Information in der Nahrung

Nimmt der Körper über die Nahrung nicht nur Kalorien und Vitamine auf, sondern auch Information?

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Die Natur ist immer wieder für Überraschungen gut. Lange dachte man, mit der DNA die Funktionsweise der Vererbung erfasst zu haben - um dann immer wieder neue Mechanismen zu entdecken, die die Weitergabe von Erbinformationen beeinflussen. So weiß man heute, dass sich auch Umwelteinflüsse über die Vererbung in kommenden Generationen verewigen können. Doch die Idee, Gen-Information über die Nahrung aufzunehmen, scheint allenfalls in der Pseudowissenschaft der Esoteriker möglich, wo auch Wasser nicht messbare Informationen tragen und weitergeben kann.

Das Paper, das chinesische Forscher im Wissenschaftsmagazin Cell Research veröffentlicht haben, klingt in diesem Zusammenhang so utopisch wie die aktuelle Meldung zur bei Neutrinos gemessenen Überlichtgeschwindigkeit. Und doch behaupten die Biologen in dem zur Nature-Gruppe gehörenden Magazin, nachgewiesen zu haben, dass pflanzliche MicroRNA über die Nahrung ihren Weg in tierisches Gewebe und Blut gefunden hat und dort auch Wirkungen entfaltet.

MicroRNA (oder kurz miRNA) kennt man noch nicht lange. Ihre Erstbeschreibung erfolgte 1993, die Bezeichnung MicroRNA wurde acht Jahre später populär. Es handelt sich dabei um sehr kurze Sequenzen, die aus nur 19 bis 24 Nukleotiden bestehen. Ihre Funktion ergänzt das genetische Verfahrensspektrum, das die Natur in Jahrmilliarden entwickelt hat: Sie dienen nicht als Bauanleitung für Eiweiße, sondern zur Regulation anderer Gene.

Indem sie sich an dafür passende Stellen in der Messenger-RNA von Zielgenen binden, schalten sie die dort normalerweise befindliche kodierende Sequenz ab. Je nach Passgenauigkeit kann es auch zum Abbau der Ziel-mRNA kommen. Insgesamt kennt man heute einige tausend MicroRNAs, der Großteil ihrer biologischen Funktionen ist jedoch noch unbekannt. Man nimmt an, dass bis zu 30 Prozent des menschlichen Genoms auf diese Weise reguliert werden.

Direkter Einfluss auf die Physiologie der Maus

Es mutet beinahe seltsam an, dass die chinesischen Biologen nun als erste auf die Idee gekommen sein sollen, tierische Gewebe auf MicroRNA und deren Herkunft zu untersuchen. Speziell für die aus dem Reis stammende MicroRNA mit der Katalogbezeichnung MIR168a konnten die Forscher zweifelsfrei zeigen, dass diese den Verdauungstrakt der Maus übersteht und in Serum und Gewebe des Tieres landet. MIR168a erreicht so auch die Leber, wo sie die Eiweiß-Expression der Maus beeinflusst.

Auf diese Weise nimmt der pflanzliche Eindringling direkten Einfluss auf die Physiologie der Maus, die dadurch einen geringeren LDL-Spiegel im Blut aufweist. LDL (Low Density Lipoprotein) transportieren im Blutplasma wasserunlösliche Substanzen wie etwa Cholesterin, aber auch die fettlöslichen Vitamine A und E. Ein erhöhter Spiegel an LDL-Cholesterin im Blut gilt als mit auslösend für Arteriosklerose und Alzheimer.

Folgen

Wenn sich der Zusammenhang bestätigt, könnte das, so die Forscher, sechs Folgen haben. Erstens, klar, erweitert das das Wissen über die Funktionalität von MicroRNAs erheblich. Zweitens ergäben sich spannende Schlussfolgerungen im Gesundheitsbereich. Drittens müsste man die Co-Evolution von Pflanzen und Tieren daraufhin intensiver untersuchen - womöglich spielen MicroRNAs eine größere Rolle als bisher gedacht bei den Interaktionen verschiedener Spezies.

Viertens könnte sich die Lebensmittelindustrie über neue Möglichkeiten beim Nahrungs-Design freuen. Fünftens ließe sich über die spezielle Wirkung von MIR168a ein neuer Entwicklungsweg des metabolischen Syndroms ableiten. Sechstens vermuten die Forscher, dass sich so vielleicht die Wirkung chinesischer Pflanzenmedizin begründen lässt.