Ein deutscher Studienrat rettet die Welt

Wolfgang F. Henschels Alpha Alpha

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Vom 10. Mai bis zum 2. August 1972 bewahrte im Vorabendprogramm des Zweiten Deutschen Fernsehens ein Studienrat die Menschheit vor der Selbstzerstörung. Über dreizehn Episoden hinweg befand sich Michael Dahlen, erfunden von Drehbuchautor und Regisseur Wolfgang F. Henschel und dargestellt von Schauspieler Karl Michael Vogler, als Agent mit Alpha Status im Namen einer geheimen, namenlosen Organisation in der Serie Alpha Alpha im Einsatz.

Innerhalb der halbstündigen Episoden sah Alpha Agent Dahlen sich mit Herausforderungen konfrontiert, die Intelligenz, Improvisationstalent, und moralische Integrität erforderten: wie bringt man zum Beispiel einen telepathischen Industriespion dazu, seine ungewöhnliche Fähigkeit zu offenbaren? Wie beweist man den Außerirdischen, die einen entführt haben und im Raumschiff mit Kurs auf eine ferne Galaxie als Versuchskaninchen benutzen, dass man kein Tier sondern ein intelligentes, gleichberechtigtes Lebewesen ist? Was macht man mit einem Astronauten, der zufällig entdeckt, dass er sich unter lebensgefährlichen Bedingungen an jeden beliebigen Ort nur Kraft seiner Gedanken teleportieren kann?

Ein viel zu junges Publikum: Das viel zu frühe Aus

Trotz des Einfallsreichtums der Serie und ihrer thematischen Ambitionen bei bescheidenstem Budget, war Alpha Alpha nur ein kurzes Leben im öffentlich rechtlichen Fernsehen beschieden—das Aus kam nach nur dreizehn Folgen. Für heutige Verhältnisse schwer nachvollziehbar: die Zuschauer waren dem Sender zu jung, zu jugendlich, um nachhaltigen Erfolg zu versprechen. Ähnlich unrühmlich sollte auch das Nachleben der Serie in der Erinnerung ihrer Zuschauer ausfallen. Ohne regelmäßige Wiederholungen und ohne DVD-Box Set, ist sie weitgehend in Vergessenheit geraten.

Auch den Sprung in den Markt, der, angetrieben von der Nostalgie einer in den späten 50gern und frühen 60gern geborenen Generation von Fernsehzuschauern, Serien wie Raumpatrouille Orion oder die schier endlose Abfolge von Edgar Wallace Filmen zum lukrativen Status von „Kult“ avanciert hat, ist Alpha Alpha bislang nicht geglückt. Wie konnte es dazu kommen, dass die Serie weitgehend in Vergessenheit geraten ist? Und: warum lohnt es sich, Alpha Alpha wieder in Erinnerung zu rufen—als ambitioniertem Beitrag zur westdeutschen Mediengeschichte und kritischem Kommentar zum Kalten Krieg?

Ein Held wird rekrutiert: Zivilcourage, die sich lohnt

Zugeschnitten auf die eskapistischen Ansprüche des Vorabendprogramms, beginnt Alpha Alpha mit einem Helden, der seinem grauen Alltag entkommt, als eine höhere Gewalt ihn darauf aufmerksam macht, dass er etwas ganz besonderes ist. Eines Abends, während eines Spaziergangs durchs nächtliche München, wird Michael Dahlen Zeuge, wie eine Gruppe Jugendlicher einen Passanten schikaniert. Ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit greift er zu Gunsten des Opfers ein. So beeindruckend seine Fähigkeiten sein mögen, sich in der Schlägerei durchzusetzen, so ist es seine Zivilcourage, die die Aufmerksamkeit einer geheimnisvollen Organisation auf sich zieht.

Nach einer Phase intensiver Beobachtung und einer Serie von Tests, in denen Dahlen mit seiner kritischen Hinterfragung seiner Beobachter brilliert, kommt es zur Rekrutierung. Ein deutscher Geheimagent, ein Studienrat, im Dienst einer unabhängigen internationalen Organisation mit dem Ziel, die Menschheit vor der technologischen Selbstzerstörung zu bewahren—Dahlen ist bereit für seinen ersten Fall!

