Eurorettungsschirm EFSF

Pleite in sechs Monaten?

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Bei der Expertenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags wird klar: Die Politik hat die Lösung der Krise längst verschlafen. Bundesbankpräsident Weidmann setzt dennoch weiterhin auf die disziplinierende Kraft der Finanzmärkte. Für Prof. Dr. Henrik Enderlein sind das jedoch rückwärtsgewandte Sichtweisen: Stattdessen müsse die Politik die gemeinschaftliche Haftung für Europa faktisch anerkennen.

Vergangenen Montag fand im Haushaltsausschuss eine öffentliche Expertenanhörung statt. Thema waren die beiden Gesetzesvorlagen Parlamentsrechte im Rahmen zukünftiger europäischer Stabilisierungsmaßnahmen sichern und stärken und der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus. Durch die Zustimmung des Bundestags soll der Kreditrahmen des Fonds auf 440 Milliarden Euro aufgestockt werden. Dies würde den deutschen Haushalt mit 211 Milliarden Euro belasten.

Weitgehend einig waren sich die Experten, dass die Ertüchtigung des EFSF ein notwendiger Schritt sei. Eine Ablehnung des Gesetzes und eine Pleite Griechenlands hingegen würden zum denkbar ungünstigsten Szenario führen.

Unangenehmes Szenario

Lediglich der Präsident der Bundesbank, Dr. Jens Weidmann, stellte sich vehement gegen die Möglichkeit des EFSF, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen. Denn dies würde zu einer schleichenden Vergemeinschaftung der Staatsschulden führen und somit dem Stabilitätspakt der Europäischen Union zuwiderlaufen. Weidmann vertraut dabei auf die disziplinierende Kraft der Finanzmärkte. Für den Fall, dass Griechenland seine Sparziele nicht erreichen könne, dürften keine weiteren Kredite ausgezahlt werden. Allerdings musste auch der Bundesbankpräsident einräumen, dass dies dramatische Konsequenzen zur Folge hätte, über die er nicht öffentlich spekulieren wolle. Auf jeden Fall wäre dies, so Weidmann, "ein sehr unangenehmes Szenario".

Prof. Dr. Rudolf Hickel von der Universität Bremen sieht in dem EFSF 2.0 ein Instrument, um Zeit zu gewinnen. Diese Zeit müsse allerdings entsprechend genutzt werden. Anstatt sich von den Finanzmärkten disziplinieren zu lassen, könne nur der umgekehrte Weg zielführend sein.

So beweise die derzeitige Schuldenkrise, dass die Effizienz der Finanzmärkte, wie Weidmann sie unterstellt, in der Realität nicht gegeben sei. Wichtig wäre deshalb ein vernünftiges System zur Sicherung der Eurostabilität. Dazu gehöre auf jeden Fall eine Finanztransaktionssteuer. Auch müsse an einer Neuausrichtung der gesamtwirtschaftlichen Strategie, einer Art Marshallplan, gearbeitet werden. So führe im Falle Griechenlands das exzessive Sparen lediglich zu einer Rezession und zu immer neuen Schulden.

Mechanismen für eine "geordnete Insolvenz" sind nicht vorhanden

Unterstützt wurde Hickel durch Dr. Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft Politik (SWP). Darüber hinaus sei für sie aber auch wichtig, sogenannte Leerverkäufe zu unterbinden. Die Banken müssten mit ausreichend Kapital unterfüttert werden, damit diese in der Lage wären, Kreditausfälle aufgrund einer möglichen Staatsinsolvenz aus eigener Kraft abzufedern.

Dies ist ein wichtiger Punkt. In Teilen der FDP und CSU wurde in den letzten Tagen viel über eine geordnete Insolvenz Griechenlands debattiert. Faktisch ist es jedoch so, dass in der Eurozone überhaupt keine geeigneten Mechanismen für einen solchen Schritt existieren. So berge laut Experten auch eine geordnete Umschuldung Ansteckungsgefahren. Die unterfinanzierten europäischen Banken sowie die Staaten der Eurozone seien auf ein solches Szenario keineswegs vorbereitet.

Zwar sieht auch Prof. Dr. Clemens Fuest von der Universität Oxford eine Umschuldung Griechenlands als unausweichlich an. Diese habe seiner Ansicht nach auch schon im Ansatz begonnen. Wiederholt schärfte er den Parlamentariern jedoch ein, dass sich Europa in einer Art Zwangslage befände. In der Konsequenz bliebe den Staaten nichts weiter übrig als zu zahlen - und zwar so lange, bis die Ursachen der Krise behoben seien. Diese sind für ihn der fragile Finanzsektor, die unterfinanzierten Banken sowie die hohen Staatsschulden.

Wenig Hoffnung konnten die Experten den Abgeordneten dahingehend machen, dass der EFSF mit den geplanten 440 Milliarden Euro seine Aufgaben ausreichend erfüllen könnte. Clemens Fuest wies darauf hin, dass noch nicht abzuschätzen sei, welche Anforderungen an den Fond in Zukunft gestellt würden. So könnten die Belastungen für den Bundeshaushalt durchaus noch steigen. Angesichts der Gefahr einer "Kernschmelze an den Finanzmärkten" bliebe der Politik aber keine Alternative.

