von Radioaktivität erleichtern, sollten vermeidbar sein.

Doch die Probleme waren nicht nur technischer, sondern auch administrativer Art: Zum einen zeigte sich der Kraftwerksbetreiber Tepco gerade in den ersten Tagen als unfähig, schnell und effizient die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Zum anderen erwies sich in Japan, dass die Kontroll-Institutionen mit der Industrie, die sie kontrollieren sollen, zu stark verflochten sind, so dass notwendige Sicherheitsmaßnahmen jahrelang nicht umgesetzt wurden und es möglich war, Mängel unter der Decke zu belassen. Lernt die Industrie aus diesen Fehlern?

Die Forscher Matthew Bunn und Olli Heinonen zeigen sich in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science sehr skeptisch. Sie diagnostizieren, dass trotz konkurrierender Vorschläge aus mehreren Ländern insgesamt zu wenig Verständnis davon vorhanden ist, welche Ideen wirklich helfen würden. Denn es genügt nicht, auf bessere Reaktordesigns mit inhärenten Sicherheits-Mechanismen zu setzen: Für die nächsten Jahrzehnte werden Sicherheitskonzepte für bestehende Technologie gesucht. Um diese zu finden, schlagen die Forscher Aktivitäten auf sechs Gebieten vor.

Strengere Sicherheitsstandards

Die Naturkatastrophe, die über Fukushima hereinbrach, war stärker als das, wofür das Kraftwerk ausgelegt war. Das bedeutet zweierlei: Regulierungsbehörden müssen neu prüfen, ob die Mindestauslegung wirklich realistisch ist. Kraftwerksbetreiber müssen jedoch auch wirksame Pläne vorbereiten, was im Falle des Überschreitens dieser Schwelle zu tun ist - sie müssen nicht nur mit dem Wahrscheinlichen, sondern auch mit dem "Unmöglichen" rechnen.

Technisch gesehen, sollten Überdruckventile stets gefiltert sein, damit im Notfall keine Radioaktivität entweicht, und Kühlsysteme müssen auch die größte Naturkatastrophe überleben. Die Lagerung verbrauchter Brennelemente in Kühlbecken muss reduziert werden.

Strengere Schutzstandards

Nicht nur die Safety, auch die Security muss erhöht werden. Eine Nuklearanlage ist nicht sicher, wenn sie nicht - etwa gegen Terroristen - gesichert ist. Meist gehen Ansätze für beide Arten der Sicherheit in dieselbe Richtung. Doch wenn es etwa um die Evakuierung im Notfall geht, kann es erforderlich sein, zusätzliche Kontrollen einzuführen, die die Rettung verlangsamen. Die IAEA-Richtlinien machen für diese Art der Bedrohung viel zu wenig Vorgaben, auch in den Stress-Tests der EU spielen sie keine Rolle.

Bessere Notfallmaßnahmen

Kraftwerksbetreiber, Feuerwehr, Polizei, Armee und so weiter sollten gemeinsame Notfallpläne ausarbeiten und diese auch unter realistischen Bedingungen testen. Selbst die Reaktion der IAEA auf Fukushima schätzen die Autoren als zu zögerlich und schwach ein - etwa im Vergleich zur Weltgesundheitsorganisation, wenn diese einen Seuchenausbruch feststellt.

Sinnvoll wäre die Einrichtung eines internationalen Notfall-Teams, dem schnell einsetzbares Equipment zur Verfügung steht.

Peer Review, internationale Vereinbarungen und Zusammenarbeit

Verstärkte und erweiterte Peer-Review: Jedes Land, das Atomanlagen betreibt, sollte deren Sicherheit von internationalen Expertenteams prüfen lassen. Diese Tests sollten auf strengeren Standards basieren, als sie bisher existieren. Die Ergebnisse dieser Prüfungen sollten öffentlich gemacht werden.

Rechtlich bindende Vereinbarungen: Da die Auswirkungen einer Katastrophe wie in Fukushima sich nicht auf ein Land beschränken, sollte auch die Atomsicherheit auf internationalen Vereinbarungen basieren. Bisherige internationale Verträge in dieser Richtung spezifizieren zwar meist hehre Ziele, legen aber kaum konkrete Regeln fest.

Erweiterte internationale Zusammenarbeit: Die Tatsache, dass der Unfall ausgerechnet in einem Land passierte, das sowohl langjährige Erfahrung mit Atomenergie als auch eigentlich effiziente staatliche Organe besitzt, lässt fragen, wie die Ereignisse wohl bei einem der Nuklear-Neulinge wie Indien oder Pakistan ausgegangen wären. Die Autoren plädieren deshalb für verstärkte internationale Zusammenarbeit, die allen Beteiligten nutzt.