Auf der Grundlage dieser pubertären Allmachtsfantasie, scheint Alpha Alpha zunächst fest im Abenteuer- und Spionagegenre, angereichert mit einer Dosis Science Fiction, verankert zu bleiben. Es hagelt Klischees. Dahlen zur Seite steht zum Beispiel eine attraktive Agentin, gespielt von Fassbinder-Darstellerin Lilith Ungerer, die ihren Agenten im Feld mit Informationen aus dem geheimdiensteigenen sprechenden Computer versorgt, sich in Gefahrensituationen um ihn grämt, und mit ihm flirtet, wann immer ein Moment der Muße zwischen zwei Einsätzen Zeit dazu lässt—ein Flirt, der vielleicht wegen der Kürze der Serie nie konkrete Formen annimmt. Arthur Brauss als Dahlens Partner und Mann fürs Grobe komplettiert das Trio. Ein maskiertes Komitee als Leitung der Organisation und Auftraggeber erscheint ebenfalls regelmäßig, erfordert aber—Dank Maske und Nachsynchronisierung— keine wirklichen Schauspieler.

Von Folge zu Folge wechseln die Nebenfiguren: einmal findet sich eine Gruppe von Astronomen zusammen, die versuchen die im Kalten Krieg zersplitterte Menschheit zur Einigkeit zu bewegen, indem sie Ängste vor einer bevorstehenden Invasion aus dem All verbreiten; ein andermal versetzt ein nichts ahnender Psychologe deutsche Großstädte in Angst und Schrecken, indem er unabsichtlich die Gefühlswelt seiner verängstigten Labortiere auf die Bewohner Münchens projeziert. Die Gesichter der Darsteller sind aus dem Fernsehen dieser Jahre vertraut, genauso wie die Figuren, die sie darstellen. Nur das Rezept, nach dem Henschel diese Zutaten kombiniert, ist neu: auch wenn hier und da die Fäuste fliegen, besteht Dahlens Aufgabe immer darin, Unerklärliches zu erklären und das sensible globale Gleichgewicht zu bewahren.

Den Importen die Stirn Bieten: Ein cooler Intellektueller im Dienst des Status Quo

Selbst dem jugendlichen Fernsehpublikum der Serie wird klar gewesen sein, dass es sich bei Michael Dahlen um einen Versuch handelte, der Flut von britischen und amerikanischen Krimi- und Spionageserien im deutschen Fernsehen ein heimisches Produkt entgegenzusetzen. Denn diese Importe beherrschten das Programm; um nur einige Beispiele zu nennen: Danger Man lief in der ARD von 1962 an unter dem Titel Geheimauftrag für John Drake; Mission Impossible, ebenfalls in der ARD, unter dem Titel Kobra Übernehmen Sie, und The Man from U.N.C.L.E. unter dem Titel Solo für O.N.C.E.L. im ZDF, beide von 1967 an. Von 1966 begann das ZDF außerdem damit, Serien wie The Avengers (unter dem Titel Mit Schirm, Charme und Melone) zu zeigen, die das Genre bereits mit einer gehörigen Portion Selbstironie durch den Kakao zogen.

Auch was Science Fiction anging, mussten sich westdeutsche Fernsehzuschauer mit Importen begnügen. Dank einer deutschen Abneigung gegen alles Fantastische, die Knut Hickethier in seiner Geschichte des Deutschen Fernsehens nicht nur für diese Periode diagnostiziert1, blieben Exemplare dieser Gattung ebenfalls fast ausschließlich auf Importe beschränkt—von Nummer Sechs (The Prisoner im ZDF, 1969) und Invasion von der Wega (The Invaders, im ZDF, ab 1970), bis hin zu Time Tunnel in der ARD (ab 1971), U.F.O. im ZDF (ab 1971), und Raumschiff Enterprise (Star Trek im ZDF, ab 1972).

Eine ganze Generation westdeutscher Zuschauer lernte von diesen Importen: „Amerika—das tatsächliche oder das imaginäre—wurde zum natürlichen Schauplatz für leichte Unterhaltung aller Genres“ in der europäischen Nachkriegskultur.2 Auch die Genrekonventionen des Spionage- und Science Fiction Thriller wurden hier eintrainiert, sowie die Idee, dass zwischen britischen und amerikanischen Helden kein wesentlicher Unterschied bestand, da beide gleichermaßen als Vehikel für dieselben politischen Ziele und moralischen Werte dienten.