Die Politik macht zu wenig und dies zu spät

Die deutlichsten Worte fand in diesem Zusammenhang Professor Dr. Henrik Enderlein von der Hertie School of Economics. Laut seinen Berechnungen hätte der EFSF nach Auszahlung der neuen Kredite an Griechenland noch 280 Milliarden Euro zur Verfügung. Würde der EFSF in gleichem Maße Anleihen auf dem Sekundärmarkt aufkaufen, wie derzeit die EZB, wären dessen Mittel bereits nach sechs Monaten aufgebraucht. Für eine umfassende Unterstützung Italiens oder Spaniens sieht Enderlein keinen Spielraum – ganz zu schweigen von möglichen Maßnahmen zur Kapitalisierung von Banken.

Für Enderlein liegt die Hauptursache der derzeitigen Krise im zögerlichen Vorgehen der Politik. Der Experte erinnerte daran, dass man schon vor mehr als einem Jahr in ähnlicher Runde über genau die gleichen Punkte wie heute diskutiert hätte. Allerdings war die Politik nicht zum Handeln bereit. Aufgrund der Tragweite der Entscheidungen müssten sich die Verantwortlichen fragen, ob man sich immer wieder durch den Widerstand einer kleinen Splittergruppe im Bundestag von den notwendigen Schritten abbringen lassen wolle. "Zu wenig, zu spät" seien die heute auf dem Tisch liegenden Vorschläge.

So hätten Problemverschleppungen zu einer immensen Steigerung der Kosten geführt. Möglich sei sogar, dass eine geordnete Insolvenz Griechenlands aufgrund des Urteilsspruchs des Bundesverfassungsgerichts gar nicht mehr durchführbar ist. Folglich bleibe nur noch, Griechenland durchzufüttern. Die Frage einer ungeordneten Insolvenz stelle sich aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Folgen auch für Enderlein nicht. In der aktuellen Lage müsse man sich in der Politik an den Gedanken gewöhnen, dass Europa mittlerweile faktisch bereits zu einer Haftungsgemeinschaft geworden ist.

Am 21.Juli wurden die Gipfelbeschlüsse zur Rettung Griechenlands und der Eurozone noch als großer Durchbruch gefeiert. Im Laufe der Sitzung des Haushaltsausschusses wurde jedoch klar, dass die Politik den Ereignissen um mindestens ein Jahr hinterher läuft. Denn auch bei einer Zustimmung zu den Gesetzesvorlagen ist die Handlungsfähigkeit des EFSF keinesfalls garantiert.

Ursprünglich hätte der EFSF ohne den Vorbehalt der Parlamente arbeiten sollen ("And the Winner is...? Germany!"). Dem hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Riegel vorgeschoben. Dabei ist die technische Umsetzung der Beteiligung des Bundestags für den Geschäftsführer des EFSF, Klaus Regling, nicht das zentrale Problem. Allerdings müsse bedacht werden, dass auch andere Länder ähnliche Schutzklauseln verabschieden werden.

Zeitfenster von maximal zwei Tagen

Laut Regling blieben dem EFSF für die politisch umstrittenen Eingriffe auf dem Sekundärmarkt ein Zeitfenster von wenigen Stunden bis maximal zwei Tagen. Betrachtet man jedoch die schwierigen europäischen Debatten der letzten zwei Monate, ist nicht absehbar, wie der EFSF innerhalb solch kurzer Zeit die Zustimmung der 17 Mitgliedsstaaten für derlei Maßnahmen bekommen könnte.

Doch nicht nur in den Geberländern sinkt die Akzeptanz für die Stabilisierungsmaßnahmen. So besteht darüber hinaus die Gefahr, dass Griechenland bei zu schwerwiegenden Auflagen einseitig aus der Eurozone austritt. Um dem entgegenzuwirken, müsse Europa nach Meinung von Dr. Schwarzer einen entscheidenden Schritt nach vorne gehen. Wichtig wäre es, die Einbindung der nationalen Parlamente zu verbessern und gleichzeitig die Position des Europäischen Parlaments zu stärken. Regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs können keinesfalls als europäische Wirtschaftsregierung bezeichnet werden.

Die Sitzung des Haushaltsausschusses war dazu gedacht, die wichtigsten Fragen der Abgeordneten zu beantworten und für mehr öffentliche Transparenz zu sorgen. Jedem Zuhörer muss dabei klar geworden sein, dass die Ertüchtigung des EFSF, lediglich als ein Minimalschritt zur Lösung der Krise gewertet werden kann.

Allein diese Etappe hat die Regierungskoalition an den Rand des Scheiterns gebracht. Nach dem Wahldebakel in Berlin wird sich die FDP wahrscheinlich nicht mehr gegen die Aktivierung des EFSF stellen. Auch der Auszahlung neuer Kredite an Griechenland wird der kleinere Koalitionspartner wohl zähneknirschend zustimmen.

Sollte es jedoch dazu kommen, dass die Mittel des EFSF nach kurzer Zeit aufgebraucht sein werden, wird eine Aufstockung des Fonds um Hunderte Milliarden von Euro nötig sein. Aufgrund dieser Dimensionen macht es den Anschein, dass die eigentliche "politische Kernschmelze" in Deutschland noch bevorsteht.