Gegen diese kulturimperialistische Übermacht unternahm Alpha Alpha den Versuch, dem Prototyp des Helden, der als fester Bestandteil dieser Serien den Kalten Krieg zu Gunsten des Westens entschied, ein speziell (west-)deutsches Gegenstück entgegenzusetzen. Im Krimi ging das in Deutschland schon eine ganze Weile gut; in der Science Fiction sollte es mit Rainer Erler und Wolfgang Menge im Laufe der 70er Jahre weitere Vorstöße in diese Richtung geben (allerdings nur im Sendeformat des Fernsehspiels und nicht der Serie—da ist und bleibt Raumpatrouille die rühmliche Ausnahme); in der Grauzone zwischen Science Fiction und Spionagethriller dagegen hatte es noch niemand versucht. Ein Münchener Studienrat als deutscher James Bond? Konnte das gut gehen?

Gerührt, nicht geschüttelt: Bond, . . . James Bond . . .

Fest etabliert als vielleicht die zentrale Figur der Popkultur im Kalten Krieg, scheiden sich, damals wie heute, genau an dieser Figur—James Bond, Agent 007—die Geister. Bonds Einfluss auf die importierten Serien im deutschen Fernsehen war allgegenwärtig, eine deutsche Serie, die im selben Genre konkurrieren wollte, kam nicht umhin, sich mit der Figur und ihrer politischen Bedeutung auseinanderzusetzen. Abgesehen von der melancholischen Demontage der Spionage, die sich im Werk von John Le Carre zu Beginn der 60ger Jahre abzuzeichnen begann, war ihr Relevanzverlust bereits in Parodien wie Mini Max oder selbstironischen Persiflagen wie Jason King zu ahnen.

Ernst nehmen konnte ein deutsches Publikum jenseits der Pubertät, das mit biederen Beamtenfiguren im Kaliber von Erik Ode groß geworden war, James Bond sowieso nie ganz. Wie sollte man sich mit dieser Figur auch anfreunden—Bond, dem Kalten Krieger mit der Lizenz zum Töten, dem Frauenhasser, der nichts anbrennen lässt, dem rassistischen, imperialistischen Dinosaurier aus längst vergessenen Tagen, als es das Britische Weltreich noch, und das westdeutsche Wirtschaftswunder noch nicht gab!

Folge für Folge arbeitet sich Alpha Alpha an der Figur und den erzählerischen Mustern James Bonds ab. Auf den ersten Blick scheint Dahlen nicht über sein großes Vorbild hinauszukommen: er fährt einen amerikanischen Sportwagen, bewohnt eine schicke Junggesellenbude, trägt den Kragen seiner Lederjacke hochgeschlagen, und wenn seine Vorgesetzten ihn an die Leine nehmen wollen, rettet er die Welt im Alleingang.

Doch was wie Bond klingt, ist bei näherer Betrachtung Henschels subtile Abgrenzung der Figur von ihrem Vorbild. Tatsächlich macht sich Dahlen gelegentlich selbstständig—doch seine Insubordinationen stehen nicht im Dienst der persönlichen Revanche. Er ist kein Einzelgänger im Kampf gegen sture Bürokratien, keine von der Leine gelassene Rache- und Gewaltmaschine. Seine Befehlsverweigerung signalisiert immer wieder die Notwendigkeit des Einzelnen, sich innerhalb einer Hierarchie—selbst wenn sie mit den besten Absichten an den Start geht—die persönliche moralische Integrität zu bewahren.

So entscheidet Dahlen zum Beispiel am Ende einer Episode, in der es um eine Unsterblichkeitsdroge geht, dass auch seinen eigenen Auftraggebern, so unpolitisch und altruistisch sie auch sein mögen, nicht mit der Verwahrung eines solchen Medikaments zu trauen ist. Auf eigene Faust lässt er die Droge verschwinden. Wo Bonds Lizenz zum Töten zur konsequenzlosen Allmachtsphantasie einlädt, indem sie ihren Besitzer außerhalb der moralischen Ordnung stellt, stellt Dahlens Gewissensdiktat die moralische Ordnung der Hierarchien und Bürokratien, der Staaten und Staatenverbände in Frage.

Wenn das globale Gleichgewicht eher Opfer von Unfällen, Entgleisungen und Missverständnissen zu werden droht, so wirkt sich das auch auf Dahlens Widersacher aus. Auch hier kratzt Alpha Alpha am Vorbild Bond. Zuschauer auf der Suche nach traditionellen Schurken werden enttäuscht sein: wann immer ein irrwitziger Wissenschaftler auftritt—allein oder im Kollektiv—so handelt er mit besten Absichten und ist, schlimmstenfalls, nachlässig im Umgang mit der Technik. Entsprechend endet kaum eine Folge mit der gewaltsamen Neutralisierung einer solchen Figur. Selten ist der Showdown eine Schießerei oder Schlägerei; die Aufklärung unerklärlicher Ereignisse oder das Lösen von Problemen steht stets im Mittelpunkt. Die Neutralisierung von Ruhestörern endet fast nie mit ihrer Bestrafung.

Kein Wunder, mag mancher denken, dass Alpha Alpha kein durchschlagender Erfolg war! Aus dem bürgerlichen Prinzip der Mäßigung, der abwägenden Vernunft, lassen sich eben keine spannenden Geschichten machen! Abgesehen davon, dass Serien wie Akte X oder Fringe, die mit einem fast identischen Grundprinzip ein großes Publikum begeistern und als deren Vorläufer Alpha Alpha zu betrachten ist, den Gegenbeweis zu dieser Theorie liefern, stellt sich letztendlich vielleicht die Frage, ob die Serie einfach zu deutsch war für ihr Publikum.

„Vielleicht bin ich denen zu Deutsch!“: Der Geheimagent als Bürger in Uniform

Vom heroischen Studienrat einmal abgesehen, ist der bleibende Eindruck der eines Helden und seiner Abenteuer, der weniger, wie Bond, als Kompensationsfantasie einer Nation dient, die ihrer zentralen Rolle im weltpolitischen Geschehen hinterher trauert. Stattdessen hat Henschel mit Michael Dahlen eine Figur entworfen, die ziemlich genau den Nerv seiner Kultur trifft—ein stiller, vernünftiger, moralisch selbstständiger Akteur, der sich hinter den Kulissen der Weltgeschichte für die Erhaltung des technologischen und politischen Status Quo einsetzt: was könnte besser dem westdeutschen Selbstverständnis zwischen den Fronten des Kalten Krieges entsprechen?

Außerdem ist da noch die Verankerung der Figur in den Themen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Debatte um den so genannten Bürger in Uniform, die sich im Zuge der westdeutschen Wiederbewaffnung Mitte der 50ger Jahre entspann, findet sich in jedem Akt der Befehlsverweigerung wieder, den Dahlen im Laufe der dreizehn Folgen begeht. Der Fairness halber sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, dass auch Raumpatrouille Orion lange vor Alpha Alpha immer wieder die Insubordination des Helden feiert, nur dass der Gestus dieser Serie im militärischen Milieu eher an die amerikanischen Helden im Format von Clint Eastwood’s Dirty Harry erinnern als an Dahlens gutmütigen Starrsinn. Genau so widmet sich Henschel in einer Folge—in der Dahlen zusammen mit einer Gruppe Mitstreiter den Außerirdischen, in deren Hände sie gefallen sind, beweisen muss, dass sie, wortwörtlich, keine Versuchskaninchen sind sondern vollwertige, intelligente Wesen. Die Frage der deutschen Kriegsschuld und der ebenbürtigen Eingliederung der BRD in den westlichen Staatenverbund mag vielleicht 1972 kein Thema mehr von brennender Aktualität gewesen sein, doch Resonanz findet es nach wie vor.

Auch entwirft die Serie ein Bild der BRD, in der die ganze paranoide Kälte des Kalten Krieges spürbar wird. Massenpanik und -Gewalt brechen aus in deutschen Fußgängerzonen; begabte Außenseiter müssen vor dem Staat geschützt werden, für den sie ein Sicherheitsrisiko darstellen; der deutsche Wald ist durchzogen von militärischen Sperrgebieten, Bunkeranlagen, Sende und –Empfangsstationen; selbst in der spielerischsten aller Episoden, in der es Dahlen in die bayrische Vergangenheit verschlägt, offenbart sich die gute alte Zeit als Vorläufer des Sicherheits- und Überwachungsstaates. Auch wenn Henschel der Technologie letztendlich nicht feindlich gegenüber steht—das utopische Potential stammt hier fast ausschließlich aus der eher technophil-utopischen Tradition der Science Fiction, an die Henschel anknüpft—so weht dennoch ein kalter Hauch von Skepsis und Beunruhigung durch die Serie, der im Genre des Spionagethrillers zum Ausdruck kommt.

Nach den 68ern: Gemäßigte Radikalität als Gute Fernsehunterhaltung

Inwieweit dieser kalte Hauch im Spannungsfeld zwischen dem offiziellem Selbstverständnis der BRD entsteht und der Rolle, die sie, innen- wie außenpolitisch, zu Beginn der 70er Jahre tatsächlich spielt, lässt sich vielleicht am besten an der geschichtlichen Erfahrung derer ablesen, die als jugendlicher Publikum vornehmlich vor dem Fernseher saßen. Keine Frage, Dahlen ist keine westdeutsche Selbstbeschreibung, er ist ein Ideal—eine Absage an die absoluten Diktate des Kalten Krieges zugunsten einer selbstverantwortlichen humanistischen Rationalität, an der es der BRD in diesen Tagen vielleicht mangelte. Ansprechend dürfte dieses Ideal für eine Generation von Jugendlichen gewesen sein, die zu Beginn der 70er Jahre ein kleines bisschen zu spät für die Jugendrevolte der 68er dran gewesen sind; zu denen der Unmut über die realpolitischen Gegebenheiten des Kalten Krieges in der BRD erst unterhaltsam aufbereitet durchsickern musste.

Diese Aufbereitung kommt zunächst einmal in der Distanzierung der Serie von ihren anglo-amerikanischen Vorbildern zum Ausdruck. Großbritannien war vielleicht kein heißes Eisen zu dieser Zeit, die U.S.A. schon. Die Elterngeneration mochte ihr Amerikabild noch an Luftbrücke und Kennedybesuch knüpfen; die jüngere Generation schon eher an Nixon, den Schahbesuch , Benno Ohnesorg, und den Vietnamkrieg. So wenig radikalisierend wie Alpha Alpha von seinem Autor angelegt ist, so wenig politisch war das Publikum, an das sich die Serie wandte. Radikalere Politik im Fahrwasser der Studentenbewegung in den 70ern hat wenig zu tun mit den gut gemeinten Utopien von Alpha Alpha. Ein Publikum auf der Suche nach radikaleren Ideen hätte vermutlich überall sonst nach diesen Ideen gesucht, nur nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Wenn es Henschel nicht ganz gelingen sollte, aus dem Fahrwasser Bonds und seiner Nachahmer auszubrechen, so trug das vielleicht seinem Publikum und dem Medium selbst Rechnung. Auch wenn Henschel mit seiner Serie einen Kurs links der Mitte fuhr, konnte er bestenfalls mit Zuschauern rechnen, die zwar bereit waren, sich den Konflikten des Tages zu widmen, dank der Gnade ihrer späten Geburt allerdings nicht in der Lage waren, sich eindeutig auf die eine oder andere Seite dieser Konflikte zu schlagen. Um solch ein Publikum anzusprechen, drohte eine Serie wie Alpha Alpha entweder daherzukommen wie ein fauler Kompromiss, in dem subversives politisches Potential auf einen eher harmlosen Gestus reduziert wird; oder sie konnte sich geben wie ein ausgewogener Mittelweg, auf dem die Exzesse radikaler Politik im pragmatischen Abwägen ideologisch für ein breites Publikum überhaupt erst nutzbar gemacht werden.

Dieses Bekenntnis zum konsequenten Mittelweg ist dann letztendlich vielleicht der Grund, warum Alpha Alpha weder als Meilenstein der westdeutschen Fernsehgeschichte, noch als harmlos verunglücktes Experiment, und damit als Rohmaterial für Camp und Kult, ein spätes Publikum gefunden hat. Als unterhaltsamer Schnappschuss eines historischen Moments zwischen nationaler Beunruhigung und Hoffnung jedoch verdient Henschels Serie zumindest ihre eigene kleine DVD-Box: wann und wo sonst hätte ein Münchener Studienrat heute sonst noch die Gelegenheit, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren?!

Eine längere Version dieses Artikels erscheint im Fruehjahr 2012 in englischer Sprache unter dem Titel A German Hero for the Cold War: Wolfgang F. Henschel’s Alpha Alpha (1972) in Science Fiction Studies.

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